Wenn ein Erdbeben ausbricht, sind möglichst schnelle und gesicherte Informationen von immenser Bedeutung. Nur damit lassen sich entsprechende Warnungen herausgeben und unverzüglich Hilfsmaßnahmen einleiten. Ein internationales Team von Forschenden hat jetzt eine Möglichkeit vorgestellt, die Daten aus bestehenden seismischen Überwachungsnetzwerken mit Zugriffszahlen auf bestimmte Webseiten, einer Smartphone-App und mit Twitter-Statistiken in Echtzeit kombiniert. Damit kann die Zeit bis zur Detektion und genauen Lokalisierung von Erdbeben deutlich reduziert werden. Das Team berichtet darüber in der Fachzeitschrift Science Advances.
Die Zeit läuft…
Drei bis acht Minuten dauert es aktuell, bis nach einem Erdbeben die ersten Informationen über Ort und Stärke darüber bereit stehen. Errechnet wird dies aus den Signalen der seismischen Stationen von einer am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) entwickelten Software, dem globale Erdbeben-Monitoring-Dienst (GEOFON). GEOFON betreibt ein Netzwerk mit rund hundert eigenen seismischen Stationen und bindet Daten weiterer Stationen von Partnerorganisationen in die Auswertung mit ein. Er zählt zu den schnellsten Erdbebendiensten weltweit.
Über das Internet stehen diese Informationen sofort zur Verfügung und werden unverzüglich mit Partnerorganisationen geteilt, insbesondere mit dem European-Mediterranean Seismological Centre (EMSC) in Frankreich. Und auch das EMSC dokumentiert feinmaschig und macht Erdbebeninformationen in Echtzeit über seine Webseite, via Twitter und die Smartphone-App „LastQuake“ verfügbar. Gleichzeitig ist das EMSC eine Anlaufstelle für Augenzeugen von Erdbeben; sie können dort Lageberichte, Fotos und Videos von Erdbebenfolgen teilen.
Genau hier, am EMSC, haben Forschende gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Deutschland und Ungarn eine neue Methode entwickelt, bei der Reaktionen von Menschen auf ein Erdbeben als weitere Information genutzt werden. Mit Hilfe dieses Crowdsourcing-Ansatzes soll die Zeit bis zur Detektion eines Erdbebens auf eine bis drei Minuten verkürzt werden. Dabei nutzen die Forschenden die Tatsache, dass viele Menschen, sobald sie ein Erdbeben wahrgenommen haben, unmittelbar versuchen, nähere Informationen im Internet zu finden bzw. auszutauschen. Je nachdem, wie schnell und an welchem Ort die Zugriffe auf Webseiten wie die des EMSC steigen und Nachrichten via Twitter abgesendet werden, lässt sich lokalisieren, wo sich das Erdbeben ereignet hat. Neben Zugriffen auf Webseiten sucht das System das Wort „Erdbeben“ in Tweets in 59 Sprachen. Diese Daten werden dann wiederum mit den seismischen Daten des GFZ kombiniert.
Mit diesem Crowdsourcing-Ansatz hat das Team bereits mehr als 1.500 Erdbeben in den Jahren 2016 und 2017 ausgewertet. Insgesamt verringerte sich die Zeit bis zur Detektion um durchschnittlich mehr als eine Minute im Vergleich zur alleinigen seismischen Auswertung.
Joachim Saul vom GFZ, einer der Koautoren der Studie, sagt in der Pressemitteilung des Instituts: „Die Ergebnisse sind spannend und auch für GEOFON relevant, da sie die Reaktion von Menschen, die ein Erdbeben selbst verspürt haben, unmittelbar mit einbezieht. Wir stehen aber erst am Anfang einer Entwicklung. Besonders die genaue Bestimmung der Erdbebenstärke bleibt eine Herausforderung.“
Die Intelligenz der Crowd nutzbar machen
Auch in anderen Bereichen setzt man auf Crowdsourcing-Ansätze: Die Freiwilligen-Plattform Amnesty Decoders von Amnesty International ist ein globales Netzwerk für digitale Aktivisten, die ihre Computer oder Smartphones einsetzen, um die Recherchen von Amnesty zu unterstützen, indem sie Bildmaterial, Dokumente und Informationen sichten und so Menschenrechtsverletzungen verfolgen und aufdecken.
Das jüngste Projekt der Organisation brachte zum Beispiel schockierende Umweltschäden im Nigerdelta ans Licht. Die ehrenamtlichen Aktivisten nutzten sogenanntes „Microtasking“, um umfangreiche Aufgaben wie die Analyse tausender Bilder oder Dokumente untereinander aufzuteilen. So konnten sie neue Informationen zum Vorwurf der Fahrlässigkeit der beiden Ölgiganten Shell und Eni in Nigeria zutage fördern.
In vielen Fällen ist Crowdsourcing ein beliebter Weg, um schwierige Probleme anzugehen, wie zum Beispiel bei der App Gershad, die Iranern helfen soll, der Sittenpolizei aus dem Weg zu gehen. Oder bei der World Clean Up App, mit der illegale Müllkippen von der Crowd gemappt werden können. Und Safecity, eine indische App, ermöglicht es Frauen, ihre Erfahrungen auszutauschen und über sexuelle Belästigung zu sprechen.