DIBIChain: Die komplette Lieferkette von Produkten in einer Blockchain

Eine Lebenszyklusanalyse bringt Licht in die Umweltwirkung von Produkten und die soziale Verantwortung von Unternehmen.

Von der Produktion über die Nutzung bis hin zur Entsorgung – die Lebenszyklusanalyse offenbart die Ökobilanz von Produkten und mögliche Stellschrauben. Die DIBIChain soll das erleichtern.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 31.08.22

Wie viel Energie verbraucht ein Produkt innerhalb seines gesamten Lebens? Und welche Auswirkungen auf die Umwelt hat es? Hersteller*innen wie Shiftphone oder Nager IT, die sich aufgemacht haben, Produkte mit minimalem ökologischen und sozialen Fußabdruck zu entwickeln, haben darauf eine klare Antwort. Die genaue Rückverfolgung und Analyse sämtlicher Materialien, Prozesse und steht hier am Anfang von jedem neuen Produkt. Allen anderen kann eine sogenannte Lebenszyklusanalyse (auch bekannt als Umweltbilanz, Ökobilanz oder life cycle assessment bzw. LCA) helfen.

Bei einer Lebenszyklusanalyse werden sämtliche Umweltwirkungen während der Produktion, der Nutzungsphase und der Entsorgung eines Produktes sowie die damit verbundenen vor- und nachgelagerten Prozesse – zum Beispiel die Herstellung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe – analysiert. Zu den Umweltwirkungen gehört zum Beispiel die Entnahme von Erzen und Rohöl, aber auch sämtliche Emissionen wie Abfälle und CO2-Emissionen.

Darin, den kompletten Lebensweg eines Produktes nachzuverfolgen, steckt die Chance, bisher unbekannte Produktkreisläufe mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt ausfindig zu machen. Außerdem können die daraus gewonnen Erkenntnisse Hersteller*innen dabei helfen, neue, umwelt- und klimaschonende Designs und Prozesse zu entwickeln als auch gelungene Umsetzungen transparent zu kommunizieren.

Ziemlich verstrickt: Lieferketten

In dieser Kupfermine in Chile werden die Rohstoffe für neue Produkte gewonnen. Nach welchen Standards hier gearbeitet wird, wissen die meisten Hersteller nicht.

Doch aktuell stellt das LCA ihrer Produkte die meisten Unternehmen noch vor große Herausforderungen. Ein Hauptgrund dafür sind lange und komplexe Lieferketten, die sich durch Länder und Kontinente ziehen. Während die Rohstoffe eines Produktes aus den Ländern A und B stammen, werden die Einzelteile in Land B, C und D vorgefertigt, dann in Land E zusammengefügt und in Land F finalisiert. Bei der Entsorgung und dem Recycling steht oft eine ähnlich lange Reise an.

Derartig komplexe Lieferketten bestehen nicht nur aus langen Wegen, sondern hinter jedem „Knotenpunkt“ verbergen sich auch jede Menge nicht immer leicht zugänglicher Informationen – und damit jede Menge Daten. Daher haben viele Hersteller*innen keinen Überblick über das, was unterwegs passiert. Menschenrechtsverletzungen und negative Umweltauswirkungen bleiben oft im Dunklen. Doch die Zeiten, in denen sich Unternehmen durch Unwissenheit aus der Verantwortung stehlen können, scheinen sich zu ändern.

Mehr und mehr Staaten halten ihre Unternehmen zu Sorgfalt in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen an und drängen darauf, Licht in die Lieferketten zu bringen. Auch in Deutschland tritt 2023 ein neues Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft, das Unternehmen in die Pflicht nehmen soll, international anerkannte Menschenrechte und bestimmte Umweltstandards in ihren Lieferketten einzuhalten.

Lieferkettengesetz

Berichte über brennende oder eingestürzte Fabriken, Kinderarbeit oder zerstörte Regenwälder zeigen: Freiwillig kommen viele Unternehmen ihrer Verantwortung in globalen Lieferketten nicht ausreichend nach. Das soll sich mit dem 2023 in Kraft tretenden Lieferkettengesetz ändern.

Laut der Initiative Lieferkettengesetz umfasst das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz eine Reihe zivilgesellschaftlich wichtiger Punkte, die potenziell zu einer größeren menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt von Unternehmen beitragen. Gleichzeitig greife das Gesetz an vielen Stellen zu kurz, da das Gesetz nicht schon am Beginn der Lieferketten ansetzt, wo ein Großteil der Menschenrechtsverletzungen stattfindet. Außerdem werden Umweltaspekte nur marginal berücksichtigt, massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust und Klimawirkungen werden nicht erfasst. Und:  Gerade einmal rund 1 Prozent aller Unternehmen in Deutschland fallen darunter.

Es scheint also (endlich) wichtiger zu werden, dass Unternehmen den kompletten Lebensweg ihrer Produkte kennen. Und das kann nicht nur dabei helfen, den ökologischen und sozialen Fußabdruck von Produkten zu ermitteln, sondern auch zu einer Kreislaufwirtschaft beitragen. Denn wenn alle Rohstoffe und Komponenten bekannt sind, sind diese auch leichter weiterzuverwenden oder zu recyclen. Insbesondere neue Technologien können dabei unterstützen, sämtliche Informationen zu sammeln und zusammenzuführen. An einer solchen Technologie arbeitet auch das Forschungsprojekt DIBIChain.

„Die Aspekte Wiederverwertung und nachhaltigere Produktentwicklung waren Ausgangspunkt für die Initiierung unseres Projektes“, berichtet Andreas Kötter, Senior Manager Technology & Innovation bei Capgemini Engineering. „Da kaum ein Hersteller weiß, welche Materialien und Prozesse in seinem Produkt stecken, kann dieser bisher auch nur schwer erfassen, wie nachhaltig es ist und welche Recycling-Schritte geeignet sind. Die DiBiChain erlaubt es, 100 Prozent aller Daten aus der Lieferkette zu erfassen, zu sortieren, aufzubereiten und sie so für ein maximal nachhaltiges Produkt zu verwenden.“

DIBIChain – Produktinformationen auf eine digitale Kette „fädeln“

Wo und unter welchen Bedingungen die einzelnen Komponenten montiert werden, ist oft nicht transparent – weder für die Kund*innen, noch für die Hersteller*innen.

Das Projekt DIBIChain, das vom BMBF gefördert und unter der Leitung von Capgemini Engineering zusammen mit dem Blockchain Research Lab, Airbus, Chainstep und iPoint umgesetzt wird, entwickelt eine Blockchain-Anwendung, in der sämtliche Daten eines Produktlebenszyklus zusammenfließen sollen. Die sogenannte DIBIChain soll dann dabei helfen, Produktentwicklungsprozesse fair, sicher und ökonomisch zu gestalten.

Capgemini Engineering

„Jeder Teilnehmer aus der Lieferkette gibt seine für das Lifecycle Assessment relevanten Daten verschlüsselt auf die DiBiChain. Damit wird ein Tracking der Materialien, deren Veredelung und Verarbeitung – von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Rückführung in die Stoffkreisläufe – ermöglicht“, erklärt Andreas Kötter. „Generell kann durch den Einsatz der Blockchain mehr Transparenz in den gesamten Lebenszyklus eines Produktes gebracht werden, wodurch nicht nur eine Sammlung sämtlicher nachhaltigkeits-relevanten Informationen möglich ist, sondern auch auf problematische Inhalte hingewiesen werden kann.“ So können die Hersteller*innen nicht nur sicherstellen, dass soziale und ökologische Standards über den gesamten Produktlebenszyklus eingehalten werden, sondern auf diesem Weg auch den Einsatz seltener Erden oder anderer bedenklicher Rohstoffe identifizieren und unmittelbar nach Alternativen suchen. Und da auf diesem Weg die Herstellerinnen von Komponenten direkt kontaktiert werden können, um Informationen über die Materialien oder das Dismantling anzufragen, besteht zudem auch die Chance, die Recyclingquoten zu steigern bzw. Produktkreisläufe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu schließen.

Damit soll die aktuell noch in der Entwicklung befindliche Software DIBIChain als unabhängige, unveränderbare und vertrauenswürdige Kommunikationslösung für die gesamte Lieferkette dienen, um verlässliche und integre Informationen über Produkte zu erhalten. Und das auf´s Kilo genau: „Auf Basis des Endproduktes kann bewertet werden, wie viele Informationen bereits erfasst sind. Wenn also ein Endprodukt 1.000 Kilo wiegt, kann man anhand der Blockchain bestimmen, wie viele Kilo Material für ein ganzheitliches Lifecycle Assessment (LCA) noch fehlen“, sagt Kötter.

Um der Grundidee der Transparenz über die gesamte Lieferkette gerecht zu werden und gleichzeitig den Datenschutz zu berücksichtigen und das geistige Eigentum der teilnehmenden Unternehmen zu schützen, ist eine modulare Architektur entworfen worden. „Die Blockchain-Technologie lässt sich in unterschiedlichen Formen konfigurieren. Im Projekt DiBiChain haben wir eine Variante gewählt, in welcher Daten dezentral und inklusive Hoheitsrechte gespeichert werden können. Das bedeutet, dass jeder Nutzer (also Hersteller und Zulieferer) sämtliche preisgegebenen Informationen kontrollieren kann“, so Andreas Kötter.

Die abgelegte Information kann mithilfe der entworfenen Architektur zusätzlich mit weiteren Informationen angereichert und diese dementsprechend auch abgefragt und mit anderen Teilnehmer*innen in der Lieferkette geteilt werden. Allerdings geschieht dies nur auf Anfrage und nach Genehmigung der teilenden Partei, da die Datenströme verschlüsselt sind und die Teilnehmer*innen der Lieferkette nicht automatisch bekannt gemacht werden.

Die Entsorgung und das Recycling von Produkten lassen sich mit genauen Kenntnissen über die Bestandteile erleichtern.

Blockchain = hoher Energieverbrauch?

Wer sich in den letzten Jahren mit Distributed-Ledger-Technologien beschäftigt hat, wird sich jetzt wahrscheinlich fragen, wie um den Energieverbrauch der Blockchain steht, hat ihr prominentester Vertreter, Bitcoin, doch vor allem wegen des enorm hohen Energiehungers für Schlagzeilen gesorgt. Wie Kötter berichtet, basiert die in DiBiChain genutzte Blockchain auf Ethereum, „eine sehr energieeffiziente Technologie, die nur geringen Speicherplatz benötigt und gleichzeitig eine begrenzte Anzahl an Vervielfältigung der Daten sicherstellt. Der Energieaufwand ist somit sehr gering.“

Der hohe Energieverbrauch entsteht bei der Bitcoin-Blockchain hauptsächlich durch das Mining, bei der speziellen Anwendung der DIBIChain spielt das aber keine große Rolle. Daher ist davon auszugehen, dass bei der Lieferkettenverfolgung ein Blockchain-basierter Ansatz nachhaltiger sein wird als der papierbasierte, arbeitsintensive Prozess, der derzeit existiert.

Die DIBIChain richtet sich grundsätzlich an alle Hersteller*innen – vorausgesetzt natürlich, sie möchten ihre Lieferkette bezüglich Nachhaltigkeit optimieren und gleichzeitig die Datenhoheit ihrer Zulieferer wahren. „Gleichzeitig ist die DiBiChain auch in der Lage, die Inhalte des Lieferkettengesetzes abzubilden und zu validieren. Aufgrund der flexiblen Architektur ist sie unbegrenzt erweiterbar“, so Kötter.

Das 1,5-Grad-Ziel ist ohne eine echte Transformation unseres Energiesystems unerreichbar. Aber wie kann sie gelingen? Was sind die Energiequellen der Zukunft? Welche digitalen Lösungen stehen bereit und wo sind Innovationen gefragt? Und wie kann die Transformation vorangetrieben werden?

Das RESET-Greenbook „Energiewende- Die Zukunft ist vernetzt“ stellt digitale, innovative Lösungen vor und beleuchtet die Hintergründe.

Bis die DiBiChain in Unternehmen eingesetzt werden kann, müssen noch weitere Arbeiten im Bereich User Interface und die Anpassung an die unternehmensspezifischen Prozesse gemacht werden. Das User Interface ist seit den Anfängen der Blockchain ein großes Thema und absolut entscheidend, damit solche Anwendungen von großen, traditionellen Unternehmen angenommen werden, die dazu neigen, risikoscheu zu sein. Damit Unternehmen, die einen Unterschied machen wollen, wirklich auf Anwendungen wie die DiBiChain setzen, müssen diese einfach zu implementieren und zu verwenden sein.

Auf Seite der Unternehmen ist nach Angaben des Forschungsteams durchaus Interesse vorhanden. Doch solange ein LCA keine Verpflichtung ist, werden sich wahrscheinlich nur die wenigsten Unternehmen nach passenden Technologien umsehen, obwohl es neben DIBIChain noch eine reihe weiterer Anwendungen mit einem ähnlichen Ziel gibt. Die Cloud-Plattform Sustainabill zum Beispiel unterstützt Unternehmen bei der Durchführung der dringend benötigten Due-Diligence-Prüfungen und sorgt für Transparenz in den Lieferketten. Textile Trust will zukünftig die Lieferketten in der Textilbranche auf einer offen zugänglichen Plattform übersichtlicher machen und auch MineSpider setzt auf eine Blockchain, um Konfliktmineralien aus Lieferketten zu verbannen. Es bleibt also zu hoffen, dass weitere Umweltstandards und strengere Lieferkettengesetze, die verstärkt ökologische Aspekte in den Blick nehmen, in den nächsten Jahren verpflichtend für alle Unternehmen kommen werden.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Energiewende – Die Zukunft ist vernetzt“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

Mehr Informationen hier.

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