Digitaler Aktivismus

Handys, Blogs und Social Networks: wie Aktivisten heute digitale Technologien nutzen, um für sozialen Fortschritt zu streiten, zeigen konkrete Beispiele aus der ganzen Welt - von ägyptischen Bloggern über Videoaktivisten in Syrien bis zum kenianischen Handyprojekt Ushahidi.

Autor*in Helge Peters, 17.07.13

Das Internet verändert nicht nur die Art und Weise, wie wir uns informieren, einkaufen und miteinander kommunizieren – es eröffnet auch neue Möglichkeiten des politischen Engagements für Aktivisten. Die einseitige one-to-many-Kommunikation der klassischen Massenmedien wird zunehmend durch eine vernetzte many-to-many-Kommunikation ergänzt, die sich über Blogs, Social Networks, Videoplattformen und ähnliche Services vermittelt.

Ein großer Vorteil liegt auf der Hand: Die Einstiegskosten für diese neue Form von digitaler Massenkommunikation sind sehr niedrig, verglichen z.B. mit dem Eröffnen eines Fernsehsenders oder Zeitungsverlags. Dadurch entsteht eine „vernetzte öffentliche Sphäre“, wie sie der amerikanische Wissenschaftler Yochai Benkler charakterisiert hat: engagierte und vom Mainstream abweichende Positionen können sich artikulieren und mit einem breiten Publikum in Austausch treten, da sie mit neuen digitalen Möglichkeiten die Beschränkungen klassischer massenmedialer Formate umgehen.

Die Digitalisierung schafft aber nicht nur neue, kostengünstige und einfach zu bedienende Möglichkeiten der Informationsdistribution, sondern erlaubt auch Taktiken der Intervention, die vor wenigen Jahren noch nicht denkbar gewesen wären. Die globale Zivilgesellschaft schafft sich mittels digitaler Technologien einen neuen sensorischen Apparat, mit dem sie Krisen weltweit aufspüren kann, um anschließend Netzwerke aus NGOs und NPOs zur Intervention zu mobilisieren.

Eine Studie der Beratungsfirma RAND sieht aus dieser spezifischen Aneignung von Informations- und Kommunikationstechnologien bereits ein neues gesellschaftliches Verhältnis entstehen, in dem ein dritter Sektor aus hochvernetzten Nonprofits und Nichtregierungsorganisationen die traditionellen Sektoren Staat und Wirtschaft beeinflusst.

Webblogs

Licensed under: Creative Commons - Attribution Non-Commercial No Derivatives Karen Lirenman Mädchen beim Blogging

Webblogs sind ein fast schon klassisches Medium des Bürgerjournalismus. Dadurch, dass sie einfach und anonym von jedem zu benutzen sind, haben sie sich vor allem in totalitären Gesellschaften als wertvolles Medium erwiesen, das Positionen abseits einer repressiv kontrollierten Presse kommunizieren kann. Wo der öffentliche Meinungsaustausch sanktioniert ist, schaffen sie ein virtuelles Forum für einen freien Dialog.

Nicht zuletzt deshalb gehört die Bloggerszene in Nordafrika, wo Regierungen während der Protestbewegungen im Rahmen des „arabischen Frühlings“ keine kritische Berichterstattung zuließen, zu den größten der Welt. Das Projekt GlobalVoices Online versucht, der aktivistischen Blogosphäre weltweit eine Plattform für Austausch und Vernetzung zu bieten, indem sie nach Themen und Ländern sortiert, Blogeinträge von überall her bereitstellt.

Die Relevanz von Blogs für die öffentliche Meinungsbildung wird mittlerweile auch von der NGO Reporter ohne Grenzen honoriert, die regelmäßig Kampagnen für Online-Dissidenten organisieren.

Videos

Was Blogs für den Text sind, sind Videoplattformen für die audiovisuelle Kommunikation. Bilder sind oft aussagekräftiger als Texte und können ein Thema eindringlicher und unmittelbarer transportieren. Digitale Videotechnologie wird immer breiter verfügbar und kostet immer weniger. Das machen sich Projekte wie Witness.org zunutze, die weltweit Menschenrechtsverletzungen auf Video dokumentieren und im Internet abrufbar machen.

Aber auch Plattformen wie YouTube werden erfolgreich für Videoaktivismus genutzt: Als es im Sommer 2013 in Istanbul zu den brutalen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei bei den Gezi-Protesten kam, weigerten sich die öffentlichen Medien über die Vorkommnisse zu berichten. Während man im Fernsehen Tierdokumentationen zeigte, wurden auf YouTube Videos von Privatpersonen hochgeladen, die der Öffentlichkeit zeigten, was wirklich vor sich ging. Auch syrische Videoaktivisten schufen mit selbst gedrehten Videos auf YouTube Kanäle, um die Brutalität und Ungerechtigkeit in ihrem Land dem Rest der Welt aufzuzeigen und für die Freiheit der syrischen Bevölkerung zu kämpfen.

Schwierig hierbei ist jedoch die Überprüfung auf die Echtheit der Videos. In Zeiten von digitaler Retusche, ist oft kaum beweisbar, ob die Videos tatsächlich vom Ort des Geschehens kommen oder verfälscht wurden. Witness.org arbeitet deswegen gerade an einem System, welches durch eine visuelle Anonymisierung von den Gesichtern in Videos sowohl  persönliche Daten der Versender schützt als auch die Metadaten für den späteren Gebrauch aufbewahrt, um z.B. im Nachhinein die Echtheit des Materials zu beweisen.

Social Networks

Licensed under: Creative Commons - Attribution Stock Monkeys Social Network Darstellung

Social Networks, wie zum Beispiel Facebook, haben einen großen Vorteil: In ihnen sind Menschen untereinander vernetzt, die sich meist bereits kennen und vertrauen. Im Gegensatz zu Blogs haben in sozialen Medien nur registrierte Nutzer Zugriff zu den Informationen und Administratoren müssen Mitgliedsanfragen zuerst erlauben. So ist es für totalitäre Regime schwieriger, Diskussionsplattformen zu sperren. Durch die schnelle Informationsweitergabe werden Effekte der raschen, viralen Informationsausbreitung und des „word of mouth“, also der Mundpropaganda, unterstützt, die sich Aktivisten immer besser zunutze machen.

Bei der Protestbewegungen in Tunesien zum Beispiel, die auch die „Facebook-Revolution“ genannt wird, wurde massiv über Facebook mobilisiert, um das Ben-Ali-Regime zu stürzen. Natürlich können gesammelte Informationen in soziale Netzwerke auch gegen Menschen verwendet werden, oder zur Manipulation genutzt werden. Vorsicht sollte also ein ständiger Begleiter im virtuellen Aktivismus sein. „Causes“ jedoch hat sich als erfolgreiche Facebook-Applikation etabliert, die es sehr einfach macht, ein eigenes Anliegen zu erstellen, Mitglieder zu rekrutieren, gemeinsame Aktionen zu initiieren und (vorerst nur in Nordamerika) Spenden zu sammeln. Übrigens: auch RESET hat eine Facebook-Gruppe.

Mobiltelefonie

(Mehr dazu in unserem Artikel Handy als Entwicklungsmotor.)

Etwa 6 Milliarden Mobiltelefone gibt es weltweit, Tendenz steigend. Vor allem in Entwicklungsländern, in denen es kein ausgebautes Telefonnetz gibt, ermöglichen Handys einer immer breiteren Masse von Menschen den Zugriff auf moderne Kommunikationstechnologien. Die große Verbreitung des Mobilfunks fordert eine innovative Nutzung auch für einen guten Zweck geradezu heraus.

In vielen Ländern des Südens wird Mobilfunk mittlerweile verwendet, um zur Besserung der Lebenssituation beizutragen. Kleinbauern benutzen ihr Handy beispielsweise, um Marktpreise oder Wetterprognosen abzurufen oder Mütter, erhalten medizinischen Rat für ihre Kinder (Quelle: Measuring the Information Society). Software Spezialisten aus Uganda haben mit WinSenga eine Applikation entwickelt, die die Herzschläge des Kindes im Bauch der Mutter überwachen kann. Da durch fehlende medizinische Versorgung in Uganda noch immer viele Kinder kurz nach der Geburt sterben, erhoffen sich die Entwickler durch die App eine Vielzahl an Leben zu retten.

Die Universität Berkeley vergibt mittlerweile einen Innovationspreis für Konzepte, die Mobilkommunikation und den Einsatz für  Menschenrechte verbinden. Ein Preisträger ist die kenianische Initiative Ushahidi. Als nach den kenianischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 gewalttätige Auseinandersetzungen ausbrachen, wurde mit Ushahidi eine Plattform geschaffen, die diese Auseinandersetzungen in Echtzeit dokumentierte. Mit dem Handy können Nachrichten, Bilder und Videos vom Ort des Geschehens an die Plattform geschickt werden, wo sie graphisch auf einer Karte visualisiert werden. Die Technologie von Ushahidi steht als Open Source Software zur Verfügung und kann in Krisengebieten weltweit eingesetzt werden. Auch das schon erwähnte Projekt Witness veröffentlich seine Produkte mittlerweile in App-Form.

Digitale Karten und Satellitenfotos

Licensed under: Creative Commons - Attribution whiteafrican Ushahidi crisis mapping

Kartenmaterial ist unverzichtbar, um Krisen und Konflikte darzustellen und schelle Hilfe vor Ort zu leisten. Dienste wie Google Maps oder Google Earth machen Karten und Satellitenfotos prinzipiell jedem zugänglich und ermöglichen so die Entstehung von neuem Kartenmaterial.

Die britische NGO Aegis z.B. setzt auf Google Earth, um die Bewegungen der sudanesischen Kriegsverbrecher Ahmad Harund und Ali Kushayb nachzuvollziehen, die für Menschenrechtsverletzungen in Darfur verantwortlich gemacht werden. Auch für die Aufarbeitung vergangener Konflikte können digitale Karten hilfreich sein. In Kambodscha arbeitet die Initiative DC-Cam Daten über Massengräber der Roten Khmer auf und macht sie online auf einer Karte verfügbar, so dass Angehörige von Opfern sich informieren können.

Durch die kommerzielle Verfügbarkeit hochauflösender Satellitenfotos können Menschenrechtsaktivisten nachvollziehen, ob Vertreibungen und Zerstörungen stattgefunden haben. Die neueste Form der Lieferung von Bildmaterial sind UVAs geworden, auch Drohnen genannt. Mit Hilfe ziviler Drohnentechnologien können schnelle Echtzeitbilder von Krisengebieten geliefert werden. So entwarf das Schweizer Unternehmen DanOffice IT nach dem Taifun Yalanda auf den Philippinen zwei Drohnen, die unter anderem nach Toten unter den Trümmern suchten. Auch in Haiti wurde die neue Drohnentechnologie schon angewendet, um zu erkennen, wo Menschen nach der Naturkatastrophe obdachlos geworden waren. Aufgrund der Drohnenbilder konnten Organisationen ihnen dann entsprechend mehr Zelte zur Verfügung stellen.

Microblogging: Twitter & Co.

Twitter ist ein zunehmend populäres Tool, mit dem Meldungen in 140-Zeichen-Länge gebloggt werden. Es kann vom Computer, aber auch vom Mobiltelefon aus benutzt werden und eignet sich daher gut für kurze Statusmeldungen von unterwegs. Sind Twitter-Nutzer untereinander gut vernetzt können sich ihre kurzen Nachrichten im Twitter-Netzwerk sehr schnell ausbreiten.

In eigentlichen allen Gebieten der arabischen Welt, in denen sich seit den ersten Protesten 2010 eine Revolution entwickelt hat, nutzten die Oppositionellen Twitter und Facebook, um regierungsschädliche Informationen auszutauschen und zu diskutieren. Erst kürzlich startete in der Ukraine ein sogenannter Twitter-Storm mit 60 000 Tweets innerhalb einer Stunde. Aufgrund der andauernden Proteste der ukrainischen Opposition für den Rücktritt der Regierung forderten die Tweets Hilfe von der internationalen Gemeinschaft und zeigten Zuspruch für die Oppositionellen.

Ein Problem bei Twitter ist die große Anzahl an Meldungen, die bei Großereignissen, wie z.B. den türkischen Massenprotesten, auflaufen und die Schwierigkeit, ihre Authentizität festzustellen. Mittlerweile gibt es aber auch hierfür mit SwiftRiver eine konzeptionelle Lösung, um durch sogennantes Crowdsourcing unter Beteiligung aller interessierten Twitter-Nutzer die verlässlichen Quellen herauszufiltern.

Anwendungen wie act.ly oder twonate.com, mit denen via Twitter Petitionen unterschrieben oder Spenden gesammelt werden können, haben sich bereits als erfolgreich herausgestellt. So wurden z.B. über act.ly bereits mehr als 5000 Petition unterzeichnet und über Twitter geteilt.

Viele NGOs und Organisationen nutzen Twitter ebenfalls erfolgreich für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Auch RESET twittert und freut sich über neue Follower!

Die Entwicklungen der digitalen Kommunikationstechnologien sind rasant und eröffnen einiges Potential. Kritisch zu betrachten ist, dass die nötige Transparenz und Sicherheit im virtuellen Raum noch einiges zu wünschen übrig lässt. Technologien, die Gutes bringen sollen, können in den falschen Händen auch zu ihrem Gegeteil verkehrt werden, wenn wie z.B. Echt-Zeit Satellitenbilder statt der Nothilfe einer willkürlichen Überwachung dienen. Es lässt sich schwer beurteilen, ob Vorteile oder Nachteile der Nutzung von den genannten Technologien überwiegen, doch sicher ist, dass sie bereits zur Verfügung stehen. Nun kann man nur hoffen, dass sie richtig genutzt werden und sich weiterhin als Hilfsmittel für Aktivisten und Organisationen erweisen. Die weiteren Entwicklungen sind abzuwarten.

Quellen und Links

Helge Peters I RESET-Redaktion (2009) (zuletzt aktualisiert: Henriette Schmidt, 2014)

Das Handy als Entwicklungsmotor

Ein Leben ohne Handy – das ist für die meisten von uns kaum vorstellbar. Von einem exklusiven Spielzeug hat sich das Mobiltelefon in kürzester Zeit zu einem täglichen Begleiter fast wie von selbst über die ganze Welt verbreitet. Fast 7 Milliarden Menschen nutzen heute ein Handy - keine Technologie hat die Welt bisher schneller erobert.

Digitale Kluft

Der Begriff der digitalen Kluft entstand Mitte der 1990er Jahre und beschreibt den ungleichen Zugang verschiedener Bevölkerungsgruppen zu Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) im nationalen, regionalen und internationalen Vergleich. Die Formulierung steht für die Annahme, dass jenseits der rasanten technologischen Fortschritte einer großen Anzahl von Menschen der Zugang zu diesen Technologien und den damit verbundenen Möglichkeiten verwehrt bleibt.