Das Berkeley-Protokoll setzt internationale Standards für digitale Open-Source-Untersuchungen

Untersuchungen auf Basis von Social-Media-Beiträgen und anderen frei zugänglichen Daten können eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltskandalen spielen. Das Berkeley-Protokoll will deren Zuverlässigkeit erhöhen.

Autor*in Lana O'Sullivan:

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut, 05.02.24

Wir leben in einem Zeitalter, das von digitalen Fortschritten beherrscht wird – aber auch von erbitterten internationalen Konflikten. Dabei bergen Technologien einerseits die Gefahr, Konflikte weiter anzufeuern. Gleichzeitig bieten sie aber auch neue Möglichkeit, bi der Bewältigung diplomatischer Spannungen und von Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen. Eine solche bahnbrechende Initiative ist das Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations, das internationale Standards für die Durchführung von Online-Recherchen zu mutmaßlichen Verstößen gegen internationales Strafrecht, Menschenrechte und humanitäres Recht festlegt. Das Protokoll stellt nicht nur einen dringend benötigten Schritt nach vorn im Bereich der Rechenschaftspflicht und der Gerechtigkeit dar, sondern unterstreicht auch das Potenzial der Digitalisierung als Instrument zur Lösung internationaler Konflikte.

Informationen sind im Internet im Überfluss vorhanden, aber ihre Zuverlässigkeit ist zweifelhaft

Ermittlungen in internationalen Konflikten und humanitären Fragen stützen sich seit langem auf Informationen aus offenen Datenquellen. Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Gewinnung von Informationen aus ausländischen Radiosendungen und Zeitungen weit verbreitet. Diese Entwicklung beschleunigte sich Ende des 20. Jahrhunderts mit der Einführung des Internets und explodierte mit der Verbreitung von sozialen Medien und Smartphones im darauf folgenden Jahrzehnt. Vor allem dieser Boom hat dazu geführt, dass sich Quantität und Qualität der frei zugänglichen Informationen dramatisch verändert haben.

Heute kann so gut wie jede*r, der oder die über ein Smartphone und einen Internetzugang verfügt, in Sekundenschnelle digitale Inhalte erstellen und mit Millionen von Menschen weltweit teilen. Einerseits haben diese wachsende Mengen an Informationen und die Geschwindigkeit, mit der sie übermittelt und geteilt werden, bei vielen Open-Source-Ermittlungen geholfen, Informationen über internationale Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu sammeln und zu analysieren. Andererseits sind diese Informationen nicht unbedingt unmanipuliert, zuverlässig oder unvoreingenommen, um es vorsichtig auszudrücken. Für die Qualität, den Wahrheitsgehalt und die Transparenz dieser Inhalte gibt es kaum Kontrollmechanismen.

Insbesondere Desinformation hat erhebliche Auswirkungen auf die Weltpolitik. Sie kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in Institutionen, Regierungen und Medien untergraben und die öffentliche Meinung manipulieren. Außerdem können mithilfe gezielt gestreuter Desinformationen bestehende gesellschaftliche Spaltungen ausgenutzt, die politische Polarisierung verschärft und Demokratien destabilisieren werden. Beispiele dafür haben wir in den letzten Jahren überall auf der Welt gesehen. Nehmen wir zum Beispiel die Erstürmung des US-Kapitols in Washington, D.C. am 6. Januar 2021. Man nahm an, dass falsche Behauptungen über einen Wahlbetrug die Ursache für dieses dramatische Ereignis waren. Die Folgen des 6. Januar führten zu einer breiteren Diskussion über das Thema und zu einer genaueren Untersuchung von Desinformationen und ihrer Rolle bei der Gestaltung des öffentlichen Diskurses.

Das Berkeley-Protokoll soll gute Daten von schlechten unterscheiden helfen

Das Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations wurde als Reaktion auf den derzeitigen Mangel an allgemeingültigen Referenzen, Richtlinien oder Standards für Open-Source-Untersuchungen entwickelt. Es bietet einen umfassenden Rahmen für die Nutzung digitaler Tools bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Menschenrechtszentrum der Universität von Kalifornien in Berkeley, das das Protokoll entwickelt hat, hat bereits in Dutzenden von Ländern Untersuchungen und Ermittlungen durchgeführt, darunter Syrien, Irak, Ruanda, Uganda, Myanmar, das ehemalige Jugoslawien und auch in den USA.

Das Protokoll zielt im Wesentlichen darauf ab, Grundsätze und Praktiken festzulegen, die den Ermittler*innen bei ihrer Arbeit helfen sollen. Bei Bedarf dient es auch dazu, die Aufbewahrung von Open-Source-Informationen zu erleichtern. Durch die Festlegung von Leitlinien für die Sammlung, Überprüfung und Aufbewahrung dieser Daten soll eine stabilere und einheitlichere Grundlage für Wahrheit und Gerechtigkeit geschaffen werden.

Zu diesem Zweck schafft das Protokoll internationale Standards für die Durchführung von Online-Recherchen zu möglichen Verstößen gegen die internationalen Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht und das Strafrecht. Es legt Parameter für „Methoden und Verfahren zur Sammlung, Analyse und Aufbewahrung digitaler Informationen auf professionelle, legale und ethische Weise“ fest. Wichtig ist, dass das Berkeley-Protokoll auch Online-Ermittler*innen schützt, indem es Wege vorgibt, wie sie „die digitale, physische und psychosoziale Sicherheit von sich selbst und anderen, einschließlich Zeug*innen, Opfern und Ersthelfer*innen (zum Beispiel Bürger*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen), die ihr eigenes Wohlergehen riskieren, um Menschenrechtsverletzungen und schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht zu dokumentieren“, schützen können (OHCHR Berkeley Protocol, 2022).

Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht können Open-Source-Untersuchungen auch Möglichkeiten zur Konfliktlösung und -prävention bieten. Die Technologie erleichtert den raschen Austausch von Informationen, ermöglicht zeitnahe Reaktionen auf entstehende Krisen und fördert die internationale Zusammenarbeit.

Während jedoch Leitlinien und Schulungen zur Verwendung bestimmter Tools und Software ein wesentlicher Bestandteil der Verbesserung der Qualität digitaler Open-Source-Untersuchungen sind, werden im Berkeley-Protokoll keine spezifischen Technologien in der Entwicklung beschrieben. Stattdessen konzentriert es sich auf die Schaffung der zugrunde liegenden Prinzipien und Methoden.

Digitale Werkzeuge für den globalen Frieden und den Schutz des Klimas

Die menschlichen Kosten eines Krieges sind unbestreitbar, aber die Verwüstungen gehen über den Verlust von Menschenleben und die Vertreibung von Gemeinschaften hinaus. Groß angelegte Militäroperationen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Umwelt und tragen zum Klimawandel und zur Umweltzerstörung bei. Der Einsatz von Fahrzeugen, Flugzeugen und Maschinen in der Kriegsführung führt zu erheblichen CO2-Emissionen und verschärft die globale Umweltkrise. Die vorsätzliche Zerstörung von Infrastrukturen, wie zum Beispiel Ölraffinerien, stört nicht nur die Wirtschaft, sondern setzt auch erhebliche Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre frei. Die Abholzung von Wäldern, ein häufiges Nebenprodukt bewaffneter Konflikte, verschärft die Umweltprobleme weiter. Die Erkenntnis, dass ökologische Nachhaltigkeit und globale Sicherheit miteinander verknüpft sind, ist von entscheidender Bedeutung für die Bewältigung der vielschichtigen Auswirkungen von Konflikten.

Das Berkeley-Protokoll über digitale Open-Source-Untersuchungen ist ein Meilenstein bei der Nutzung der Macht der Technologie für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht angesichts der unzähligen komplexen internationalen Krisen, mit denen unser Planet und seine Bewohner konfrontiert sind. Während wir uns in der komplexen Landschaft von Konflikten, Menschenrechtsverletzungen und Klimakatastrophen zurechtfinden, gibt es Hoffnung, dass die Digitalisierung als Kraft für positive Veränderungen dienen kann.

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