Das Internet der Dinge auf dem Weinberg

Könnte das sogenannte Precision Farming die Landwirtschaft in Europa revolutionieren? Das EU-Großprojekt IoF2020 testet neue Hightech-Anbaumethoden.

Autor*in Lena Strauß, 06.02.19

2019 ist noch jung — wann wird wohl der diesjährige Earth Overshoot Day erreicht sein? Im Jahr 2018 galt der 2. Mai als Deutschlands Tag der Ressourcenerschöpfung. Daneben hat uns kürzlich die UN-Klimakonferenz in Katowice daran erinnert, dass noch viel getan werden muss, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Ressourcenschonung und Klimafreundlichkeit — diese Themen sind aktueller denn je in der Landwirtschaft. Ein Drittel aller Böden sind bereits degradiert. Global gesehen produzieren Nahrungsmittelsysteme etwa zwischen 20 und 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen.

Präzisionslandwirtschaft liegt im Trend

Präzisionslandwirtschaft (englisch: Precision Farming) ist eine umweltschonende Variante des Ackerbaus. Konkret versteht man darunter technisch gestützte Anbaumethoden, die eine teilflächenspezifische und standortangepasste Feldbewirtschaftung ermöglichen. Durch die präzise Behandlung der Felder wird der Anbau produktiver: Das Ergebnis sind höhere Erträge und eine bessere Erntequalität, durch eine höhere Effizienz wird die Produktion zugleich nachhaltiger. Beispielsweise kommen weniger Pestizide und Düngemittel zum Einsatz und es werden weniger Ressourcen wie Wasser verbraucht. Außerdem lassen sich Lebensmittel durch die anfallenden Daten besser rückverfolgen. Das sorgt für mehr Transparenz, auch aus Verbrauchersicht.

Einer der Megatrends im Bereich Präzisionslandwirtschaft ist das Internet der Dinge (englisch: Internet of Things — IoT). Dabei kommunizieren intelligente Gegenstände über das Internet miteinander, kontrollieren Abläufe und treffen automatisierte Entscheidungen. Diese Art von smarter Vernetzung basiert auf Echtzeitdaten, die unter anderem von Sensoren, Antrieben, Kameras, Robotern und Drohnen generiert werden. Willkommen im Zeitalter von Smart Farming oder Landwirtschaft 4.0!

Ein IoT-Ökosystem für die Agrarindustrie

Welches Potenzial bieten IoT-Technologien für die europäische Landwirtschafts- und Nahrungsmittelindustrie von morgen? Das haben sich die Köpfe hinter Internet of Food and Farm 2020 (IoF2020) gefragt. Das Großprojekt wird mit 30 Millionen Euro von der Europäischen Kommission unterstützt und ist Teil eines größeren EU-Pilotprogramms, das sich mit IoT-Technologien beschäftigt.

Unter der Leitung der Universität Wageningen haben sich mehr als 70 Partner zum IoF2020-Konsortium mit der Absicht zusammengeschlossen, IoT-gestützte Präzisionslandwirtschaft zur Realität zu machen.

Ziel sei es, ein dauerhaftes und sich selbsterhaltendes „Ökosystem“ für IoT-Technologien in der EU-Landwirtschaft aufzubauen, erklärte Manuel Winter von IoF2020 gegenüber RESET. Mit dabei sind Vertreter entlang der gesamten Lebensmittelkette, vom Entwickler bis zum Forschungsinstitut. Anhand unterschiedlicher Use Cases werden IoT-Technologien in ganz Europa entwickelt, getestet und demonstriert. Sie decken die Bereiche Ackerbau, Gemüse, Früchte, Fleisch und Milch ab. Dabei handelt es sich teils um integrierte, teils um ökologische Landwirtschaft.

Use Case: Weintraube trifft IoT

Für den Sektor Früchte gibt es zum Beispiel zwei Use Cases für Weintrauben und Oliven in Griechenland. Hier wird untersucht, wie IoT-Technologien den Anbau, die Weiterverarbeitung, den Verkauf sowie die Logistik verbessern können. Dazu zählen Wetterstationen und Wärmekameras, die mit Sensoren arbeiten, Frühwarnsysteme zur Bekämpfung von Schädlingen oder Krankheiten, die variablen Pestizideinsatz und selektives Ernten zulassen, Technologien zur Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln, wie multidimensionale Barcodes oder RFID, sowie smartes Verpacken.

Werden hier überhaupt die Wünsche der Landwirte berücksichtigt? Zumindest bezieht das Projekt aktiv Landwirte als Endnutzer ein. Die Nutzerakzeptanz soll überprüft werden, insbesondere was Themen wie Privatsphäre, Sicherheit, Haftung und Bedürfnisse der Nutzer anbelangt. Dennoch wird es Hürden geben, bevor Landwirte die Technologien tatsächlich einsetzen. Im Fall der griechischen Oliven- und Traubenbauern ist es ein Problem, dass diese häufig kleine Felder bewirtschaften, die nicht nah beieinander liegen. Um die Kosten zu senken, wäre es also sinnvoll, wenn sie sich IoT-Technologien mit den Landwirten von Nachbarfeldern teilen.

IoF2020 — Wie weiter?

Ursprünglich startete das Großprojekt mit 19 Use Cases, weitere 14 sind kürzlich hinzugekommen. Wie der Name IoF2020 schon sagt, wird das Projekt jedoch im Jahr 2020 abgeschlossen sein. Was passiert danach? Laut Winter sollen bis dahin ein Katalog sowie eine Website bereitstehen, welche über die Technologien im Detail informieren. Ob das reicht, um den Paradigmenwechsel in eine IoT-dominierte Landwirtschaft zu schaffen? Wir werden dranbleiben.

In einer idealen Welt könnten wir auf die konventionelle Landwirtschaft mit ihrer nicht nachhaltigen Bodennutzung und ihren umweltbelastenden Agrochemikalien komplett verzichten. Die IoT-gestützte Präzisionslandwirtschaft ist dennoch ein guter Anfang, damit nicht-ökologische Landwirtschaft „sauberer“ wird. Das zeigen zum Beispiel Roboter, die um ein Vielfaches weniger Herbizide benötigen als herkömmliche Methoden. Auch Indoor-Farmen nutzen Elemente der Präzisionslandwirtschaft wie zum Beispiel die künstliche Intelligenz von MotorLeaf.

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