CO2-Schwergewicht Gebäude – Wie lässt sich der Sektor mithilfe der Digitalisierung dekarbonisieren?

Torge Peters

Um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen, stehen große Transformationen an. Welche Rolle digitale Technologien dabei spielen, darüber geben wir hier einen Überblick.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 27.11.23

Übersetzung Christian Nathler:

Bis spätestens 2045 muss Deutschland klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wirkungsvolle Maßnahmen in allen Sektoren gefragt. Wir brauchen eine Energiewende, eine Verkehrswende und eine Agrarwende – und auch der Gebäudesektor steht vor großen Transformationen.

Von der Bauphase über den Betrieb bis zur Entsorgung – über ihren gesamten Lebenszyklus sind Gebäude echte CO2-Schwergewichte. In Deutschland ist der Sektor einer der wesentlichen Verursacher von Emissionen. Rund ein Drittel des gesamten Endenergiebedarfs in Deutschland (BMWi) gehen auf Gebäude zurück. Und werden alle Emissionen mit eingerechnet, hat der Sektor einen Anteil von 40 Prozent an den CO2-Emissionen hierzulande.

RESET

Daher sind sehr ambitionierte, teils disruptive und gut aufeinander abgestimmte Maßnahmen in allen Handlungsfeldern erforderlich, um in diesem Sektor schnellstmöglich Klimaneutralität zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um den Klimaschutz: Hohe Einsparungen im Energieverbrauch von Gebäuden schützen Mieter*innen und Eigentümer*innen vor den Folgen steigender Energiepreise.

Aber was sind die wesentlichen Stellschrauben?

Drei Maßnahmen für einen klimaneutralen Gebäudesektor

In dem Gutachten „Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045“, einer Metaanalyse verschiedener Studien, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt wurde, werden drei entscheidende Maßnahmen genannt:

  • Die Wärmenachfrage von Gebäuden muss deutlich zurückgehen
    Ein Großteil des Energiebedarfs und der Emissionen des Sektors heute und in den kommenden Jahren gehen auf den Gebäudebestand zurück. Der größte Anteil – über 90 Prozent! – der Energie im Betrieb wird für die Raumwärme- und Warmwassererzeugung benötigt. Die energetische Sanierung bestehender Gebäude hat damit das größte Potenzial zur Reduktion der Emissionen des Gebäudesektors. Dazu muss zum einen die Sanierungsrate erhöht werden – laut Berechnungen des Wuppertal-Instituts geht es um eine Vervierfachung der Sanierungsraten im Wohnungsbau, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Zum anderen müssen die mit einer Sanierung möglichen Effizienzgewinne deutlich gesteigert werden.
  • Wärme aus erneuerbaren Energien
    Die Wärmeerzeugung muss so schnell wie möglich praktisch vollständig auf erneuerbaren Energien basieren. Die zentrale Technologie sind hierbei Wärmepumpen, darin sind sich nahezu alle Studien einig. Außerdem kommt in städtischen Räumen Wärmenetzen eine hohe Bedeutung zu.
  • Im Neubau ressourceneffizient bauen
    Der Neubau muss das größtmögliche CO2-Emissionseinsparungspotenzial ausnutzen, da heute gebauten Gebäude auch noch in vielen Jahrzehnten Energie benötigen. Baukonstruktion, verwendete Materialien und Heizungsart entscheiden maßgeblich über den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks – dies gilt es in allen Phasen zu berücksichtigen.

Was hiermit klar wird: Für eine schnellstmögliche Dekarbonisierung des Gebäudesektors sollte der Fokus auf der Sanierung und dem ressourcenschonenden Betrieb von bestehenden Gebäuden liegen. Eine Verschiebung der Priorität ist laut dem Gutachten Gebäudestrategie Klimaneutralität 2025 auch notwendig, da der Neubau mehr Fachkräfte als eine Sanierung bindet. Die gleiche Anzahl an Fachkräften kann in der Sanierung eine höhere Wirkung bei der Reduktion der CO2-Emissionen erreichen.

Das Potenzial digitaler Technologien in der Gebäudewende

Der Klimawandel wird jedes Jahr spürbarer – und es bleibt nur noch wenig Zeit, um die nötigen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele umzusetzen. Daher sind dringend Innovationen und neue Prozesse gefragt.

Seit einigen Jahren findet die Digitalisierung zunehmend ihren Weg in den Gebäudesektor. Nicht nur im Smart Home oder Smart Building, sondern auch im Gebäudebetrieb, bei Sanierungsmaßnahmen und in der Planung von Neubauten werden digitale Technologien bereits eingesetzt und erprobt. Kommt bei der Herkulesaufgabe, die Emissionen des CO2-Schwergewichts massiv zu reduzieren, also wirkungsvolle Unterstützung von neuen digitalen Technologien?

Dieser Frage ist die RESET-Redaktion nachgegangen und hat über Lösungen berichtet – an dieser Stelle geben wir einen Überblick und versuchen, die Potenziale der verschiedenen Ansätze einzuordnen.

– Gebäude von Anfang an klimaneutral planen

Jedes Gebäude, das heute gebaut wird, überdauert viele Jahrzehnte. Die Baukonstruktion, die verwendeten Materialien und die Heizungsart entscheiden dabei über den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen, die es in seinem „Leben“ verursachen wird. Architekt*innen und Bauherr*innen haben daher bereits in der Planungsphase einen großen Einfluss auf die Ökobilanz.

Aus diesem Grund hat das an der TU München angesiedelte Projekt „Einfach bauen“ auf Simulationen gesetzt, um Häuser mit minimalem Energie- und Ressourcenverbrauch zu entwickeln. Berechnet wurden dabei die Umweltauswirkungen und Kosten der verschiedenen Konstruktionen und Raum- und Technikkonzepte vom Bau über den Betrieb bis zur Entsorgung.

© Sebastian Schels
Die drei einfach gebauten, aber maximal energieeffizienten Häuser in Bad Aibling.

Mittlerweile gibt es auch verschiedene Anbieter von Software, die Architekt*innen und Bauherr*innen schon in der frühen Entwurfsphase dabei unterstützt, energetische und ökologische Dimensionen in der Planung von Gebäuden zu optimieren. Mit der Software des Unternehmens CAALA werden zum Beispiel die CO2-Emissionen aus der Konstruktion und dem Betrieb für jede Planungsvariante visualisiert und so eine möglichst umfassende Informationsgrundlage für Entscheidungen geschaffen. Dadurch, dass alle relevanten Parameter miteinander verknüpft sind, macht die Software sichtbar, wie sich Veränderungen bei einzelnen Parametern auf den gesamten Lebenszyklus auswirken.

a tower of mycelium composite bricks at the MoMA in New York City

Aus Pilzen oder Carbonbeton – woraus ist das Haus gebaut?

Das Bauwesen in Deutschland ist für rund 90 Prozent der inländischen Entnahme mineralischer Rohstoffe verantwortlich und damit der ressourcenintensivste Wirtschaftszweig des Landes. Nachhaltige Lösungen bei den verbauten Materialien kommt daher eine große klimapolitische Bedeutung zu. Das CUBE in Dresden beweist, dass Carbonbeton  ein spannender Baustoff für eine erfolgreiche Gebäudewende ist. Pilze können landwirtschaftliche Abfälle in ein günstiges, nachhaltiges und biologisch abbaubares Baumaterial  umwandeln. Und intelligente Fenster  zeigen, dass kühle Räume auch ohne Klimaanlage möglich sind.

– Effizient sanieren

Wie bereits deutlich gemacht, müssen für eine rasche Dekarbonisierung die Emission aus dem Betrieb bestehender Gebäude im Fokus stehen. Allerdings fehlen oft Sanierungsfahrpläne, die genau aufzeigen, wie sich bestimmte Sanierungsmaßnahmen langfristig auf die CO2-Emissionen und Betriebskosten von konkreten Bauwerken auswirken, wie auch Sibyl Steuwer vom Buildungs Performance Institute Europe (BPIE) im Interview mit RESET bemängelt.

Verschiedene digitale Anwendungen bieten hier virtuelle Lösungen. Im Projekt BIM4REN werden zum Beispiel einfach zu verwendende Werkzeuge und Dienste für einen anpassungsfähigen und schnellen Sanierungsprozess entwickelt. Deren Einsatzbereich soll vor allem serielles Sanieren sein, um so die Sanierungsquote zu beschleunigen. Entscheidend ist dabei die Standardisierung von Abläufen. Denn selbst wenn jedes Gebäude individuell ist, sind die Prozesse bei der Sanierung trotzdem die gleichen. „Wenn wir das Gebäude digital aufgemessen haben, wissen, wie es aussieht, und wissen, was die beste Lösung ist, dann können wir in der Werkhalle sehr genau produzieren und haben trotzdem einen standardisierten Prozess. Dabei ist ein durchgehender digitaler Prozess enorm hilfreich“, betont Steuwer in diesem Zusammenhang.

Serielles Sanieren

Serielles Sanieren bedeutet, dass Fassaden- und Dachelemente oder Anlagentechnik – wie zum Beispiel Wärmepumpenmodule – abseits der Baustelle vorgefertigt werden, um sie dann vor Ort nur noch zu montieren. Durch den hohen Vorfertigungsgrad kann damit der Material- und Zeitaufwand im Vergleich zur herkömmlichen Sanierung deutlich reduziert werden.

Und mit der Software von CAALA ist es möglich, in einem teilautomatisierten Vorgehen die energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Effekte der verschiedenen Sanierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des Lebenszyklus zu berechnen. Anhand eines 3D-Modells können Sanierungsmaßnahmen wie Wärmedämmung, der Austausch von Fenstern und Heizung oder PV-Anlagen abgebildet und deren Auswirkungen und ihr Zusammenspiel sichtbar gemacht werden. Dabei lassen sich sowohl die bereits verbauten Emissionen als auch die Emissionen der Sanierungsmaßnahmen ermitteln und gegenüber der Reduktionspotenziale im Betrieb einordnen. Derartige digitale Lösungen können so dazu beitragen, Unsicherheiten bei Eigentümer*innen auszuräumen und im besten Fall Sanierungsmaßnahmen beschleunigen.

© Fahroni
Baukonstruktion, verwendete Materialien und Heizungsart entscheiden darüber, wie viele CO2-Emissionen ein Gebäude im Laufe seines Lebens verursachen wird.

Allerdings ist die Nutzung dieser und ähnlicher Planungssoftware noch nicht im deutschen Markt angekommen. So wirkungsvoll sie auch sein können – die meisten der Anwendungen werden nur im Rahmen einzelner Pilotprojekte eingesetzt. „Es gibt Umfragen, die zeigen, dass mehr Unternehmen solche Planungstools einsetzen, aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland weit hinten“, berichtet Sibyl Steuwer.

– Den Betrieb intelligent steuern

Mittel- und langfristig sollte die Gebäudeeffizienz durch Sanierungsmaßnahmen verbessert werden. „Kurzfristig können wir jedoch mithilfe von Digitalisierung mehr Transparenz in den Betrieb von Gebäuden bringen und diesen optimieren, ohne aufwendige Sanierungsmaßnahmen durchzuführen“, sagt Rita Streblow, Oberingenieurin und Teamleiterin am Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik an der RWTH Aachen, im Interview mit RESET.

In bestehenden Gebäuden hat vor allem die Effizienz der Anlagentechnik für Heizung, Kühlung und Lüftung einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen. Doch sowohl alte als auch neue Anlagen weisen oft unnötige Verbräuche und hohe Verluste vor, wenn sie nicht optimal betrieben werden. Bisher fehlt oft die richtige Technik, um die Daten zu erfassen und zu speichern, wie auch die Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045 feststellt.

Das größte Potenzial digitaler Technologien im Gebäudebetrieb steckt darin, sämtliche Verbräuche sichtbar zu machen, zu überwachen und so idealerweise durch eine Optimierung zu reduzieren. Das Startup metr beispielsweise setzt dazu auf die Fernüberwachung von Energieverbräuchen und Heizungs- und Trinkwasseranlagen sowie eine KI-gestützte Heizungsoptimierung. Eine digitale Plattform – metr nennt sie das „digitale Rückgrat“ des Gebäudes – integriert dann sämtliche technischen Systeme unabhängig vom Hersteller nahtlos.

aedifion dagegen sammelt sämtliche Daten aus dem Gebäude, die dann zu einem digitalen Zwilling zusammengetragen und von einer künstlichen Intelligenz kontinuierlich analysiert werden. Die Optimierung der Anlagen im Gebäude geschieht mithilfe der KI daraufhin autonom und selbstlernend.

Gebäudeautomation

Schon seit den 1980er Jahren werden Technik und Software zur automatischen Steuerung, Regelung und Überwachung von Gebäuden eingesetzt und mit dem Begriff der Gebäudeautomation (GA) zusammengefasst. Seitdem hat sich die Technik allerdings stark verändert. Verteilte Soft- und Hardwarearchitekturen, neuronale Algorithmen und Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz machen heute eine kontinuierliche Analyse und Steuerung komplexer Energiemanagementaufgaben problemlos möglich.

Das Potenzial der Gebäudeautomation ist groß. Nicolas Réhault, Leiter der Gruppe Building Performance Optimization am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, berichtet, dass mit digitalen Werkzeugen, die Transparenz in den Gebäudebetrieb bringen und über Optimierungsmöglichkeiten und Abweichungen informieren, Einsparungen von bis zu 20 Prozent erzielt werden können. Dies belegen auch verschiedene Studien (Beucker, Bergesen, & Gibon, 2016).

Allerdings sind die tatsächlich erreichbaren Treibhausgasminderungen durch digitale Technologien nicht immer leicht zu ermitteln und u. a. stark vom Alter und Zustand des jeweiligen Gebäudes und der Anlagentechnik abhängig. Zudem können technisch sehr ähnliche Ansätze, die von unterschiedlichen Herstellern stammen, in der Praxis zu abweichenden Einsparungen führen, wie auch Severin Beucker und Simon Hinterholzer vom Borderstep Institut (Bitkom, 2021) feststellen. Und schließlich ist ein erfolgreicher Einsatz der Technik ebenfalls von dem Verhalten der Bewohnenden abhängig.

– Vernetzte Gebäude

Bisher werden Gebäude zumeist isoliert voneinander betrieben und geregelt, zwischen ihnen findet kein Austausch von Strom oder Wärme statt. Doch insbesondere in der Gebäudeautomation steckt die Chance, Gebäude und Wohnungen intelligent untereinander sowie mit dem Energiesystem zu vernetzen. Die Vernetzung ist dabei sowohl die Voraussetzung, um den Energieverbrauch zu senken, als auch für die Sektorkopplung, bei der die Wärmeerzeugung. Bei letzterem werden zum Beispiel Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerke mit elektrischen Erzeugern und Speichern wie PV-Anlagen, Batterien in Gebäuden oder Elektrofahrzeugen miteinander verknüpft.

Ein Modell hierfür ist das Projekt EnStadt:Pfaff. In der Nähe des Stadtzentrums von Kaiserslautern soll bis 2029 ein klimaneutrales Wohn-, Gewerbe- und Technologiequartier entstehen. Dazu sollen alle Produzenten und Konsumenten – also Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeicher, Elektroautos und Haushalte – in einem Smart Grid miteinander verbunden werden. Indem so die lokale Erzeugung erneuerbarer Energie mit einer fein abgestimmten, kleinteiligen Steuerung direkt an den Verbrauch vor Ort gekoppelt werden kann, wird die Umstellung auf erneuerbare Energien bei Strom und Wärme erleichtert.

© Fraunhofer ISE
So sollen im Pfaff-Quartier die einzelnen Bereiche in einem intelligent vernetzten Sytsem zusammenspielen.

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg wurde ein weiteres Modellprojekt initiiert. Im Rahmen der Forschungsprojekte ProSHAPE und WindNODE wurden sechs teilsanierte Bestandsgebäude mit einer Gebäudeautomation ausgerüstet, die vernetzte Steuerungskomponenten (Temperatursensoren, Steuerungselektronik) und Software (Betriebssystem, Optimierungsalgorithmen, Softwaredienste) beinhaltet, um den Energieverbrauch in den Gebäuden zu optimieren. Dazu werden Regelgrößen wie zum Beispiel die gemessene Temperatur zunächst auf der Raum- oder Wohnungsebene erfasst beziehungsweise die Nutzungszeiten von den Bewohnenden definiert. Diese werden dann an eine zentrale Steuerungseinheit weitergeleitet, die die Optimierung und Steuerung der Heizzentrale über alle Nutzungseinheiten hinweg übernimmt. Durch das System konnte im Vergleich zu ähnlichen Gebäuden eine Einsparung von rund 24 Prozent Heizenergie erreicht werden.

– Zirkulär bauen

Gebäude, die kurz vor dem Abriss stehen, beherbergen etliche Ressourcen, die sich in Neubauten wiederverwenden lassen – was allerdings in den seltensten Fällen tatsächlich geschieht. Als Folge ist der Bausektor deutschlandweit für etwa die Hälfte des nationalen Abfallaufkommens verantwortlich. Zu einer erfolgreichen Gebäudewende gehört daher nicht nur die energie- und ressourcenschonende Planung und der Betrieb von Gebäuden, sondern auch eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Baubranche.

Allerdings fehlten in der Vergangenheit häufig die Informationen über die verbauten bzw. wieder verfügbaren Materialien und eine entsprechende Vernetzung, damit diese ihren Weg in neue Bauwerke finden können. Ein digitales Tool, mit dem das zirkuläre Bauen vorangebracht werden soll, ist der digitale Madaster-Materialpass. Durch eine umfassende Datenerhebung werden zunächst alle verfügbaren Gebäudeinformationen gesammelt. Madaster als zentrale Online-Plattform speichert, verwaltet und tauscht dann die gesammelten Informationen zu den verbauten Materialien.

Das Unternehmen Concular geht mit seinem digitalen Gebäuderessourcenpass noch ein Stück weiter. Mit dem Pass sollen Eigentümer*innen die Möglichkeit haben, einen Überblick über ihre Immobilien und deren Potenzial für das zirkuläre Bauen in allen Lebenszyklusphasen der Gebäude zu erhalten. Dabei soll die Optimierung der Zirkularität mithilfe des Passes unterstützt werden – von der Planung über die Bestandssanierung bis hin zum Rückbau. Gleichzeitig erleichtern die gesammelten Daten auch die Ökobilanzierung von Gebäuden.

Von der Brandschutztür bis zu Ziegeln – gebrauchte Bauteile finden

Zur erfolgreichen Umsetzung des zirkulären Bauens gehört auch eine Plattform zum Austausch für gebrauchte Materialien und Bauteile. Das Bauteilnetz Deutschland führt eine Datenbank zu regionalen Bauteilbörsen und auch das Berliner Unternehmen Concular hat vor einigen Jahren einen Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe gestartet.

Der Schlüssel der Ökobilanzierung und Zirkularitätsbewertung ist bei Madaster und Concular die Gewinnung von relevanten Daten mittels Building Information Modeling, kurz BIM, sowie deren Analyse und Auswertung.

Die digitalen Bauwerksinformationsmodelle können dabei noch mehr; sie helfen nicht nur dabei, das „Ableben“ von Gebäuden besser zu organisieren, sondern können sämtliche bauwerksbezogenen Daten an einem Ort zusammenführen und so idealerweise alle beteiligten Akteure zusammenbringen.

– Der Weg zum durchgängigen, digitalen Lebenszyklus

Der Bausektor in seiner aktuellen Form ist eine fragmentierte Industrie. An einem typischen Bauprojekt ist eine Vielzahl an Herstellern, Dienstleistern und Zulieferbetrieben beteiligt, die für einzelne Aktivitäten und Phasen verantwortlich sind. Doch für die umfassende Verbesserung des Energie- und Ressourcenverbrauchs im Gebäudesektor ist die flächendeckende Erfassung und Analyse und ein kontinuierliches Monitoring von Bau- und Verbrauchsdaten eine zentrale Voraussetzung, wie die bereits genannten Beispiele gezeigt haben. Denn oft gleiche Maßnahmen können je nach Gebäudeart und Ausstattung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Dazu kommt: Entsteht ein durchgängiger Informationsfluss, werden die einzelnen Planungsschritte transparent. Alle Beteiligten können sehen, welche Auswirkungen das jeweilige Handeln auf andere Gebäudebereiche hat und verschiedene Maßnahmen können für maximale Einsparungen besser aufeinander abgestimmt werden. „Mittelfristig müssen wir die Herangehensweise, die Kooperation von Stakeholdern und auch die Geschäftsmodelle im Gebäudesektor angehen, um dann langfristig zu einem kompletten nachhaltigen Lebenszyklus des Gebäudes zu kommen“, sagt daher auch Rita Streblow.

Bei dieser lebenszyklischen, integralen Planung stellt BIM einen Paradigmenwechsel dar. Ursprünglich wurden die zugrundliegenden Softwaresysteme zur Visualisierung und Entwurfsplanung von Gebäuden eingesetzt. Doch mittlerweile können in ihnen viele bauwerksrelevante Daten – Architektur, Baumaterialien, Gebäude- und Versorgungstechnik als auch dynamische Daten – wie Messdaten aus dem Betrieb – erfasst, verwaltet und transparent gemacht werden.

Außerdem sind die Systeme leicht um ökologisch relevante Informationen erweiterbar. Dazu gehören die genaue Materialzusammensetzung und -herkunft als auch die Erfassung von Verbrauchsdaten von Energieträgern – zum Beispiel Gas- und Wärmemengen und Strom -, die u. a. über eine Gebäudeautomation einfließen. Damit steckt in den Modellen das Potenzial, zu einer wichtigen Grundlage für die Erfassung und Bewertung von Klimaschutz- und Energieeffizienzpotenzialen sowie die Erstellung von Ökobilanzen von Gebäuden zu werden.

BIM meets Digital Twin

Das Building Information Modeling kann als statisches Modell begriffen werden, während ein digitaler Zwilling dynamisch ist. Der digitale Zwilling ist eine Nachbildung des realen Objekts und wird insbesondere aus Echtzeit-Daten von Sensoren erstellt.

Beide Technologien können einzeln verwendet werden – entfalten jedoch laut Baubranchenexpert*innen wie Daniel Smolilo und Amrita Bajwa ihr größtes Potenzial in der gemeinsamen Anwendung. In den kommenden Jahren könnte so bei Bauprojekten zunächst mit BIM eine solide Planungsgrundlage geschaffen werden, die durch einen digitalen Zwilling in der Gebäudeumsetzung und -verwaltung detaillierte Echtzeitinformationen liefert und tagesaktuelle Validierungen für schnelle Anpassungen zulässt.

In Gießen wird BIM genutzt, um das Modellprojekt EnEff:Stadt FlexQuartier umzusetzen. Ziel des Bauprojekts ist, ein Energieeffizienzquartier mit flexiblen Speichertechnologien zu planen, errichten und untersuchen. Außerdem soll das Quartier hinsichtlich seiner Flexibilisierung und Sektorenkopplung analysiert werden. Für das Forschungsprojekt wurde die BIM-Arbeitsmethode modifiziert und an den Umfang der Quartiersgröße und den Forschungsfokus angepasst.

Herausgekommen ist das Quartiers-Informations-Modell (QIM). QIM beinhaltet alle bereits erwähnten Eigenschaften des BIM-Systems, aber wird um energetische und auswertende Aspekte erweitert. So sollen die ehemals getrennten Disziplinen der Energieerzeugung, -verteilung und -speicherung mit dem Energiebedarf auf Quartiers-, Infrastruktur- und Gebäudeebene – also der Architektur und baulichen Infrastruktur – in Beziehung gesetzt werden.

BIM als Open-Source-Software

Viele der am Markt angebotenen BIM-Systeme sind proprietäre Lösungen. Parallel hat sich deshalb mit der Organisation buildingSMART eine internationale, herstellerunabhängige Initiative gebildet, die mit dem Open-Source-Format Industry Foundation Classes (IFC) einen interoperablen Austausch von Daten fördert. Dadurch sollen Schnittstellen geschaffen werden, die den Informationsaustausch über verschiedene Fachdisziplinen und Formate hinweg ermöglichen. Außerdem gibt es mit FreeCAD und OpenProject Open-Source-Projektmanagementsoftware, die BIM-Funktionen beinhaltet.

Zahlreiche Untersuchungen weisen BIM als Katalysator aus, der die Fragmentierung der Planungs- und Bauprozesse wesentlich reduzieren, die Effizienz steigern und Planungskosten senken kann. Für eine routinemäßige Anwendung in der Bauwirtschaft sind jedoch neben weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig, die vor allem auf einheitliche Architekturen der Software und branchenweite Standardisierungsmaßnahmen abzielen.

Mögliche negative Umwelteffekte digitaler Gebäudetechnologien

Eine grundlegende Frage bei der Nutzung digitaler Technologien ist die nach deren Umwelteffekten. Denn wo immer digitale Technologien zum Einsatz kommen, sind ressourcenintensive Sensoren und andere Geräte nötig und Software und KI-basierte Anwendungen müssen mit oft hohem Energieaufwand entwickelt und trainiert werden. Wie wirkt sich also eine Technologie aus, wenn nicht nur die unmittelbaren Einsparungen betrachtet werden, sondern der gesamte Lebenszyklus der Anwendungen selbst?

Wird nicht nur der Energieverbrauch, sondern auch die Herstellung, die Rohstoffgewinnung und die Entsorgung der der jeweiligen Technologien miteinbezogen, dann ist es möglich, dass vormals positive Effekte – zum Beispiel die Einsparung von Energie in der Nutzung – durch gegenteilige Effekte aufgehoben werden, wie verschiedene Analysen zeigen (u.a Report: Digital Reset, 2023. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn weniger eine effiziente Energienutzung das Ziel ist, sondern eher die Komforterhöhung (Lange et al., 2020).

Um eine abschließende Ökobilanz zu erhalten ist es daher wichtig, sämtliche umweltrelevanten Vorgänge und Prozesse von Produkten, Dienstleistungen oder Verfahren zu erfassen. Allerdings ist es nicht leicht, von den Herstellern Informationen darüber zu erhalten – eine Nachweispflicht besteht aktuell nicht. Und auch wenn es durchaus eine wachsende Anzahl an Studien zu den grundlegenden Wirkungen der Digitalisierung auf den Klimaschutz gibt, so sind detaillierte Analysen zu einzelnen Technologien noch selten.

Dazu kommt eine weitere Herausforderung bei der Bewertung: Die sogenannten Rebound-Effekte. Damit ist gemeint, dass eine effizienzsteigernde Maßnahme durch beispielsweise eine erhöhte Nachfrage aufgehoben wird. Auch hier ist die systematische Analyse komplex, da die Effekte von verschiedenen Faktoren abhängen.

Daher bleibt grundsätzlich festzuhalten: Auch wenn viele Studien der Gebäudeautomation und ähnlichen digitalen Anwendungen eine positive Gesamtwirkung auf den Gebäudesektor zuschreiben, so können die Anwendungen umso mehr bzw. erst dann ein positives Potenzial entfalten, wenn sie nach nachhaltigen Grundsätzen gestaltet sind. Dazu gehört nicht nur, dass sie einen geringen eigenen Energieverbrauchs in der Entwicklung und der Nutzungsphase haben, sondern sämtliche digitalen Tools sollten grundsätzlich auf Langlebigkeit hin entwickelt werden. Außerdem sollten sie kompatibel mit anderen Systemen und einfach reparierbar sein und lange Updates angeboten werden. Mehr dazu hier: Der digitale Fußabdruck – Unser Ressourcenverbrauch im Netz

Wie kann die Gebäudewende gelingen?

© Burcu Demir

Eingangs wurden drei zentrale Maßnahmen genannt, mit denen die hohen Emissionen des Sektors wirkungsvoll reduziert werden: An erster Stelle muss die Wärmenachfrage von Gebäuden – insbesondere im Bestand – deutlich zurückgehen. Dann geht es darum, die Wärme vorrangig aus erneuerbaren Energien zu beziehen und im Neubau ressourceneffizient zu bauen.

Die verschiedenen Anwendungsbeispiele haben gezeigt, wie digitale Lösungen in sämtlichen Lebensphasen von Gebäuden bei diesen Aufgaben unterstützen können: Indem sie Verbräuche transparent machen und optimieren, helfen sie, Heizenergie einzusparen. Sie unterstützen bei der Sanierung, indem sie verschiedene Maßnahmen darstellen und bewerten können. In der Planung können sie den Bau klimaneutraler Neubauten durch eine intelligente Konstruktion und Wärmekonzepte, die auf erneuerbaren Energien basieren, ermöglichen. Außerdem spielen digitale Technologien eine entscheidende Rolle in der Kreislaufwirtschaft, da sie Lösungen zur Erfassung sämtlicher verbauter Materialien bereitstellen und so zu deren Wiederverwendung beitragen. Und indem mithilfe von digitalen Lösungen alle gebäudebezogenen Daten und Informationen an einem Ort zusammengebracht werden, haben sie letztlich das Potenzial, alle beteiligten Akteure über den gesamten Lebenszyklus zusammenzubringen und so Kreisläufe nachhaltig zu schließen. BIM wurde hier als ein vielversprechendes digitales Werkzeug genannt. „Gelingt es, diese Werkzeuge durch gemeinsame Architekturen sowie Datenformate und Schnittstellen flächendeckend für Aufgaben der Planung und Bewirtschaftung von Gebäudebeständen nutzbar zu machen, können damit wirksame Strategien zur CO2-Minderung und Ressourcenschonung entwickelt werden“, stellen auch Severin Beucker und Simon Hinterholzer fest.

Trotz der Tatsache, dass digitale Anwendungen nachweislich den Energie- und Ressourcenverbrauch im Gebäudesektor senken können, was zudem langfristig Kosten für Mieter*innen, Wohnungsgesellschaften und Eigentümer*innen einspart, entscheiden sich bisher nur wenige für deren Einsatz. Mit steigenden Energiepreisen und sich verschärfenden Auflagen zum Klimaschutz in Europa und Deutschland ist allerdings davon auszugehen, dass digitale Werkzeuge in der Bau- und Immobilienbranche stärker in den Vordergrund rücken werden.

Doch was braucht es, um eine nachhaltige Digitalisierung des Gebäudesektors voranzutreiben?

An erster Stelle ist ein politischer Rahmen wesentlich, der verbindlichere CO2-Reduktionziele im Gebäudesektor festlegt und so den Transformationsdruck erhöht. Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung reichen bei Weitem nicht aus, um die Ziele im Gebäudesektor zu erreichen. Zudem sind mehr mutige, innovative Projekte sowie eine ausführliche Analyse und Forschung gefragt. Hier ist auch die Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik, Verwaltung und Wohnungswirtschaft notwendig. Und soll die Vernetzung von Energiesystem, Mobilitätssektor und Gebäudesektor gelingen, sind übergreifende Digitalisierungsstrategien nötig. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der in der 2018 novellierten EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie genannte Smart Readiness Indicator (SRI). Der Indikator soll die Fähigkeit eines Gebäudes bewerten, mit Nutzenden und dem Netz zu interagieren und somit dessen Betrieb energieeffizient gestalten. Die SRI wird derzeit in acht Mitgliedstaaten erprobt.

Außerdem sollte die öffentliche Hand eine Vorreiterrolle einnehmen, wie auch Rita Streblow im Interview vorschlägt, und einen zukunftsfesten kommunalen Gebäudebestand massiv vorantreiben.

Damit die Potenziale ausgeschöpft werden und nicht „blind“, sondern maßvoll digitalisiert wird, sollte zudem die Ökobilanz der Anwendungen selbst im Blick behalten werden. Gelingen kann dies u. a. durch Ökodesign-Anforderungen auf Bundes- und EU-Ebene, die die Nachhaltigkeit der digitalen Anwendungen unterstützen.

Bei all diesen Maßnahmen sollte jedoch darauf geachtet werden, sie sozialverträglich zu gestalten, worauf auch die Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045 hinweist.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

© Kunaljit Chadha / ETH Zurich - Gramazio Kohler Research, Chair of Sustainable Construction and Robotic Systems Lab
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