Die UN-Konvention gegen den Völkermord

Das 20. Jahrhundert, so sehen es Historiker, war das Zeitalter der Völkermorde.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 04.03.09

Nie zuvor gab es derart konsequente Versuche, Volksgruppen oder komplette Ethnien zu vernichten. Drei Jahre, drei Monate und sieben Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 9. Dezember 1948, beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen – unter dem Eindruck der Gräueltaten der Nationalsozialisten gegen Juden, Sinti, Roma und andere Volksgruppen – in der Resolution 260 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.

Darin ächtet die Staatengemeinschaft Vergehen von Nationalstaaten gegen Minderheiten und ethnische, religiöse, rassische und nationale Gruppen im eigenen Land. Die gültige UN-Konvention (von 1948) definiert „Genozid“ als eine Handlung, „begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“. Für Deutschland, welches im November 1954 der Konvention beitrat, ist der Straftatbestand des Völkermordes im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) § 6 geregelt:

„(1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,

1. ein Mitglied der Gruppe tötet,

2. einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,

3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,

4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,

5. ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt,

wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

Quelle: Bundesministerium der Justiz – Völkerstrafgesetzbuch §6 Völkermord

Der durch die Konvention geschaffene, neue internationale Straftatbestand des Völkermords wurde zum weltweit geächteten Verbrechen erhoben und die Staaten verpflichteten sich, dieses Verbrechen nicht nur zu ächten, sondern auch zu ahnden – ein Novum in der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Überwunden war damit vor allem die Ansicht, dass ein Staat mit seinen Bürgern nach Belieben verfahren kann.

 Die praktische Bedeutung der Konvention war bis zu den Jugoslawienkriegen sehr gering. Bis dahin gab es nur sehr wenige Anklagen wegen Völkermord. Die erste Verurteilung durch ein internationales Gericht auf der Basis der Konvention erfolgte im September 1998 durch das Akayesu-Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda.

Raphael Lemkin und das „Verbrechen ohne Namen“

Ende August 1941 nannte der britische Premierminister Winston Churchill die
nationalsozialistischen Kriegsverbrechen in Europa und insbesondere in der Sowjetunion „a crime without a name“. Drei Jahre später hatte das Verbrechen einen Namen bekommen und mit ihm feste begriffliche Konturen – ein neues englisches Wort, das im Verlauf weniger Jahre auch in andere Sprachen übernommen wurde: Genocide.

Im Jahr 1943 prägte der polnische Jurist Raphael Lemkin auf polnisch den Begriff Völkermord als ludobójstwo (von lud [Volk] und zabójstwo [Mord]). Ein Jahr später adaptiert er ihn als genocide (von griechisch genos=Volk und lateinisch caedere=töten) für den englischen Sprachraum. Im Jahre 1947 formuliert er die Rohfassung der “Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“, die am 9. Dezember 1948 durch Beschluß der UN-Vollversammlung fast unverändert angenommen und am 12. Januar 1951 Weltgesetz wurde.

Klarsichtiger als fast alle seine Zeitgenossen hatte Raphael Lemkin die neue Qualität und zielgerichtete Struktur der Verbrechen in den von Deutschland und seinen Verbündeten eroberten Gebieten insbesondere Mittel- und Osteuropas begriffen. Für ihn wahr klar, dass es sich nicht um in ihrer Zahl und Intensität in unvorstellbare Dimensionen gesteigerte „herkömmliche“ Verbrechen wie Massentötungen und Vertreibungen handelte, sondern um Verbrechen, die zusammengenommen einem Volk oder einer Volksgruppe die Lebensgrundlagen entziehen, über kurz oder lang also zur Vernichtung der Existenz des Volkes oder der Volksgruppe führen sollten. Die Verbrechen ließen sich nicht als von der Staatsführung geduldete Exzesse der Armee und Polizei betrachten, sondern waren in ihrer Wirkung großangelegte Aktionen eines Völkermordplanes. Für dieses bisher nicht strafrechtlich erfasste Geschehen aber, so Lemkins Einsicht, fand er einen neuen Begriff.

Internationaler Strafgerichtshof

Seit dem 1.7. 2002 gibt es den Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag, der als dauerhafte Einrichtung die befristeten UN-Tribunale für Verbrechen ersetzt.

Die ständige Einrichtung ahndet Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechens des Angriffskrieges. Das Gründungsstatut wurde von 120 Staaten unterzeichnet.

Allerdings ergänzt der Internationale Strafgerichtshof nur die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit, d.h. der Strafgerichtshof wird nur dann tätig, wenn die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, entsprechende Verbrechen ernsthaft zu verfolgen. Die Hauptverantwortung für die Strafverfolgung liegt also weiterhin bei den Staaten; entsprechend kommt dem Internationalen Strafgerichtshof lediglich eine ergänzende Rolle zu.

Der Strafgerichtshof ermöglicht die internationale Zusammenarbeit in der Strafverfolgung von schwerwiegenden Verbrechen, allerdings haben mächtige Staaten wie China, Amerika und Russland das Statut nicht ratifiziert. Das schwächt die Universalität der Gerichtsbarkeit, da Verbrechen, die auf dem Gebiet eines Staates verübt worden sind, der nicht Vertragspartei ist, nicht in die Zuständigkeit des ICC fallen. Außer: der Sicherheitsrat entscheidet gegenteilig oder das Verbrechen ist von einem Angehörigen eines Staates verübt worden, der Vertragspartei ist.

Bisher ist im ICC noch kein Urteil gefällt worden, auch wenn sich einige Fälle vor dem Gericht befinden. Die tatsächliche Bedeutung des ICC wird sich wohl erst in Zukunft zeigen müssen.

Die Schwierigkeiten der Definition

„Völkermord“ – längst haben wir uns an das schreckliche Wort gewöhnt. Immer wieder wird es verwandt, in Medienbeiträgen über Weltkrieg und Shoah, in der Auseinandersetzung um den EU-Beitritt der Türkei, in Berichten über das Haager Kriegsverbrechertribunal. Doch was ist das, Völkermord? Was unterscheidet ihn von Massakern, „ethnischen Säuberungen“ sowie anderen Formen der meist staatlich organisierten Massengewalt?

Das ist bis heute zwischen Politikern und Gelehrten heftig diskutiert. Mittlerweile existiert eine „vergleichende Genozidforschung“, jedoch, so Boris Barth, Professor für Geschichte an der Universität Konstanz, lasse die Kooperation der Experten zu wünschen übrig. Denn der Disput wird oft von politischen Interessen bestimmt, der Begriff bisweilen gar als Propagandawaffe missbraucht.

Boris Barth versucht in seinem Buch Fragen wie diese zu beantworten (Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen). Völkermord ist nach Barth allgemein die Auslöschung willkürlich definierter Gruppen von Menschen unter meist extrem brutalen Umständen. Spätestens seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gebe es dieses neuartige Phänomen, doch herrsche ihm gegenüber eine auffällige Sprach- und Fassungslosigkeit.

Gemäß der UN-Konvention gibt es nur drei Fälle, bei denen es sich eindeutig um Völkermord handelt: die Übergriffe der Türken 1915/16 gegen die Armenier, den Holocaust sowie die Gewaltorgien in Ruanda 1994. Doch Beispiele großer Gräueltaten an Mindeheiten gibt es mehr, wie z.B. in Kambodscha. Die Opfer vieler Gräuel der jüngeren Geschichte (zum Beispiel Angehörige politischer Gruppen) werden von der Definition der UNO nicht erfasst, insbesondere lässt sich die Absicht der Vernichtung einer bestimmten Gruppe nur schwer nachweisen, diese ist aber definitorisch für den Tatbestand des Völkermordes.

So stellt die Konvention immerhin eine Rechtsgrundlage dar, die die Strafbarkeit der Gewalt an Massen auf internationale Ebene erhebt. Täter können sich nicht mehr auf nationale Gesetze berufen, die teilweise sehr willkürlich ausfallen können. Nach Barth demonstriere „Völkergemeinschaft“ mit Tribunalen und Militäreinsätzen erstmals den Willen, schwerste Delikte zu bestrafen. Wie allerdings Genozide verhindert werden können, darüber sagt die Konvention wenig.

Quellen und Links

Vergessene Krisen

Das Leid von Millionen von Menschen in Konflikt- und Krisengebieten bleibt für die Weltöffentlichkeit weitestgehend unsichtbar. Über Krisen wie die in der Zentralafrikanischen Republik, in Somalia oder in Sri Lanka wurde 2007 - wie auch in den vorangegangenen Jahren - in den Medien kaum berichtet. Auf der Liste der vergessenen Krisen 2007 von Ärzte ohne Grenzen stehen auch die Demokratische Republik Kongo, Kolumbien, Myanmar (Burma), Simbabwe, Tschetschenien, Tuberkulose und Mangelernährung.