Die Medien im Wandel: Wenn Texte abhanden kommen – FAZ.net vs. mspr0

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Der dieswöchige Blogosphärenaufreger: Die FAZ.net Redaktion nimmt ein komplettes Blog aus dem Netz, weil Bildrechte für einen Artikel nicht korrekt gehandhabt wurden.

Autor*in RESET , 26.06.10

Der dieswöchige Blogosphärenaufreger: Die FAZ.net Redaktion nimmt ein komplettes Blog aus dem Netz, weil Bildrechte für einen Artikel nicht korrekt gehandhabt wurden.

Mit zeitnahen Spekulationen und Informationen hervorgewagt hatte sich u.a. die Carta-Redaktion, der es auch zu verdanken ist, dass am Ende doch eine Stellungnahme der Redaktion veröffentlicht wurde. Robin Meyer-Lucht kommt zu dem Schluss, der Clash der publizistischen Kulturen sei eskaliert: Clash der publizistischen Kulturen: mspr0 und FAZ.net

Es gehört wenig dazu zu erahnen, dass die Bilderrechte nur der Anknüpfungspunkt und der anschließende Streit nur eine gesteigerte Eskalationsstufe eines dahinterliegenden, grundsätzlichen Konflikts darstellen: Es geht um Autorensouveränität vs. Redaktionssouveränität – also um Kontrolle.
Es geht um die Frage, welche Verfügungsgewalt das per publishing rights ermächtigte Autorensubjekt über seinen Subbereich einer Website hat, vorüber am Ende doch die Marke als Ganzes steht.

Was als interaktives Unternehmen zu Vervielfältigung der redaktionellen Inhalten auf FAZ.net begann, endet unweigerlich im Clash of Civilizations — die digital Natives / „Freien“, d.h. bloggenden, freiberuflichen Mitarbeiter vs. FAZ.net-Redakteure mit monatlichem Gehaltscheck? Malte Welding sieht die Situation der komplexen Abhängigkeiten im Medienwandel: Content is King, Contentmaker is Depp

das eigentliche Kernproblem, das in “Deutsche Blogger” zur Sprache kam, wurde allerdings völlig übersehen: Die neue Medienelite behandelt die Contentliferanten noch schlechter als die alte.

In seinem Privat-/Zweitblog HIER äußert sich Autor mspro alias Michael Seemann zur Lage: FAZ
Zu der Veröffentlichung dieses Vorgangs ließ mir FAZ.net keine Alternative. Die Redaktion hat den Blog gelöscht und hunderte Menschen klickten in’s Leere. Die Leute fragten sich was los ist. Die Bloglöschung war also bereits der Gang an die Öffentlichkeit und er wurde nicht von mir beschritten. Mein Text ist nur die Erklärung meinerseits dazu, die absolut notwendig war – alleine um Spekulationen und Gerüchte einzudämmen.

Nachdem gut einen Tag lang nur spekuliert werden konnte, gab es gestern dann auch die Stellungnahme der FAZ.net-Redaktion, die darauf besteht, dass es sich nicht um einen „systematischen Konflikt“ handele, sondern lediglich um eine „vorübergehende“ Prüfung von Bildrechten: Carta.info – Stellungnahme der FAZ: “Kein systematischer Konflikt”: Stellungnahme der F.A.Z. zur Causa Ctrl-Verlust

Daraufhin hat die Redaktion sein Blog vorübergehend gesperrt. Sie sah sich gezwungen, die Bildrechte an sämtlichen Fotos zu überprüfen und etwaige nachträgliche Veränderungen für den Fall zu verhindern, dass der Verlag der F.A.Z. mit Rechteansprüchen konfrontiert werden würde.

Dem widerspricht Blogger Seemann in einem Folgebeitrag: Archäologie des zerschlagenen Porzellans

Das Blog ist natürlich nicht zur Klärung der Bildrechte vom Netz genommen worden. Nur falls da Missverständnisse entstehen sollten: ich bin im Besitz der Mail des Redakteurs, in der nur die erste Begründung steht.

Mittlerweile ist durch die Stellungnahme auch geklärt: Die Texte dürfen wiederveröffentlicht werden und stehen der Öffentlichkeit hoffentlich bald wieder zur Verfügung.

Wie konsistent die Bildrechte in der FAZ-Redaktion gehandhabt werden, hat Marcel Weiss in einem Post aufgearbeitet. Sein Fazit: Eine Modernisierung des Urheberrechtes ist bitter nötig: neunetz – CTRL-Verlust: Auch FAZ-Redakteure missachten CC-Lizenzen
Wer sich die Modernisierung des Urheberrechts vornehmen will, muss vor allem auch darüber reden. Wenn es nicht einmal den Profis und Experten gelingt, sich ohne Verletzung von Urheberrechten im Web zu bewegen, wie soll das dann der Rest der Bevölkerung schaffen?

Die Gesamtproblematik mit der Asymmetrie in den Redaktionen aber auch der Problematik der Verwertung von Inhalten wurde vor Kurzem in der Medienradio-Folge MR023 Journalisten und Verlage umfänglich beleuchtet. Noch im April stand Blogger Michael Seemann dem Medienradio für eine volle Sendung zu seinem FAZ-Engagement zur Verfügung: MR022 MSPro.

Wie auch immer man den zweifelsohne eskalierten Konflikt interpretieren möchte, die Qualitätsinhalte des ctrl-Verlust-Blogs stehen auf den Seiten von FAZ.net nicht mehr zur Verfügung.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Die Situation zeigt, wie unausgeglichen die Verfügungsgewalt über Qualitätsinhalte im Netz teilweise ist. Produzieren Blogger für ein Medium nicht ausschließlich unter eigenem Namen, sondern im Auftrag, ist die Sicherstellung der Bereitstellung noch unsicherer. Denn: Ob ich als Autor meine Inhalte per Accountlöschung oder Sperrung selbst aus den allgemeinen Zugänglichkeiten befreie oder eine Redaktion den „un-publish“ Button drückt –- die Inhalte sind erst einmal dem Zugriff entzogen. Allerdings hat ein Autor alleinige Verfügungsgewalt, ist die Wahrscheinlichkeit des Komplettverschwindens ohne Informationsfluss geringer, als bei Veröffentlichung in der Infrastruktur anderer. Sicher gibt es bei der Veröffentlichung unter MeinName.de andere Probleme -– allerdings ist die eingeplante Ausfallzeit von Serviceprovidern keine unilaterale Bedrohung für das Vorhalten von Inhalten, die unter eigenem Namen publiziert wurden.

Till Westermayer bilanziert in seinem Blog: till we – Kontrollverlust paradox

Wer gegen Geld bloggt, gerät damit in ein Abhängigkeitsverhältnis, das gar nicht neu ist, sondern seit Jahrzehnten rechtlich und sozial geregelt ist. Da geht’s ums Urheberrecht, um Verlagsverträge, um die Arbeitsbedingungen »fester Freier« im Journalismus. Das alles bleibt beim Zeitungsbloggen unsichtbar, solange die schöne neue Medienwelt glatt zu funktionieren scheint. Sobald das Organisationsgefüge dann aber doch aufgerufen wird, taucht dieses Abhängigkeitsverhältnis auf, und es stellt sich heraus, dass das alles dann doch nochmal eine ganz andere Qualität hat als z.B. mein Verhältnis zu meinem Hoster. Und dass da ein massives Maß an Macht und Kontrolle drin steckt.

Die Möglichkeit, einfach den „Button zu drücken“ und damit das komplette Archiv aus dem Netz zu nehmen… Das plötzliche Verschwinden eines ganzen Autorenprojektes, erinnerte auf den FAZ.net-Blogseiten an das Gefühl, welches ich beim Surfen Öffentlich-Rechtlicher online-Inhalte mit Qualitätsanspruch und Mindesthaltbarkeitsdatum habe.

Aus Autorenseite ist es sicher bitter, so eine Negation von Schreibarbeit, Rechercheaufwand, Herzblut und Loyalität zum Medium hinnehmen zu müssen. Wie aber sollen die User mit den verlorenen Inhalten umgehen? Der Autor in der unangenehmen Situation den Text hoffentlich als Dokument privat irgendwo abgespeichert zu haben, ihn aber u. U. nicht mit der Öffentlichkeit teilen zu dürfen ist eine Sache. Die Links, die nun für unzählige NutzerInnen ins Leere verlaufen, sind eine andere.

Wie kontraproduktiv wäre es denn, aus Angst vor verlorenen, gelöschten oder gesperrten Verbindungen plötzlich jede Internetseite, jeden online Beitrag, jede Surftour komplett archivieren und abspeichern zu müssen? Die totale Protokollierung ist sicher nicht für den Otto-Normal-Surfer realistisch und noch weniger machbar für die 24/7 Onliner. Die Mehrfachveröffentlichung von jedem Einzelbeitrag, nur um sicherzustellen dass auch nichts verloren gehen kann, verärgert nicht nur Suchmaschinen sondern auch Rezipienten. Denn: Erschien ein Beitrag zunächst bei der FAZ.net-Community und dann im Autorenblog, ordne ich als Leserin den Text anders ein, als wenn ich ihn auf tumblr oder in einem LifeJournal-Blog finde.

Und: Sobald ein Text, ein Werk veröffentlich ist — quasi in die Public Domain im Sinne allgemeiner Zugänglichkeit entlassen — kann man das Informationsgut, das Werk überhaupt wieder „zurücknehmen“? Ist es nicht in dem Moment schon Teil der globalen Informationsphäre?

Auch wir bei RESET Nutzen die Qualitätsinhalte andere Medien zur Informationsgewinnung, -verbreitung und Recherche. Creative Commons-Lizenzen ermöglichen einen Großteil der Bebilderungen der eingestellten Verweise & Eigenbeiträge.

Wie geht ihr mit dieser inhärenten Unsicherheit in Zeiten geschlossener Netze im Netz um? Worin seht ihr die Vorteile und Gefahren seht ihr, mit Verschwindenen Portalseiten, verschwindenen Accounts und Einträgen auf die man evtl. später noch Bezug nehmen möchte? Wie geht ihr mit dieser inhärenten Informationsunsicherheit um?

MARKIERT MIT
Digitaler Aktivismus

Handys, Blogs und Social Networks: wie Aktivisten heute digitale Technologien nutzen, um für sozialen Fortschritt zu streiten, zeigen konkrete Beispiele aus der ganzen Welt - von ägyptischen Bloggern über Videoaktivisten in Syrien bis zum kenianischen Handyprojekt Ushahidi.