Computersimulationen sagen voraus, wie CO2-Steuern bis 2030 extreme Armut reduzieren können

Computermodelle sagen voraus, dass mit den CO2-Steuern der wohlhabenden Länder ärmere Länder unterstützt werden könnten.

Eine neue Studie hat mit Hilfe von Computermodellen verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Einführung einer CO2-Steuer die globale Armut reduzieren kann, anstatt sie weiter zu verschärfen.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Mark Newton, 09.06.21

Derzeit wird erwartet, dass die Auswirkungen des Klimawandels – einschließlich steigender Temperaturen und extremer Wetterereignisse – Menschen im globalen Süden sowie sozial und wirtschaftlich benachteiligte Gemeinschaften und Gruppen im globalen Norden unverhältnismäßig stark treffen werden. Gleichzeitig entbrennen auch immer wieder Diskussionen darüber, dass sich eine konsequente Klimapolitik möglicherweise negativ auf ohnehin schon wirtschaftlich benachteiligte Gesellschaften auswirken könnte, wie zum Beispiel die Besteuerung von CO2-Emissionen.

Nun haben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) mit Hilfe von zwei aufeinander abgestimmten Computersimulationsmodellen neue Ansätze entwickelt, die darauf hindeuten, dass die CO2-Besteuerung dazu genutzt werden kann, die Anzahl der Menschen, die bis 2030 und darüber hinaus unter der Armutsgrenze leben, zu reduzieren und nicht zu erhöhen.

Wenn die gegenwärtigen sozioökonomischen Bedingungen anhalten, wird erwartet, dass im Jahr 2030 etwa 350 Millionen Menschen in extremer Armut leben werden – wobei extreme Armut definiert ist als ein Einkommen von weniger als 1,90 USD pro Tag. Bei einer Besteuerung der CO2-Emissionen gemäß den Vorgaben des Pariser Abkommens – das eine Begrenzung der globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius anstrebt – könnte die Zahl der Armen um weitere 50 Millionen steigen. Dies ist vor allem auf den Verlust des Bruttoinlandsprodukts und den Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise in den ärmeren Ländern zurückzuführen.

Um das Potenzial für alternative Ergebnisse zu erforschen, manipulierten die Forschenden zwei Computersimulationsmodelle, und untersuchten, wie die CO2-Steuern anders verteilt werden könnten. Mit dem Regional Model of Investments and Development (REMIND) können langfristige Wirtschaftsprognosen erstellt werden, indem Kapital-, Arbeits- und Energieinformationen zur Modellierung von Wirtschaftsleistung und Emissionen verwendet werden. Das Model of Agricultural Production and its Impact on the Environment (MAgPIE) berücksichtigt dagegen Landnutzung, Ressourcenverfügbarkeit, Bevölkerungswachstum und andere Faktoren, um Vorhersagen über die zukünftige Nahrungsmittel- und Agrarproduktion zu treffen. Mit Hilfe dieser beiden Systeme können Milderungsszenarien erstellt werden, in denen CO2-Steuern auf verschiedene Wirtschaftsgruppen verteilt werden. Deren Gesamtwirkung auf das BIP und die Preise armer Nationen kann dann vorhergesagt werden.

Umverteilung von CO2-Einnahmen

Laut der Studie, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, sollte die Anzahl der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, um 6 Millionen sinken, wenn die Einnahmen aus den CO2-Steuern auf einer gleichen Pro-Kopf-Basis an die Bevölkerung zurückgegeben werden, verglichen mit den aktuellen Schätzungen für die Zukunft.

Allerdings variieren diese Minderungen je nach Region. In den Ländern Afrikas südlich der Sahara zum Beispiel – die heute die höchsten Armutsraten aufweisen – wird die Höhe der eingenommenen CO2-Steuern den Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise, den sie verursachen, wahrscheinlich nicht ausgleichen können. Obwohl also die globale Armutsrate sinken könnte, könnte sie in Afrika südlich der Sahara um bis zu 10 Millionen steigen.

Um dem entgegenzuwirken, entwickelte das Team ein anderes Modell, bei dem fünf Prozent der CO2-Einnahmen der reicheren Nationen an Länder im globalen Süden umverteilt werden. Wenn dies geschehen würde, könnten den Modellen zufolge 30 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara der extremen Armut entkommen, und 45 Millionen weltweit.

Generell müssten etwa 100 Milliarden USD pro Jahr aus den CO2-Steuereinnahmen der reicheren Länder entnommen werden, um ein solches Szenario möglich zu machen – eine Zahl, die bereits den Beiträgen zum Pariser Abkommen entspricht. Allerdings ist es nicht immer einfach, Nationen davon zu überzeugen, sich von ihren Steuereinnahmen zu trennen – insbesondere wenn ihr BIP-Wachstum ebenfalls schrumpft -, um ärmeren Nationen zu helfen. Laut dem Hauptautor der Studie, Bjoern Soergel, müssen die Regierungen erkennen, dass die Zusammenarbeit mit den ärmeren Ländern für den allgemeinen Klimaschutz unerlässlich ist, wie er gegenüber dem Anthropocene Magazine sagte:

„Die Staats- und Regierungschefs der Länder mit hohem Einkommen müssen verstehen, dass inländische Emissionsminderungen und internationale Klimafinanzierung wirklich zwei Seiten derselben Medaille sind – nur die Kombination von beidem wird auch die Entwicklungs- und Schwellenländer ins Boot holen.“

Die Studie räumt auch ein, dass auf lange Sicht – bis 2050 – ein solches internationales Finanzierungssystem letztlich zu einer Rückkehr zu höheren Zahlen der Armut führen könnte. Wenn zum Beispiel die Industrienationen bis zu diesem Zeitpunkt CO2-Neutralität erreichen – wozu sich viele verpflichtet haben – würden die Einnahmen aus der CO2-Steuer sinken oder sogar wegfallen. Dadurch könnten rund 20 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara und 30 Millionen Menschen weltweit verarmen. Darüber hinaus könnte die Abhängigkeit von den Finanzzuflüssen aus dem System negative Folgen für die Volkswirtschaften der Länder des globalen Südens haben und zu einem „Fluch der Klimafinanzierung“ führen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „zusätzliche Mittel über den Transfer der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung hinaus beschafft werden müssten“.

Vorhersagetechnologien, wie zum Beispiel die Computermodellierung, setzen sich in einer Reihe von Disziplinen immer mehr durch und könnten die Klimawissenschaft umkrempeln. Je genauere Vorhersagen wir berechnen können, desto mehr vorbeugende Maßnahmen gegen den Klimawandel können wir ergreifen, anstatt nur auf die Veränderungen zu reagieren.

Darüber hinaus bedeutet die Möglichkeit, auf riesige Informationsmengen von Sensoren, Satelliten und Drohnen zurückgreifen zu können, dass selbst kleine Teams Studien und Operationen durchführen können, die früher weit über ihren Möglichkeiten gelegen hätten. Diese Wirkung kann noch weiter vergrößert werden, wenn die Daten anschließend als Open Source zur Verfügung gestellt oder mit maschinellem Lernen kombiniert werden.

In der Vergangenheit hat RESET bereits über ähnliche Technologien berichtet, die bei der Vorhersage von Waldbränden und Erdbeben, bei der Optimierung zukünftiger ländlicher Elektrifizierungsprojekte und sogar bei der Planung der Wirtschaftspolitik helfen.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut und erschien im Original zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.

greenbook_2_blog
© Torge Peters/ Studio Nørden
Neue RESET-Publikation: Satelliten und Drohnen – Wertvolle Helfer im Umwelt- und Klimaschutz

Satelliten und Drohnen sind schon jetzt zu einem wichtigen Werkzeug im Umwelt- und Klimaschutz geworden. Doch auch Unternehmen und Startups steigen ins Satelliten-Geschäft ein - und der Ansturm aufs All stellt uns vor neue Herausforderungen. Im Greenbook (2) berichten wir über Sternstunden und Schattenseiten von Satelliten und Drohnen aus Nachhaltigkeitsperspektive und zeigen Lösungen auf.

bildschirmfoto_2021-05-21_um_12
©
RESET Talk @re:publica jetzt online: Sternstunden und Schattenseiten von Satelliten im Umwelt- und Klimaschutz

Am 21. Mai waren wir live im Off Stage-Programm der re:publica, jetzt steht unsere Session als Video zur Verfügung. Darin stellen unsere Gäste spannende Satellitenmissionen im Umwelt- und Klimaschutz vor und diskutieren Lösungen für eine nachhaltige Raumfahrt.

Interview: OpenSpaceData will Satellitendaten demokratisieren

Die Satellitenaufnahmen, die von den großen Weltraummissionen der ESA und NASA gemacht werden, sind prinzipiell frei zugänglich. Doch nutzen kann sie trotzdem nicht jede*r. Niklas Jordan will das mit seinem Projekt OpenSpaceData ändern.

Ororatech: Das Waldbrand-Orakel aus dem Weltall

Das Münchner Startup Ororatech sammelt und aggregiert Sattelitenbilder, um vor Waldbränden weltweit zu warnen. Dafür werden auch selbst entwickelte Nanosatelliten eingesetzt.

Satellitendaten zeigen: Wirtschaftswachstum geht nicht zwangsläufig mit Umweltverschmutzung einher

Müssen Länder wirklich die Natur ausbeuten, um ihre Wirtschaft anzukurbeln? Ein neuer Bericht, der auf der Analyse von Satellitendaten basiert, zeigt, dass die Verbindung von Wachstum und Emissionen durchbrochen werden kann.

Schutz der Korallenriffe: Mit Sensortechnologie unter die Wellen schauen

Steigende CO2-Emissionen führen zur Erwärmung und Versauerung der Ozeane, was den Erhalt der Korallenriffe zunehmend bedroht. In der Dominikanischen Republik hilft eine Reihe luftgestützter Sensortechnologien bei der Kartierung und Überwachung der wichtigen Meeres-Ökosysteme.

Carbon Intensity Forecast: Wird der Strom morgen grün?

Eine britische App kann mithilfe von maschinellem Lernen vorhersagen, wie nachhaltig der Strom in den nächsten 96 Stunden produziert wird – und hilft damit bei der Energiewende.

Mit künstlicher Intelligenz die nächste Epidemie vorhersagen

AIME ist ein Startup, das seine KI mit gesundheitsrelevanten Daten füttert, um so den Ausbruch von Epidemien im Voraus zu erkennen. Und das recht punktgenau: im Falle von Dengue in einem Radius von 400 Metern.