Die grüne Welle reiten: Fahrräder und digitale Lösungen spielen eine wichtige Rolle beim Übergang zur grünen Mobilität

Was braucht es, damit Fahrräder zum bevorzugten Verkehrsmittel werden? Und welche Rolle spielen dabei digitale Tools?

Autor Laura Preising:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 27.02.23

Von der Verbesserung der Luftqualität bis hin zur Verringerung von Verkehrsstaus – es ist klar, dass das Fahrrad als emissionsfreies, platzsparendes, leises und flexibles Fortbewegungsmittel eine entscheidende Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität spielen kann. Aber was genau ist nötig auf dem Weg zur fahrradfreundlichen Stadt? Und wie können digitale Lösungen dazu beitragen, das Radfahren für alle zugänglicher zu machen?

Die zeitlose Bedeutung des Fahrrads

Seit Jahrhunderten schon steht das Fahrrad für Freiheit und Einfachheit. Von den Hochrädern des späten 19. Jahrhunderts bis zu den Hightech-E-Bikes von heute sind Fahrräder auf unseren Straßen allgegenwärtig und ermöglichen es Menschen, mit einem Tritt in die Pedale fast überall hinzukommen.

Heute, angesichts dringend gefragter Lösungen für eine nachhaltige Mobilität, spielt das Fahrrad mit seinen unbestreitbar geringen Umweltbelastungen wieder eine entscheidende Rolle.

Saubere Luft, Vogelgezwitscher und mehr öffentlicher Raum – das können Städte gewinnen

Stell dir eine Stadt vor, in der die Luft sauber und klar ist, die Straßen weniger verstopft und die Menschen gesünder sind. Das ist bereits Realität in Städten, in denen Fahrräder als Fortbewegungsmittel die Nase vorn haben. Derzeit sind die Niederlande der Rekordhalter als Land mit den meisten Radfahrer*innen – mit fast genau so vielen Fahrrädern wie Einwohner*innen. Die Stadt, in der sich die meisten Menschen für ihre Wege aufs Rad schwingen, ist jedoch die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Fast 62 Prozent der Kopenhagener Bevölkerung nutzen Muskelkraft für ihren täglichen Weg zur Arbeit oder zur Schule, und die Stadt liegt bei der Erreichbarkeit mit dem Fahrrad an erster Stelle, direkt vor den niederländischen Städten Amsterdam und Utrecht.

Die verstärkte Nutzung der Zweiräder kann sich direkt auf die Lebensqualität der Stadtbewohner*innen auswirken. An erster Stelle verbessert sich unmittelbar die Luftqualität, sobald sich die Zahl an Verbrenner-Fahrzeugen verringert. Zudem entstehen weniger Staus und viele ehemals Autos vorbehaltenen Flächen werden für andere Aktivitäten frei. Und natürlich fördert der regelmäßige Tritt in die Pedale die Gesundheit. Eine britische Studie hat gezeigt, dass regelmäßiges Fahrradfahren mit einem um 45 Prozent geringeren Krebsrisiko und einem um 46 Prozent geringeren Risiko für Herzkrankheiten verbunden ist.

Auch auf die lokale Wirtschaft kann sich die Fahrradmobilität positiv auswirken indem beispielsweise Transportkosten gesenkt, lokale Unternehmen gefördert und neue Arbeitsplätze in der Fahrradbranche geschaffen werden, wie zum Beispiel der Aufstieg der Cargo-Bikes in der Last-Mile-Logistik zeigt.

Die wahren Kosten von Autos

Jede*r, der oder die ein Auto besitzt, weiß, wie kostspielig das werden kann. Auf den Kaufpreis kommen im Laufe der gemeinsamen Zeit Wartung und Reparaturen, Benzin, Steuern und Versicherung. Und darin enthalten sind noch nicht weitere, versteckte Kosten, die eine in der Zeitschrift „Ecological Economics“ veröffentlichte Studie versucht hat zu berechnen.

Dazu wurden 23 Faktoren ermittelt, die einem vielleicht nicht sofort in den Sinn kommen, die aber berücksichtigt werden müssen, wie Kosten für den Führerschein, Park- und Mautgebühren. Aber auch Wartezeiten im Stau wirken sich direkt auf den Geldbeutel aus. Dazu kommen Kosten für Luftverschmutzung und Flächenverbrauch, die Instandhaltung von Straßen und Infrastruktur, Lärm, Klimaauswirkungen und Einschränkungen für Radfahrende und Fußgänger*innen, die von uns allen getragen werden. Die Forschenden bezifferten diese mit rund 5.000 Euro pro Jahr und Auto. Den tatsächlichen Geldwert dieser Kosten zu berechnen ist schwierig. Klar ist jedoch, dass Autos sowohl die Halter*innen als auch die Gesellschaft einiges kosten.

Die nötige Infrastruktur für eine fahrradfreundliche Stadt

Warum ist das Fahrrad trotz all seiner Vorteile noch immer nicht das Verkehrsmittel Nummer eins? Nach Angaben des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) hatte der Radverkehr 2019 nur einen Anteil von 3,2 Prozent an der gesamten Verkehrsleistung in Deutschland, wobei dieser Anteil in den großen Städten deutlich höher liegt. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass es an einer geeigneten Infrastruktur fehlt, die die Fahrradnutzung unterstützt und fördert.

Um das Fahrradfahren zu einer echten Option für alle zu machen, müssen die Städte in die notwendige Infrastruktur investieren. Dazu gehören sichere Fahrradspuren und -wege, komfortable Fahrradabstellplätze, öffentliche Wartungs- und Reparaturstationen und die Einbindung in den öffentlichen Nahverkehr, um den Radfahrenden das Zurücklegen längerer Strecken zu erleichtern. Kopenhagen und andere Städte mit einem hohen Fahrradanteil haben schon heute bewiesen, wie wirkungsvoll diese Maßnahmen sind.

Auch die Bundesregierung misst der Förderung des Radverkehrs mittlerweile einen höhere Stellenwert auf dem Weg zu einem modernen, klimafreundlichen Verkehrssystems bei und unterstützt den Radverkehr u.a. durch den Nationalen Radverkehrsplan (NRVP). Außerdem stellt das BMDV in verschiedenen Programmen Mittel für die Förderung und Finanzierung zur Verfügung, wie zum Beispiel das Förderprogramm für innovative Modellprojekte im Radverkehr mit einem Volumen von insgesamt bis zu rund 155 Millionen Euro.

Mehr Infos dazu hier: mFund

Die Rolle von digitalen Lösungen bei der Förderung der Fahrradnutzung

Von Bike-Sharing- und Verleihsystemen, die es Menschen leichter machen, das Radfahren zum ersten Mal auszuprobieren, bis hin zu Navigations- und Routenplanungs-Apps, die dabei helfen, die sichersten und schnellsten Wege zu finden – verschiedene digitale Lösungen unterstützen dabei, das Radfahren zugänglicher und bequemer zu machen. Zudem kann ein intelligentes Verkehrsmanagement dazu beitragen, den Radverkehr voranzutreiben.

Beides zusammenzubringen – eine radfreundliche Routenplanung und bessere Infrastrukturen für Zweiräder – will Bike Citizens: Die Navi-App zeigt fahrradfreundliche Wege und gleichzeitig helfen die von den Nutzer*innen freiwillig aufgezeichneten Daten dabei, den Radverkehr besser zu verstehen und zu optimieren.

Im Kern bietet die App die Navigation für Radfahrende unterschiedlicher Erfahrungsstufen und führt sie über Radwege und verkehrsarme Nebenstraßen zum Ziel. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen mit Städten, Unternehmen und Organisationen zusammen, um den Radverkehr durch Softwarelösungen, Kommunikation und Marketingmaßnahmen zu unterstützen. Gegründet im Jahr 2011 von den Fahrradkurieren Daniel Kofler und Andreas Stückl, ist die App von Bike Citizens mittlerweile in über 450 Städten und mehr als 30 Ländern verfügbar.

Auch bundesweit bieten „MunichWays“ in München und „SiBike“ in Marburg einen ähnlichen Service an. „PrioBike“ aus Hamburg will dagegen eine grüne Welle für Radfahrende schaffen und Radfahrenden so erleichtern, in einem für Autos optimierten Verkehrssystem besser voran zu kommen. „Sie erzeugt in gewisser Weise eine ‚Pseudo-Grüne-Welle‘: Wenn sich die Radfahrenden mit Hilfe der Geschwindigkeitsempfehlungen an die Ampelschaltungen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) anpassen, haben sie in gewissen Grenzen auch eine Art Grüne Welle“, so Sven Fröhlich, der das Projekt an der TU Dresden leitet. Die Geschwindigkeitsempfehlungen basiert aus einer Prognose, für die das Entwicklerteam Daten der Ampelschaltungen mit den Informationen über die aktuelle Verkehrslage und der Position, der Fahrtrichtung und der Geschwindigkeit der Radfahrenden, die mit ihren Smartphones erfasst werden, kombiniert.

Erste Tests der App in Hamburg waren bereits erfolgreich. Ab Sommer 2023 soll die App dann zum freien Download zur Verfügung stehen.

Allen Projekten gemeinsam ist das Ziel, mithilfe digitaler Lösungen den Verkehr für Radfahrende zu verbessern und mithilfe der gesammelten Daten blinde Flecken in der Fahrradinfrastruktur einer Stadt zu finden und in Zukunft Radwege und Kreuzungen zu verbessern. Das PrioBike der Zukunft ist dann eine echte grüne Welle, also eine Verkehrssteuerung, die dem Radverkehr Vorfahrt gewährt.

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Doch natürlich ist es nicht immer leicht, solche Projekte zu initiieren. „Gerade im Bereich Verkehr ist man oft auf eine gute Zusammenarbeit mit Verwaltung und Behörden angewiesen. Wenn man von den Menschen, die dort an den entsprechenden Stellen arbeiten, keine Unterstützung bekommt, kann es schwer oder unmöglich sein, neue Ideen auszuprobieren oder neue Ansätze zu entwickeln“, berichtet Sven Fröhlich. Dazu kommt, dass die notwendigen Daten nicht immer leicht verfügbar sind. „Manchmal wissen Behörden und Verwaltung nicht einmal, welche Daten sie überhaupt haben.“ Daher arbeiten Projekte wie Freemove auch daran, die Daten für ein nachhaltigeres Verkehrssystem leichter verfügbar zu machen.

Fahrräder und digitale Technologie gemeinsam für eine grünere Zukunft

Was diese Projekte uns vor allem zeigen: Man muss das Rad nicht neu erfinden auf dem Weg in eine nachhaltige Mobilität. Aber der Radverkehr kann einen ordentlichen Anschub gebrauchen. Neue Elektroantriebe für insbesondere Transporträder bzw. Lastenräder waren zum Beispiel ein solcher Anschub für eine emissionsarme Last-Mile-Logistik.

Damit das volle Potenzial des Fahrrads ausgeschöpft werden kann, sind massive Investitionen in eine fahrradfreundliche Infrastruktur gefragt. Digitale Tools können zusätzlich wichtige Informationen sowohl für eine komfortable Fahrradkultur als auch eine fahrradfokussierte Verkehrsplanung bereitstellen.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Mobilitätswende – Smart in Richtung Klimaneutralität“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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