Die Smartphone-App, die deinen Einkauf nach gefährlichen Chemikalien scannt

Welche gefährlichen Chemikalien befinden sich in unserer Einkaufstasche? Die App von AskREACH verrät es uns – ganz einfach über das Smartphone.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Lara Sophie Sander, 08.08.22

Wenn mehr Verbraucher*innen sozial- und nachhaltigkeitsbewusst einkaufen sollen, ist ein wichtiger Schritt, die Informationen über die Produkte leichter zugänglich zu machen. Aktuell müssen Verbraucher*innen eigenständig gründliche Nachforschungen über die Inhaltsstoffe von Produkten oder die Herstellungsbedingungen anstellen – und meistens sind solche Informationen schwer oder gar nicht verfügbar.

Hier kommen digitale Lösungen ins Spiel. Das Projekt LIFE AskREACH will Verbraucher*innen wichtige Informationen in Echtzeit bieten. Die Entwickler*innen konzentrieren sich dabei vor allem auf die Menge an besonders besorgniserregenden Stoffen, sogenannte ‚Substances of Very High Concern‘ (SVHC) in bestimmten Produkten. SVHCs sind chemische Stoffe, die auf Vorschlag der EU unter die REACH-Verordnung („Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“) fallen sollten. Bei REACH handelt es sich um eine langfristige Verordnung – und die bisher wohl komplexeste – der EU, die darauf abzielt, die Auswirkungen weit verbreiteter Chemikalien neu zu bewerten.

Besonders besorgniserregende Stoffe sind im allgemeinen Chemikalien, die krebserregend, erbgutverändernd, giftig, langlebig und potenziell fortpflanzungsgefährdend sind. Beispiele für besonders besorgniserregende Stoffe sind Steinkohlenteer, Borsäure und Kobaltdichlorid, wobei jedoch eine breite Palette von Chemikalien, die auch in vielen verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden, registriert sind.

Chemikalien wie Borsäure kommen in einer Vielzahl von industriellen und landwirtschaftlichen Prozessen zur Anwendung, können aber fortpflanzungsgefährdend sein.

AskREACH ist ein europaweites Projekt, das eine Datenbank mit Informationen über den SVHC-Gehalt bestimmter Erzeugnisse entwickelt hat. Diese Informationen kommen direkt von den Lieferant*innen, denn sie sind dazu verpflichtet, alle Informationen über besonders besorgniserregende Stoffe in ihren Produkten zur Verfügung zu stellen. Die Datenbank ist mit einer Smartphone-App verbunden, die den Nutzenden die Informationen bei Bedarf direkt und bequem liefert. Sind die benötigten Informationen noch nicht in der App vorhanden, kann die Datenbank diese automatisch bei den Lieferant*innen anfordern. Darüber hinaus wird den Lieferant*innen selbst ein digitales Werkzeug an die Hand gegeben, um die Kommunikation zu erleichtern.

Die App, Scan4Chem, ist kostenlos und funktioniert durch einfaches Scannen des Barcodes am Produkt. Derzeit ist sie in Österreich, Kroatien, der Tschechischen Republik, Dänemark (Tjek Kemien), Estland, Frankreich, Deutschland, Schweden (Kemikalieappen), Griechenland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Polen (Pytaj o Chemię), Portugal und Serbien verfügbar. Sie kann sowohl bei Google Play als auch im Apple Store heruntergeladen werden.

AskREACH hat sich zum Ziel gesetzt, mit der App und der Datenbank auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Lieferant*innen für besonders besorgniserregende Stoffe zu schärfen. Eine von AskREACH durchgeführte Umfrage ergab, dass rund 70 Prozent der Befragten aus neun von 14 Ländern entweder „äußerst besorgt“ oder „sehr besorgt“ über SVHCs waren. Sie fanden jedoch auch heraus, dass sich rund 60 Prozent der Befragten aus denselben neun Ländern als „überhaupt nicht informiert“ oder „nicht sehr gut informiert“ bezeichneten.

Vielleicht noch besorgniserregender ist der Mangel an Wissen bei den Lieferant*innen selbst. Im Dezember 2019 testete AskREACH eine Reihe von Weihnachtsdekorationen, um die Menge an SVHCs zu ermitteln. Mehr als die Hälfte enthielt mitteilungspflichtige Mengen, über die die Lieferant*innen auf Nachfrage Auskunft gaben. Die meisten anderen behaupteten einfach, ihre Produkte seien REACH-konform, übermittelten unzureichende oder irrelevante Informationen oder antworteten überhaupt nicht. Ein fundamentaler Aspekt von AskREACH besteht darin, die Lieferant*innen an ihre Pflichten gemäß der REACH-Verordnung zu erinnern und die Einhaltung der Vorschriften zu verbessern.

Es wurden bereits zahlreiche Apps entwickelt, die überprüfen, wie nachhaltig, ethisch und verantwortungsbewusst Produkte hergestellt werden. Ethical Barcode bietet Informationen über viele verschiedene Produkten und eine Rangliste in der sie diese nach Kriterien wie Umwelt, Tierversuche, Ausbeutung und LGBT-Rechte einstuft. Mehrere Apps sind auch auf bestimmte Sektoren spezialisiert. Good on You zum Beispiel bietet Informationen zu Bekleidungsmarken.

Es lässt sich darüber streiten, welche Auswirkungen Apps wie jene vom Projekt AskREACH wirklich auf das Konsumverhalten von Verbraucher*innen haben werden. Scan4Chem hat derzeit etwa 10.000 Downloads auf Google Play, was zwar nicht unbedeutend ist, aber im Vergleich zur Zahl der globalen Verbraucher*innen ein Tropfen auf den heißen Stein.

Mit der Entwicklung von mehr Apps wie Scan4Chem und dem dadurch steigenden öffentlichen Bewusstsein, könnten solche Anwendungen dennoch eine entscheidende Rolle im Einkaufsverhalten einer technisch versierteren – und auf Smartphones angewiesene – Verbrauchenden spielen.

Jüngste Umfragen haben auch gezeigt, dass sich die Verbraucher*innen zunehmend Gedanken über die Umweltauswirkungen ihrer Einkäufe machen. Laut einer Umfrage von McKinsey & Co. gaben 66 Prozent der Befragten an, dass sie beim Kauf von Kleidung auf Nachhaltigkeit achten. Diese Zahl steigt auf 75 Prozent bei den Befragten aus der Generation der Millennials.

Darüber hinaus gaben 72 Prozent der Befragten an, dass sie aktiv mehr umweltfreundliche Produkte kaufen würden als noch vor fünf Jahren, während 81 Prozent der Befragten angaben, dass sie in Zukunft noch mehr kaufen würden.

Natürlich lassen sich Umfragen nicht immer auf das wirkliche Leben übertragen, und wenn mit finanziellen Bedenken oder Zweckmäßigkeit konfrontiert, können selbst umweltbewusste Verbraucher*innen umweltschädliche Entscheidungen treffen. Aber wenn die Nutzung von Apps wie Scan4Chem und anderen für die Verbrauchenden – insbesondere für die jüngere Generation – zum Alltag wird, könnte sich die Zukunft des Konsums vielleicht in eine nachhaltigere Richtung bewegen.

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