Mit der U-Bahn die Wohnung heizen

Unterirdische öffentliche Verkehrssysteme gibt es in vielen Städten weltweit – und dort unten ist es stets mollig warm. Eine neue Studie aus der Schweiz hat untersucht, wie die Wärme aus U-Bahntunneln zum Heizen und Kühlen von Wohnungen genutzt werden könnte.

Autor RESET :

Übersetzung RESET , 29.08.19

Vermutlich jeder Stadtbewohner kennt das wohlige Gefühl, in den kalten Wintermonaten in eine U-Bahnstation hinabzusteigen und dort von einem warmen Luftzug umweht zu werden. Man ist dort nicht nur vor der eisigen Luft geschützt und der Erdwärme näher, sondern zusätzlich wird durch die ein- und ausfahrenden Züge Wärme erzeugt. Diese verteilt sich in den Tunneln und tritt aus den Eingängen aus. Könnte man diese Wärme nicht sinnvoll nutzen? In einer aktuellen Studie haben Forschende in der Schweiz genau diese Frage untersucht und kamen zu dem Ergebnis, dass die von öffentlichen Verkehrsmitteln erzeugte Wärmeenergie über das ganze Jahr hinweg zum Heizen und Kühlen von Wohnungen genutzt werden könnte.

Lausanne – die erste Stadt, die die Abwärme ihrer Metro nutzt?

Man kennt das Lausanne in der Schweiz vielleicht als Hauptstadt der Olympischen Spiele, doch die kleine Stadt mit ihren rund 138.000 Einwohnern erlangte auch Berühmtheit als „kleinste Stadt der Welt mit einem Schnellverkehrssystem“: Ihr U-Bahnsystem umfasst gerade einmal 28 Stationen. Und wenn die künftige Metrolinie (M3) gebaut wird, könnte sie außerdem die erste Stadt der Welt sein, die über ein Verkehrssystem verfügt, das in der Lage ist, die eigene Abwärme zu nutzen.

Zwar kann man sich leicht vorstellen, dass Züge durch Brems- und Beschleunigungsvorgänge Wärme erzeugen. Es hat sich jedoch als schwierig erwiesen, die genaue Menge der vom Zug zum Bahnhof übertragenen Wärmeenergie zu berechnen. Die Forschenden des EPFL-Instituts in Lausanne gelang es nun zu ermitteln, wie man den Koeffizienten der Konvektionswärmeübertragung dieses Prozesses misst – und mit diesen Daten können sie vorhersagen, wie viel Energie durch die Nutzung der überschüssigen Wärme der geplanten M3 eingespart würde.

Niedrige Kosten, große Wirkung

Die Zahlen sind vielversprechend: Laut der Forscherin Margauz Peltier könnte die anstelle der Gasheizung eingesetzte Sekundärwärme „die CO2-Emissionen der Stadt um zwei Millionen Tonnen pro Jahr senken“. Das entspricht dem jährliche CO2-Äquivalent von mehr als 385.000 Personenkraftwagen oder dem Energiebedarf von 217.000 Wohnungen, so die Environmental Protection Agency. Mindestens 1.500 lokale Wohnungen mit der Fläche von 80 m2 könnten beheizt werden, wenn die Technik nur für die Hälfte der Tunnelfläche angewendet würde. Wie ein Kühlschrank würde das System je nach Jahreszeit mit Wärmeträgerflüssigkeit entweder heißes oder kaltes Wasser zirkulieren lassen. Damit würden nicht nur 80 Prozent des Heizbedarfs der Stadt im Winter, sondern auch der Kühlbedarf im Sommer gedeckt. Und die Wärme könnte auch gespeichert werden, was die Möglichkeiten der Nutzung noch erweitert.

Das neue System ist weder besonders komplex in neue Tunnel einzubauen noch mit hohen Wartungskosten verbunden. Obwohl die Technologie noch nicht in großem Maßstab angewendet wurde, sagen die Autoren der Studie, dass sie „ausgereift“ genug sei, um in der gesamten Stadt eingeführt und umgesetzt zu werden. Darüber hinaus überzeuge sie durch ihre wartungsarme und langlebige Funktionalität. Jetzt liegt es an den lokalen Unternehmen, das Projekt zu unterstützen und seine Umsetzung zu finanzieren.

Das Projekt ist nicht das erste, das Tunnel als Quelle für oberflächennahe Geothermie untersucht, frühere Fälle sind jedoch nicht über die Testphase hinausgegangen. Beispiele sind die U-Bahn U6 in Stuttgart, die U2 in Wien sowie Tunnelabschnitte im Jenbach (Österreich) und in Turin (Italien). Laut EPFL ebnet diese neue Forschung „den Weg für innovative Anwendungen mit sogenannten Energietunneln, die die Energieversorgung von Gebäuden ermöglichen“.

Abwärme ist überall

Die Liste von Projekten, die sich auf thermische Innovationen im täglichen, urbanen Kontext konzentrieren, wächst. Um nur einige Beispiele zu nennen: Das schwedische Unternehmen Enjay nutzt die Abwärme aus Restaurants zum Heizen und Kühlen, Stimergy beheizt ein Pariser Schwimmbad mit der Abwärme aus einem 3D-Animationsstudio und das dänische Unternehmen Refarmed nutzt überschüssige Wärme aus großen Gebäuden, um Lebensmittel auf dem Dach anzubauen. 

Obwohl all diese Projekte sehr spannend sind, arbeiten sie jedoch allesamt in einem eher kleinen Umfang. Das Wärmerecycling des M3-Projekts hätte in Bezug auf eingesparte CO2-Emissionen eine deutliche größere Wirkkraft – und diese würde natürlich enorm steigen, wenn die Technologie auch in anderen geothermischen Tunneln eingesetzt würde. Bleibt also zu hoffen, dass die Schweizer Stadt nicht nur für die Olympischen Spiele ein Leuchtturm sein kann, sondern auch für geothermische Innovationen!

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lydia Skrabania. Das Original wurde zuerst auf unserer englischsprachigen Seite veröffentlicht.

BoxPower: Solarstrom für netzferne Gegenden und Katastrophengebiete

Ein US-Startup hat ein transportables Solarsystem für vom Stromnetz abgeschiedene Gegenden entwickelt. Das System kommt in einem Frachtcontainer und kann damit auch schnell in Katastrophengebieten eingesetzt werden.

Elektro-Scooter auf Berlins Straßen: Ein umweltfreundliches Verkehrsmittel?

Mit Strom angetriebene Leih-Roller sind das neueste Sharing-Verkehrsmittel in immer mehr Städten. Können die Fahrzeuge zur Verkehrswende beitragen? Und wie steht es um ihre Ökobilanz?

Mit der Abluft aus Restaurants heizen und kühlen?

Das schwedische Startup Enjay hat ein System entwickelt, mit dem man die Wärmeenergie aus verdreckter Abluft speichern und wiederverwenden kann.

Lastenfahrräder: Die Zukunft des emissionsfreien Transports

Die Lieferung per LKW oder Auto ist Schnee von gestern: Das Lastenfahrrad Armadillo aus Schweden kann bis zu 150 Kilogramm transportieren – völlig emissionsfrei.

Der zweite Solarzug der Welt auf dem Weg zum Machu Picchu

In diesem Sommer wird der zweite Solarzug der Welt Fahrt aufnehmen. „La Quebrada“ lädt zu einer Reise durch Südamerika ein.

In Kopenhagen wird das Dach eines Einkaufszentrums zu einem städtischen Bauernhof

Refarmed ist Teil einer wachsenden Bewegung, die die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, verändert.

WeCycle – Recycling per Fahrrad in Nigerias Slums

Das Sozialunternehmen WeCycle will Anreize für Recycling schaffen: In Nigerias Millionenstadt Lagos wird mit Cargo-Fahrrädern Plastikmüll bei Familien abgeholt, zu denen die städtische Müllabfuhr nicht kommt.

artem-verbo-86719
Pixabay
In Paris werden Schwimmbäder mit der Wärme von Servern und Abwasser beheizt

Ein Schwimmbad, dessen Wasser mit der Abwärme der Server beheizt wird, mit denen dein nächster Animationsfilm produziert wird? Das geht!

karte_dezentrales_prinzi_cloudheat
Cloud&Heat
Cloud&Heat verwandelt die Wärme aus Servern in warmes Wasser

Mit zunehmender Digitalisierung steigt der Bedarf an Servern, um die enormen Datenmengen speichern und verarbeiten zu können. Mit einem Serverschrank, der Wasser erhitzen kann, macht das Dresdner Startup Cloud&Heat die dabei entstehende Abwärme sinnvoll nutzbar.