Es ist ein Teufelskreis: Einerseits ist gerade in den letzten Jahren das Bewusstsein für die negativen Folgen von Plastik gewachsen, nicht zuletzt das 2021 in Kraft tretende Verbot bestimmter Plastikartikel in der EU ist ein deutliches Zeichen in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor einen ungebrochenen Boom bei der Plastikproduktion. Das Problem: 99 Prozent des Plastiks werden aus fossilen Brennstoffen hergestellt; die dabei freigesetzten klimaschädlichen Emissionen sind enorm. Und seit den 50er Jahren wurden nur neun Prozent des gesamten weggeworfenen Kunststoffs recycelt. Mit dem weitaus größeren Teil haben wir unseren Planeten geflutet – und noch immer landen täglich riesige Mengen unseres Plastikmülls auf Halden in Ländern Asiens.
Auch wenn viele Umweltschutzverbände schon seit Jahrzehnten auf das Problem hinweisen, scheint sich der gewaltige Fußabdruck unserer „Kunststoffwelt“ erst jetzt abzuzeichnen. Für ein wirkliches Umsteuern ist daher fundiertes Wissen über die Ursachen, die Interessen, die Verantwortlichen sowie die Auswirkungen der Plastikkrise gefragt. Genau hier setzt der Plastikatlas der Heinrich Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem BUND an, der vor wenigen Tagen erschienen ist.
In 19 Kapiteln werden, anschaulich illustriert mit vielen Infografiken, sämtliche Stufen auf dem Lebensweg von Plastikprodukten abgehandelt, angefangen bei der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung. Wie kam es dazu, dass der billige Kunststoff die Welt eroberte? Was macht das Plastik in unseren Körpern und warum reagieren Frauen und Männer unterschiedlich? Warum ist Plastik nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Klimaproblem? Wie steht es um die Ökobilanz von Bioplastik? Und vor allem: Wie geht es auch ohne? Diese und andere Herausforderungen und Stellschrauben werden im Plastikatlas ausführlich dargestellt.
Am Ende steht eine Erkenntnis: Auch wenn wir als Verbraucher*innen natürlich nicht unbeteiligt sind an einem aus den Fugen geratenen Plastikkonsum – Stichwort Wegwerfmentalität – so lassen sich wirklich weitreichende Veränderungen nur erzielen, wenn ganz woanders die Weichen gestellt werden: auf Ebene der international agierenden Unternehmen. Die Kunststoffproduktion ist ein nachgelagerter Zweig der gigantischen petrochemischen Industrie. Dabei stellen nur ein paar dutzend Unternehmen den Großteil der Produkte her und nur eine Handvoll multinationaler Konzerne dominiert den Markt der Plastik-Pellets, der Rohform von Kunststoffen. Und diese Konzerne haben eine starke Lobby, die gut organisiert dafür sorgt, dass die wachsende Produktion von Kunststoffen als Problem aus dem Blick gerät. Stattdessen lenkt sie die Aufmerksamkeit auf das Abfallmanagement und Recycling und drückt sich so vor der Verantwortung. Die Folge: Es gibt eine Vielzahl an Abkommen und Initiativen mit der Aufgabe, die Plastikflut einzudämmen. Doch beinahe alle behandeln nur die Entsorgung und lassen die Hersteller außen vor. Verbindliche Regelungen, die die Hersteller verpflichten, die Produktion zu drosseln oder recyclingfreundliche Produkte zu entwickeln, bestehen bisher kaum.
Wie aber lässt sich der Teufelskreis denn nun beenden?
Nach wie vor ist es wichtig, als Verbraucher*in mit dem eigenen Konsumverhalten ein Zeichen zu setzen und Druck aufzubauen. Nur so können wir der Plastikkrise auf die politische Agenda verhelfen. Von den weltweit über 400 Millionen Tonnen Plastik, die pro Jahr produziert werden, sind Verpackungen für mehr als ein Drittel verantwortlich. Hier anzusetzen macht Sinn, zumal sich die meist nur einmal genutzten Verpackungen oft recht einfach ersetzen lassen, z.B. mit Precycling. Weitere Tipps findest du auch hier: Du hast genug vom Plastikwahn? Es geht auch anders!
Aber um einen tatsächlichen Umschwung zu bewirken müssen Regierungen weltweit neue Regulierungen für die Big Player im Plastik-Geschäft beschließen. In deren Anzahl ist überschaubar, wie der Plastikatlas betont.
Den Plastikatlas 2019 gibt es als pdf oder Printversion.