Weltweit sind tiefgreifende Maßnahmen gefragt, um den fortschreitenden Klimawandel aufzuhalten. Dabei geht es an erster Stelle natürlich darum, dass wir in allen Bereichen unsere Emissionen an CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen deutlich senken müssen. Aber es geht auch darum, das CO2, das wir bereits in die Erdatmosphäre gepustet haben, wieder herauszufiltern oder mindestens auf ein klimaverträgliches Maß zu senken. Während dazu einerseits an High Tech-Lösungen getüftelt wird, die mal mehr, mal weniger Sinn ergeben, gibt es auch eine Vielzahl an naturbasierten Lösungen, die weiter im Fokus bleiben müssen. Eine neue Methode hat den Blick (mal wieder) auf unsere stillen Mitbewohner auf diesem Planeten gelenkt: Bäume.
Schon lange ist bekannt, wie wichtig Wälder sowohl für das Mikroklima in einzelnen Regionen als auch das Klima der Erde insgesamt sind. Denn sie „ernähren“ sich von CO2 und wandeln das klimaschädliche Gas in für uns überlebenswichtigen Sauerstoff um. Ein Forscherteam der ETH Zürich hat nun einige spannende Zahlen ermittelt:
Zwei Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen könnten unserer Atmosphäre entzogen werden, wenn wir weltweit Wälder auf einer Fläche von 900 Millionen Hektar aufforsten.
Entstanden ist die Studie am Crowther Lab an der ETH Zürich, in dem an naturbasierten Lösungen gegen den Klimawandel geforscht wird. Für ihre Studie haben die Forschenden unseren Erdball mit Hilfe von Satelliten- und Felddaten danach abgescannt, wo neue Bäume wachsen könnten und wie viel Kohlenstoff sie dann speichern würden. Dabei haben die Forschenden neue methodische Standards gesetzt: Sie haben das Potenzial der Aufforstung mit hoher räumlicher Auflösung und mit Hilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz berechnet. „Damit können geographische Unterschiede viel besser als bisher berücksichtigt werden. Hiermit wird auch gezeigt, dass die künstliche Intelligenz ein großes Potenzial für die Klimawissenschaften und speziell auch für die Abschwächung des Klimawandels bietet“, kommentiert Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin die Ergebnisse der Studie.
Überraschend großer Effekt
Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass unter den aktuellen klimatischen Bedingungen die Erde mit rund 4,4 Milliarden Hektar Wald bedeckt sein könnte, also 1,6 Milliarden mehr als die derzeit vorhandenen 2,8 Milliarden Hektar. Von diesen 1,6 Milliarden Hektar erfüllen 0,9 Milliarden Hektar wiederum das Kriterium, nicht von Menschen genutzt zu werden. Wie Jean-François Bastin, Studienleiter und Postdoc am Crowther Lab, in einer Pressemitteilung der ETH Zürich erklärt, wurden „Städte und landwirtschaftliche Flächen von der gesamten Fläche, die das Potenzial zur Wiederaufforstung hat, ausgeschlossen, denn diese Gebiete braucht der Mensch anderweitig.“ Damit stünde derzeit also ein Gebiet zur Aufforstung bereit, dass der Größe der USA entspricht. Sobald die neuen Wälder ausgewachsen wären, könnten sie 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern – also etwa zwei Drittel der 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die wir Menschen seit der industriellen Revolution bis heute in die Atmosphäre befördert haben.

„Wir alle wussten, dass die Aufforstung der Wälder einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten könnte, aber bislang war unklar, wie groß der Effekt wäre. Unsere Studie zeigt deutlich, dass Flächen zu bewalden derzeit die beste verfügbare Lösung gegen den Klimawandel ist. Allerdings müssen wir schnell handeln, denn es wird Jahrzehnte dauern, bis die Wälder reifen und ihr Potenzial als natürliche CO2–Speicher ausschöpfen“, erklärt ETH-Professor Tom Crowther, Mitautor der Studie und Gründer des Crowther Lab.
Größtes Potenzial in sechs Ländern
Die Studie zeigt auch, wo eine Aufforstung am besten möglich wäre. Dabei stehen die größten Flächen in nur sechs Ländern zur Verfügung: Russland (151 Millionen Hektar), USA (103 Millionen Hektar), Kanada (78,4 Millionen Hektar), Australien (58 Millionen Hektar), Brasilien (49,7 Millionen Hektar) und China (40,2 Millionen Hektar).
Schön wäre es, wenn wir also sofort mit dem Bäumepflanzen loslegen könnten. Doch so einfach ist das leider nicht. Auch wenn in Russland zum Beispiel die Voraussetzungen eigentlich optimal sind, da hier in den letzten Jahren riesige Waldbrände gewütet haben und die betroffenen Flächen sich zur Wiederbewaldung anbieten, stellt sich die Frage, inwieweit hier eine aktive Wiederbewaldung gefördert werden kann. „Dazu fehlen die technischen Mittel, Arbeitskräfte und auch eine verlässliche institutionelle Unterstützung für solche Maßnahmen – anders als zum Beispiel in China“, sagt Dr. Marcus Lindner, leitender Wissenschaftler im Forschungsbereich Resilienz am European Forest Institute (EFI) in Bonn. Auch in allen anderen Ländern ist ein starker politischer Wille notwendig für solche großangelegten Waldpflanzungen. Einzelne Baumpflanzungen machen leider noch lange keinen Wald…
Doch die Zeit drängt. Denn die neuen Wälder brauchen Zeit, bis sie relevante Mengen CO2 aufnehmen können. Gleichzeitig weisen die Autor*innen der Studie darauf hin, dass die errechnete Fläche immer mehr schrumpft, je später mit dem Aufforsten begonnen wird. Durch den fortschreitenden Klimawandel stehen global betrachtet immer weniger für Wälder geeignete Lebensräume bereit.
Weltrettung = Waldrettung
Während auf der einen Seite Bäume gepflanzt werden, werden auf der anderen Seite Wälder abgeholzt – das klingt paradox, ist aber aktuell globale Realität. Daher betonen viele Experten, dass wir nicht nur auf Aufforstungsmaßnahmen setzen sollten, sondern gleichzeitig auch die Entwaldung riesiger Flächen stoppen und in resiliente Wälder investieren müssen, allen voran in Brasilien und Indonesien.
Die Gemengelage am Waldschwund ist komplex. Eine entscheidende Rolle spielt zum Beispiel auch die deutsche und europäische Fleischproduktion. Geflügel, Schweine und Rinder werden in der Massentierhaltung nämlich vorwiegend mit Soja gefüttert, der auf brasilianischem Boden gewachsen ist – auf dem sich tropischer Regenwald befand, bevor die Flächen für das Futtermittel abgeholzt wurden. „Verbraucher können also ihren Beitrag leisten, indem sie den Fleischkonsum einschränken. Das Bundeslandwirtschaftsministerium sollte sich von der Agrarlobby lösen und eine rasche und vollständige Umstellung auf ökologische und artgerechte Landwirtschaft vorantreiben, die deutlich weniger Soja als Futtermittel braucht“, erläutert Prof. Dr. Felix Creutzig.
Doch nicht nur der Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen lässt unsere Wälder schrumpfen. Viele Wälder weltweit sind durch Monokulturen und die schon jetzt spürbaren Auswirkungen des Klimawandels geschwächt und anfälliger für Krankheiten, Schädlinge und Waldbrände. Global muss es daher darum gehen, Wälder durch entsprechende Maßnahmen wieder resilienter zu machen. Hierzulande bedeutet das zum Beispiel, die hochgradig brandgefährdeten Kiefernbestände – die besonders gehäuft in Nordost-Deutschland wachsen – in weniger anfällige Mischbestände umzuwandeln. Konsequent verfolgt wird das aktuell jedoch nicht.
Die Agenda für einen wirksamen Klimaschutz
Die Aufforstung alleine ist damit keine Wunderwaffe, aber neben anderen Maßnahmen, wie eben auch dem Erhalt bestehender Wälder, ein wichtiger Teil der Lösung. Hoffen wir also, dass sich die Ergebnisse der Studie herumsprechen und Regierungen weltweit weitreichende Maßnahmen in die Wege leiten, die bestehende Wälder schützen und neue Wälder wachsen lassen. Aber bis es soweit ist müssen wir nicht untätig sein, denn:
Die Aufforstung kann beginnen!
Ein Tool auf der Website des Crowther Lab ermöglicht es Nutzenden, einen beliebigen Ort der Welt zu wählen und herauszufinden, wie viele Bäume dort wachsen könnten und wie viel Kohlenstoff sie speichern würden. Zudem bietet es auch Listen von Waldrestaurierungsorganisationen, die man unterstützen kann. Und neben der kritischen Hinterfragung des eigenen Fleischkonsums ist es auch möglich, mit einer nachhaltigen Geldanlage Wälder wachsen zu lassen. Diese und weitere Tipps findest du hier: Schütze den Wald!
Alle Experten-Statements sind dem Presse-Briefing des Science Media Centers (SMC) entnommen.