Cradle to Cradle – Recycling rund gemacht

Fabriken, deren „Abwasser“ Trinkwasserqualität hat, Kleidung, die kompostierbar ist oder zu Nahrung für Pflanzen und Tiere wird? Geräte, die an den Händler zurückgegeben werden können, um zu einem neuen Fernseher, Telefon oder Stuhl zu werden? Cradle to Cradle will das möglich machen.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 14.06.11

Im Kern des Cradle to Cradle-Prinzips steckt die Idee, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken und auf diese Art erst gar keinen Müll im herkömmlichen Sinn entstehen zu lassen. Begriffe wie ökologisch, umweltfreundlich oder nachhaltig, auch Kategorien wie besser oder „ein bisschen weniger schlecht“ werden obsolet. Produkte sollen so hergestellt werden, dass von Beginn an ihr Ende mitgedacht wird. Alles verwendete Material kann nach Gebrauch weiterverwendet oder ohne schädlich Rückstände kompostiert werden.

Unser aktueller Produktkreislauf: from cradle to grave

Möbel, Laptops, Kleidung – alles wird in nagelneuem Zustand gekauft, genutzt, und allzu oft noch voll funktionstüchtig in den Müll geworfen. Über 37 Millionen Tonnen Müll wurden in Deutschland allein im Jahr 2008 gesammelt. Die nächsten Generationen müssen sich weiterhin mit dem von uns gelagerten Müll auseinandersetzen. Auch der Produktionsprozess geht nicht spurlos an unserer Umwelt vorbei: Ressourcen werden abgeschöpft, Gewässer und Luft verschmutzt, ganze Ökosysteme für die Produktion von Luxusgütern zerstört. Um das ganze ein wenig besser zu machen, wird hier und da recycelt, eingespart und reduziert; mit dem Ergebnis, dass alles ein bisschen weniger schlimm ist, aber nichts wirklich gut!

Der US-amerikanische Architekt William McDonough und der deutsche Chemiker Michael Baumgart haben in den letzten Jahren einen anderen Ansatz entwickelt, der nicht weniger als die Lösung (fast) all unserer zivilisatorischer Probleme sein will: das Cradle to Cradle (C2C)-Prinzip.

Quellle: epea.com

Die Lösung ist eigentlich so einfach: Schon vorher an nachher denken!

Das Vorbild des C2C- Ansatzes ist die Natur: „Abfall“ ist hier nie unbrauchbarer Müll, sondern immer Nahrung in einem ewigen Kreislauf. So z.B. auch beim Kirschbaum: Nachdem der Kirschbaum fast schon verschwenderisch viele Blüten produziert hat und diese ihren Sinn erfüllt haben, fallen sie zu Boden und ihre Nährstoffe werden von anderen Organismen weiterverwendet. C2C überträgt das Prinzip auf Produkte: Ziel ist es, diese so zu gestalten, dass nicht nur die erste Bestimmung erfüllt wird, sondern bereits bei der Entwicklung die Möglichkeiten der weiteren Verwendung der “Nährstoffe” bzw. Rohstoffe miteinbezogen werden.

Dabei geht es um nicht weniger als eine andere Art des Wirtschaftens. Aktuell sehen sich Unternehmen fast ausschließlich für Ressourcenbezug, Herstellung und Verkauf zuständig, alles weitere – Entsorgung, Recycling, Umweltverschmutzung – obliegt anderen. C2C dagegen ist als Kreislauf gedacht: das Produkt wird auf eine Art und Weise hergestellt, in der Gifte erst gar nicht enthalten sind und die Umwelt erst gar nicht verschmutzt wird, die Arbeit ist angemessen entlohnt und der Kunde bekommt ein hochwertiges Produkt, das nach Gebrauch entweder direkt kompostiert oder zurückgegeben werden kann, auf dass der Hersteller die Bestandteile des Produkts weiterverwendet.

Die Idee mit den zwei Kreisläufen

Aktuell werden die meisten kostbaren Ressourcen verschwendet, weil die Dinge nach Gebrauch nicht in ihre Bestandteile zerlegt werden, sondern montröse Hybriden sind.

Beispiel: ein scheinbar harmloser Lederschuh. Das Leder wird mit krebserregendem Chromium gegerbt; produziert wird in Entwicklungsländern, wo kaum Arbeits- oder Umweltschutz besteht; die Schuhsohlen enthalten Plastik und giftige Klebestoffe. Fazit: Der Schuh ist nicht recyclebar, nach Gebrauch landet er in der Müllgrube.

Bei dem C2C- Prinzip werden ein biologischer und ein technischer Kreislauf als zwei jeweils in sich geschlossene Prinzipien definiert. Die Ressourcen für Produkte – seien es Stühle, Stoffe oder Häuser – werden den beiden Kreisläufen entnommen und nach der Nutzung wieder an den jeweiligen Kreislauf zurückgegeben.

Der Schuh wäre dann aus Leder und vielleicht auch einer Plastiksohle, aber beides ließe sich voneinander trennen. Das Leder könnte auf den Kompost geworfen werden, die Sohle wird weitere Leben als Sohle, als Tasche, als Handycover etc. haben.

Dem biologischen Kreislauf entnommene Bestandteile, die organischen Stoffe, landen auf dem Kompost oder im Blumenbeet. Produkte aus organischem Material können T-Shirts, kosmetische Produkte und Verpackungen sein, die kompostierbar sind. Die Firma Trigema z.B. bietet ein 100% kompostierbares T-Shirt an.

Beim technischen Kreislauf werden so genannte Gebrauchsgüter, die nach ihrer Nutzung noch intakt sind, durch einfache chemische oder mechanische Prozesse so behandelt, dass man ihre “technischen Nährstoffe” zurückgewinnt. So z.B. der Bürostuhl Think von der amerikanischen Firma Steelcase, dessen Stoff zu 100% kompostierbar ist, alle weiteren Bestandteile können sinnvoll wiederverwendet werden.

Ökoeffizienz vs. Ökoeffektivität

„We see a world of abundance, not limits.“ Mit dem C2C-Prinzip haben Braungart und William McDonough den Begriff der Ökoeffektivität geprägt. Der Begriff steht im Kontrast zu der betriebswirtschaftlichen Kennzahl Ökoeffizienz, bzw. der Ökobilanz.

Ökoeffizient ist ein Produkt, wenn es mit dem Verbrauch von weniger Ressourcen bessere Ergebnisse erreicht und durch die Verminderung von Schadstoffen die negativen Umweltauswirkungen reduziert werden. Doch aktuell zeigt sich, dass auf diese Art – alles ein wenig besser zu machen und zu versuchen Schlechtes auszugleichen – der Prozess der Umweltverschmutzung und die Verknappung der Rohstoffe zwar verlangsamt, aber niemals gestoppt werden kann.

Ökoeffektiv hingegen sind Produkte, wenn sie entweder als „biologische Nährstoffe“ in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden können oder als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden. Das Prinzip der Ökoeffektivität lautet: Abfall ist Nahrung („waste equals food“)!

Ökoeffizient ist es, den Anteil von recyceltem Material in Plastikprodukten zu erhöhen, ohne auf die Qualitätsminderung des recycelten Materials zu achten (Downcycling). Die Plastikflasche wird nie wieder eine neue werden, sondern maximal als Schuhsohle eingesetzt werden. Nachdem diese abgelaufen ist, landet sie auf dem Müll. Ökoeffektiv ist es dagegen, Kunststoffprodukte gleich so zu entwickeln, dass sie demontiert und recycelt werden können, die Flasche also Flasche und wieder Flasche sein kann oder die Sohle Sohle für hunderte von Schuhen.

Den beiden Herren geht es darum, unsere Kreativität und die Vielfalt der Möglichkeiten dazu einzusetzten, gute, wirklich nachhaltige Lösungen zu finden, anstatt sich an Einsparungen zu ermüden und in rechtlichen Beschränkungen zu verirren. „Just about every process has side effects. But they can be deliberate and sustaining instead of unintended and pernicious.“ (McDonough/ Braungart: Cradle to Cradle, Seite 81)

In ökoeffektiven Lösungen berät das Hamburger Institut EPEA, das von Braungart und McDonough selbst gegründet wurde. EPEA vergibt auch die C2C-Zertifikate.

Ein Haus wie ein Baum und Städte wie Wälder

Schön sind sie, die sich in der umgebenden Landschaft auflösenden Gebäude mit begrünten Dächern und großen Gärten. Und effektiv: Sie brauchen weniger externe Wärme, sie können Wasser sammeln und reinigen, die Luft frischt sich selbst auf. Die Grenze von Natur und Bebauung/ Stadt wird aufgelöst und beginnt ineinander überzugehen. Quelle: mcdonoughpartners.com

Der C2C- Ansatz lässt sich auch auf Architektur und Städtebau anwenden („becoming native to a place“). Hier stehen die Prinzipien ganz oben, die Sonne als Energiequelle zu nutzen, die Umgebung bei der Wahl der Materialien und die speziellen Verhältnisse, die auf die Bebauung einwirken, mit einzubeziehen. Das heißt, neben der behutsamen Verwendung der Materialien auch immer die Frage zu stellen, wie als Nebeneffekt das Umfeld bereichert werden kann. Das kann etwa gesäubertes Wasser sein, das an einen See oder Bach abgegeben wird, Nistplätze für Vögel, Schlupfwinkel für Fledermäuse, Dächer als Blumenwiese für Bienen oder ein natürlicher Wasserfilter.

Diese Gedanken stehen in Kontrast zu herkömmlichen Häusern, die überall gleich aussehen und kaum natürliche Energiequellen wie die Sonne als Heizung oder Bäume als Klimaanlage nutzen – sie sind abgegrenzt von der Natur.

Wie Architektur im Sinne von C2C aussehen kann, zeigt das Beispiel River Rouge: McDonough leitete den Umbau der alten Industrieanlage des Autoherstellers Ford – heraus kam eine die Natur mit einbeziehende und menschenfreundliche Industrieanlage, deren Flächen sehr schnell von Gänsen und anderen Tieren belebt wurden.

Kritik

Die Ideen von Braungart und McDonough finden durchaus Anklang. So haben die beiden die 30 größten Firmen Dänemarks, darunter auch Lego, für das C2C-Prinzip gewonnen. Die niederländische Provinz Limburg schmückt sich gar offiziell als erste »Cradle-to-Cradle-Region«. Selbst Arnold Schwarzenegger bekennt sich als Fan der Idee und will sie in Kalifornien durchsetzen. Nur in Deutschland fehlt bislang die rechte Resonanz für das C2C-Prinzip. Woran liegt das?

Kritisiert an dem Ansatz wird vor allem seine Umsetzbarkeit. So Friedrich Schmidt-Bleek (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie): „Ich kann mich auf Michaels Sitzbezügen im Flugzeug sehr wohl fühlen. Ich warte aber noch immer auf den detaillierten Vorschlag, die anderen 99,99 Prozent des Airbusses A380 nach seinen Prinzipien zu gestalten.“

Auch die Riesenmengen an Kompost könnten zum Problem werden: Es ist wenig sinnvoll, kompostierbare Waren auf den Markt zu bringen, solange das Verwertungskonzept noch nicht ausgereift ist. Umgekehrt wird kaum jemand ein solches Konzept anwenden, solange nicht konkrete Produkte existieren, die es auch notwendig machen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Allerdings vertreten Braungart und McDonough auch nicht die Meinung, dass jetzt alles sofort umsetzbar ist, sondern haben bereits einige Produkte verwirklicht und appellieren daran, doch all unsere Kreativität in die weitere Entwicklung des Prinzips zu investieren.

Quellen und Links

Indra Jungblut, RESET-Redaktion (2011)

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