So treiben Bürger*innen mit öffentlichen Daten, Apps und Plattformen den Umwelt- und Klimaschutz voran

Mit digitalen Tools in Bürgerhand werden Umweltdaten und Behördenwissen zum Gemeinwohl und Ausgangspunkt für Veränderungen.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 29.11.21

Übersetzung Mark Newton:

Klimawandel, Plastikstrudel in unseren Meeren, Müllberge in der Natur – wer sich um Umwelt und Klima schert, steht vor vielen Herausforderungen. Aber wo und wie anfangen? Den meisten von uns ist mittlerweile bewusst, dass CO2 spart, wer auf Zug und Fahrrad umsteigt, weniger Plastik und Fleisch konsumiert und den eigenen Müll richtig entsorgt. Wenn sich dann die Straßen mit Radfahrenden füllen, zieht das irgendwann den Umbau der Verkehrsinfrastrukturen nach. Und wenn bestimmte Produkte zu Ladenhütern werden, kann das durchaus ein Signal an Unternehmen sein.

Dennoch ist die Reichweite dieser Alltagshandlungen begrenzt und große Schritte im Klimaschutz machen wir nun, wenn sich Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und der Energiemarkt Richtung CO2-Neutralität bewegen (vgl. Kurzstudie: Doing your fair share for the climate?). Doch wie kommt Bewegung in den Umwelt- und Klimaschutz? Ein Weg ist es, auf Demos für eine Sache einzustehen und Organisationen mit Spenden zu unterstützen, die diese Probleme für uns alle angehen und in der Lage sind, sowohl auf Politik als auch Unternehmen Druck auszuüben.

Aus der Zivilgesellschaft kommt noch eine weitere Möglichkeit, sich zu engagieren, nämlich über Apps und Plattformen, die eine technologiegestützte direkte Kommunikation zwischen Bürger*innen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Regierungen und Unternehmen ermöglichen. Solche Tools zählen zu Civic Tech oder auch Public Interest Tech und umfassen eine Vielzahl an Anwendungen. Eines der prominentesten Beispiele in Deutschland ist FragDenStaat der gemeinnützigen Open Knowledge Foundation.

Wissen und verlässliche Informationen für einen konsequenten Klimaschutz

Wie viele Flüsse überschreiten die Grenzwerte für bestimmte Stoffe einmal, regelmäßig oder immer? Wo hoch sind die Lärm- und Feinstaub-Belastungen in meinem Kiez? Welche Umweltbelastungen bringt ein bestimmtes Bauvorhaben mit sich? Diese und viele weitere Fragen fallen unter das Informationsfreiheits-, das Umweltinformations- oder Verbraucherinformationsgesetz und können unkompliziert und direkt über die Internetplattform FragDenStaat an die entsprechenden Behörden geschickt werden. Stellt eine Nutzerin über das Portal eine Anfrage, wird diese über eine eigens dafür generierte E-Mail-Adresse an die zuständige Behörde gesendet. Sobald eine Antwort eingeht, wird sie automatisch auf der Plattform veröffentlicht und die Informationen stehen allen zur Verfügung.

Neben vielen weiteren Aktionen richtet sich FragDenStaat mit dem Klima-Helpdesk direkt Umwelt- und Klimaaktivistinnen und -organisationen und macht ihnen für ihre Arbeit kostenlos wichtige Informationen aus Behörden zugänglich. Werden Anfragen abgelehnt oder verzögert, berät das Team auch über die nächsten Schritte und übernimmt bei aussichtsreichen oder politisch relevanten Verfahren sogar die Koordinierung von Anwältinnen und die Finanzierung des Prozesses.
Damit können Informationen, die all zu oft exklusiv bei Behörden verbleiben, dem Gemeinwohl dienen – und zu einer wichtigen Datenbasis werden, auf die sich Bürgerinnen berufen können und die u.a. Umwelt- und Klimaaktivistinnen bei Aktionen und Forderungen unterstützt.

Gesetzliche Verpflichtungen für das Gemeinwohl ausschöpfen

Auch die App ToxFox macht sich gesetzliche Verpflichtungen – in diesem Fall Herstellerverpflichtungen – zunutze, um Informationen, die für Laien schwer zu beschaffen und nicht leicht verständlich sind, zugänglich zu machen. Über die App des BUND können Pflegeprodukte und Kinderspielzeug direkt im Laden per Barcode-Scan auf schädliche Inhaltsstoffe überprüft werden. Ist ein Produkt noch nicht in der Datenbank erfasst, erscheint eine Meldung und die Giftanfrage wird direkt per App an die Herstellerinnen oder Händlerinnen verschickt. Da diese gesetzlich verpflichtet sind, innerhalb von 45 Tagen zu antworten, wenn ein Produkt besonders gefährliche Stoffe enthält, muss auch eine Antwort eingehen – die wiederum direkt in die Datenbank einfließt und dort anderen Verbraucher*innen zur Verfügung steht.

Damit lassen die Nutzerinnen selbst die Datenbank der App stetig wachsen. Gleichzeitig bekommen Herstellerinnen und Unternehmen Hinweise darauf, dass sich eine zunehmende Zahl an Menschen darum sorgt, was ihre Produkte beinhalten.

Mehr als 1,5 Millionen Menschen nutzen nach eigenen Angaben bereits die kostenlose App und der BUND setzt sich dafür ein, dass Menschen in ganz Europa bald auf ähnliche Apps zugreifen können. Im Projekt „LIFE AskREACH“ sind bereits EU-weit Apps nach ToxFox-Vorbild verwendbar.

Apps gegen Plastikmüll

Ähnliche Mechanismen nutzen auch die Apps Litterati und Muell-weg.de. Die App Litterati wird wohl weltweit am meisten genutzt und stammt ursprünglich aus den USA. Über die App fotografieren, geotaggen und entfernen die Nutzerinnen gefundenen Müll in Straßen, Parks und Wäldern. Damit sammeln die Geotagger nicht nur Müll, sondern auch Informationen über die Art des Mülls, die Herstellerinnen und den Fundort.

Diese Daten können wichtige Informationen für Kommunen, Organisationen und Unternehmen sein, um passende nachhaltige Lösungen zu erarbeiten, wie dieses Beispiel aus San Francisco zeigt, über das Litterati auf seiner Webseite berichtet: Nach einem Beschluss der Stadtverwaltung von San Francisco sollten Zigarettenhersteller*innen stärker in die Verantwortung für die Hinterlassenschaften ihrer Produkte genommen werden und sich mittels einer erhöhten Steuer an den Beseitigungskosten von Zigarettenstummeln auf Gehwegen, in Parks und Gewässern beteiligen. Doch wie feststellen, wie viel Prozent der Abfälle von Zigaretten stammen, um die Kosten einzuschätzen, die der Stadt für deren Beseitigung entstehen? Über einen Zeitraum von fünf Tagen kartierten und markierten daraufhin Freiwillige über Litterati Abfälle. Auf Grundlage dieser Daten hat das Gericht dann nicht nur zugunsten der neuen Zigarettensteuer gestimmt, die von der Tabakindustrie angefochten worden war, sondern sogar beschlossen, die Höhe der ursprünglichen Steuer zu verdoppeln.

Ein Pendant zu Litterati ist die App muell-weg.de. In nur drei Schritten können Nutzer*innen automatisch den Standort des Mülls bestimmen, einfach per GPS oder durch Auslesen der GPS-Daten aus einem Smartphone-Foto. Die zuständige Gemeinde wird daraufhin automatisch ermittelt und eine vorformulierte Meldung erstellt, die sofort verschickt werden kann. Der Clou dahinter: Einen per E-Mail gemeldeten Müllfund dürfen die Gemeinden nicht ignorieren.

Für 85 Prozent der Gemeinden in der Bundesrepublik sind mittlerweile die Kontaktdaten mit direkten Ansprechpartner*innen verzeichnet, noch nicht aufgelistete Gemeinden können auch selbst eingetragen werden. Damit machen die Nutzenden nicht nur akute Ereignisse sichtbar, sondern auch Müll-Hotspots, was bei der Suche nach Lösungen helfen kann.

Einen Schritt weiter vorne, also bevor Verpackungen ihre Reise im Einkaufswagen beginnen, setzt die App Replace Plastic des Vereins „Küste gegen Plastik“ aus Flensburg an. Um der Plastikflut schon im Supermarkt beizukommen, können Nutzerinnen ihren Ärger über besonders plastikintensiv verpackte Produkte mithilfe der App direkt an die Herstellerinnen weitergeben. Dazu muss lediglich der Barcode gescannt werden. Replace Plastic sammelt dann das Feedback und leitet es an die Herstellerinnen weiter. Damit der Druck auf Herstellerinnen groß genug ist, sind allerdings viele aktive Nutzer*innen gefragt.

Mehr Gemeinwohl durch Technologien in Bürgerhand

Die Beispiele zeigen, wie Apps und Webtools Brücken zwischen Zivilgesellschaft, Kommunen und Unternehmen schlagen, wenn sie schlau eingesetzt werden. Sie ermöglichen die anderweitig nur mühsam – wenn überhaupt – herstellbare direkte Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteurinnen und erhöhen die Transparenz für alle, indem sie Informationen öffentlich machen, die sonst nur schwer zugänglich sind. Und sie geben Bürgerinnen die Möglichkeit, sich an der Datenerhebung und Sichtbarmachung von Problemen zu beteiligen.

Es gibt noch viele weitere Projekte, in denen Bürgerinnen über Civic-Tech-Anwendungen aktiv werden; als Radweg-Kartierende bei Bike Citizens, als Laienwissenschaftlerinnen in Forschungsprojekten wie Cloud Gaze der NASA, als ehrenamtliche Kartographen bei OpenStreetMap oder als Luftqualitätsmesser*innen in der sensor.community.

Dabei ist die Datenerhebung und Zugänglichmachung von Informationen allerdings oft nur der erste Schritt. Denn langfristige und tiefgreifende Veränderungen werden nur dann angestoßen, wenn danach etwas mit diesen Daten passiert. Litterati zum Beispiel setzt daher immer wieder auf Kooperationen mit verschiedenen NGOs und Institutionen, die mithilfe der gesammelten Daten konkrete Forderungen entwickeln und politischen Druck aufbauen, wie das Beispiel aus San Francisco zeigt.

Auch FragdenStaat startet regelmäßig Kampagnen zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen, zum Beispiel 2019 gemeinsam mit der NGO Foodwatch Topf Secret. Über die Plattform können Verbraucherinnen die Ergebnisse von Hygienekontrollen in ihren Lieblingsrestaurants, Bäckereien und Supermärkten mit wenigen Klicks abfragen und auf der Webseite veröffentlichen. Auch der Klima-Gebäude-Check, den FragDenStaat gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) 2020 initiiert hat, sollte Licht in den Energieverbrauch des öffentlichen Gebäudebestands bringen. Über die Kampagnenseite können alle Menschen mit wenigen Klicks die Energieausweise von öffentlichen Gebäuden abfragen, denn nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) bzw. ähnlichen Regelungen der Bundesländer sind die Behörden zur Auskunft verpflichtet. Die Antworten werden dann für alle sichtbar hochgeladen.

Wie die Kampagne gezeigt hat, kommt die öffentliche Hand ihrer Vorbildfunktion aktuell nicht nach und für die wenigsten Gebäude existiert weder ein gültiger Energiebedarfsausweis noch ein Sanierungsfahrplan, der den Anforderungen an einen klimaneutralen öffentlichen Gebäudebestand bis 2030 entspricht. Nur ein Bruchteil unserer Schulen, Rathäuser, Schwimmbäder und Co. ist in einem Zustand, der mit den Klimazielen kompatibel ist. Zeit also, weiter Druck auszuüben – die Daten des Klima-Gebäude-Checks, die jetzt für alle einsehbar vorliegen, sind ein guter Startpunkt.

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.

Mehr Informationen hier.

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