Der Bauernhof als Genossenschaft: In den Niederlanden werden Familien gemeinsam zu Erzeugern

Gemeinschaftliche Bauernhöfe sollen Konsument*innen wieder stärker mit der Lebensmittelerzeugung verbinden.

Im niederländischen Boxtel betreiben Familien gemeinsam einen Bauernhof, um eine nachhaltige, lokale Landwirtschaft zu fördern.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Mark Newton, 22.08.19

Die globale Agrarwirtschaft ist für rund 14 bis 18 Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, so die Angaben des World Resources Institute (WRI) und der UN Food and Agricultural Organization (UN FAO). Damit ist sie etwa gleichauf mit dem Verkehrssektor und nur geringfügig hinter der Energie- und Heizungsindustrie.

Ein Großteil dieser Emissionen ist auf die immer intensiveren und industrielleren Methoden der modernen Landwirtschaft zurückzuführen, insbesondere in Bezug auf die Fleischproduktion. Um die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern und auch ein neues Verhältnis zu Lebensmitteln aufzubauen, will ein Projekt im Süden der Niederlande wieder zurück zu landwirtschaftlichen Ursprüngen: Die Genossenschaft Herenboeren mit Sitz in Boxtel hat einen landwirtschaftlichen Betrieb ins Leben gerufen, der lokale Familien in die Lebensmittelproduktion einbezieht. Bekannt als „Herenboerderij“ oder auch „People’s Farm“ haben sich rund 200 Familien in der Region zusammengeschlossen, um gemeinsam die wesentlichen Entscheidungen darüber zu treffen, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden. Sie entscheiden also, welche Nutzpflanzen in welcher Menge angebaut und welche Tiere gehalten werden. Für die täglichen Aktivitäten auf dem Hof der Genossenschaft wurde außerdem ein Landwirt engagiert.

Ziel ist es, so Douwe Korting, Co-Leiter der Genossenschaft, Lebensmittel nicht nur saisonal und umweltfreundlich herzustellen, sondern auch ein neues Verhältnis und Verständnis zwischen den Menschen und den Lebensmitteln zu schaffen. Gegenüber France24 sagte Korting:

„Das Hauptziel der Mitglieder ist es, natürliche Produkte zu essen, die in der Nähe ihres Wohnortes und auf eine nachhaltigere Weise hergestellt werden. Die Menschen beginnen wirklich zu verstehen, dass eine Umstellung auf eine andere Ernährungsweise unerlässlich ist.“

Derzeit verfügt der Boxtel-Hof über rund 20 Hektar Land, 15 Kühe, 20 Schweine und rund 500 Hühner. Die Familien, die zunächst darüber entscheiden, welche Produkte erzeugt werden sollen, kommen dann einmal pro Woche – meist mit dem Fahrrad –, um ihren Anteil am Ertrag mit nach Hause zu nehmen. Nach Angaben der Genossenschaft macht dies etwa 60 Prozent der Ernährung der 500 Mitglieder aus.

Muss sich die niederländische Landwirtschaft ändern?

Die Idee, zu kollektiven, handwerklichen und traditionelleren Anbaumethoden zurückzukehren, ist für die Niederlande besonders wichtig. Das berühmte flache Land mit seinen Windmühlen ist ideal für die Landwirtschaft: Rund 60 Prozent der Landfläche werden für die Nahrungsmittelproduktion genutzt, so dass die Niederlande nach den USA der zweitgrößte Agrar-Exporteur der Welt sind. Hier befinden sich auch die Universität Wageningen, die weltweit führende Institution für landwirtschaftliche Bildung, sowie Forschungs- und Entwicklungslabors für zwölf der weltweit größten Lebensmittel- und Getränkeunternehmen.

Damit ein relativ kleines Land diesen beeindruckenden Wert erreichen kann, ist eine intensive Landwirtschaft von zentraler Bedeutung für die Steigerung von Effizienz, Ertrag und Gewinn. Die Abhängigkeit von industriellen Anbaumethoden hat zugleich aber negative Auswirkungen auf das Klima – und auch der massive Export von Lebensmitteln trägt zu weiteren Emissionen bei.

Hinzu kommt, dass die Niederlande besonders anfällig für den Klimawandel sind, da rund 25 Prozent der Landfläche unter dem Meeresspiegel liegen. Geert van der Veer, ein weiterer Mitbegründer der Boxtel-Genossenschaft, erklärte:

„Wenn wir unsere Füße trocken halten wollen, muss sich grundlegend etwas in unserem System der Produktion und unserer Art der Ernährung ändern.“

Angesichts dieser Herausforderungen hat die niederländische Landwirtschaftsministerin Carola Schouten kürzlich ein 135-Millionen-Euro-Paket bereitgestellt, um den niederländischen Landwirten den Übergang zu einem an der Kreislaufwirtschaft orientierten Landwirtschaftsmodell zu erleichtern, das darauf abzielt, Lebensmittel so nachhaltig wie möglich und nicht so billig wie möglich herzustellen.

Die Gründer der Boxtel-Genossenschaft betonen, dass die Philosophie ihrer Landwirtschaft zwar etwas veraltet erscheint, sie aber keineswegs Technologie ablehnen würden. So ist u.a. der Einsatz von Robotern zur Erkennung der Reife von Früchten sowie Drohnen zur Unterstützung des Landwirts geplant.

Initiativen wie die Farm-Genossenschaft in Boxtel werden in der Realität wohl nur einen sehr geringen lokalen Einfluss darauf haben, wie sich die Landwirtschaft insgesamt auf den Klimawandel auswirkt. Eine wachsende Weltbevölkerung, insbesondere in Ländern des Globalen Südens, erfordert oft eine etwas intensivere Landwirtschaft. Darüber hinaus dürften die Kosten der Mitgliedschaft (2.000 Euro Beitrittsgebühr, gefolgt von 10 Euro pro Person wöchentlich) sie nur für relativ wohlhabende Familien attraktiv machen. Die Bedingung, dass die Teilnehmer auch in der Nähe der Höfe wohnen sollten, könnte das Projekt zudem für in Städten lebende Menschen unattraktiv machen.

Dennoch zeigt die Farm-Genossenschaft, dass der Wunsch wächst, das Verhältnis der Verbraucher*innen zu Lebensmitteln neu zu überdenken, insbesondere sich lokal und saisonal zu ernähren. Dies könnte zumindest Druck auf die Supermärkte ausüben, die Herkunft der Produkte besser zu kennzeichnen oder diejenigen hervorzuheben, die in der Region erzeugt wurden. Der erste Hof der Genossenschaft wurde übrigens als Erfolg gewertet – eine zweite kollektive Farm im Zentrum der Niederlande steht kurz vor ihrer Eröffnung.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Lydia Skrabania. Das Original erschien zuerst auf unserer englischen Website.

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