Großbritannien hat sich im Sommer diesen Jahres als erstes G7-Land das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2050 die Nettoemissionen auf null zu reduzieren. Damit wäre das Land klimaneutral. Ein ambitionierter, jedoch keineswegs utopischer Plan. Schon heute bezieht das einstige Geburtsland der Kohlekraft seinen Strom zum Großteil aus erneuerbaren Energien. Kohle trägt nur noch zu etwa zwei Prozent zum britischen Strommix bei.
Dennoch: Auch in Großbritannien ist man weit von einer hundertprozentigen Versorgung mit grünem Strom entfernt. Außerdem ist der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Stromerzeugung extrem schwankend. Auch für den bewussten Verbraucher ist nicht zu erkennen, ob aus der Steckdose nun Strom aus erneuerbaren Quellen oder aus fossilen Brennstoffen fließt.
Mehr Transparenz durch genaue Prognosen
Ein digitales Tool nimmt sich dieses Problems an: Der Übertragungsnetzbetreiber National Grid hat zusammen mit der Oxford Universität, dem Environmental Defense Fund Europe und dem WWF einen sogenannten „Carbon Intensity Forecast“ entwickelt, eine Art „Wetterbericht“ für sauberen Strom.
Die „Carbon Intensity of Electricity“ („Kohlenstoff-Intensität von Elektrizität“) ist ein Messwert, der angibt, wieviel CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Energie produziert werden. Je mehr Strom durch erneuerbare Energien wie Solar- oder Windkraft produziert wird, desto geringer sind die Emissionen pro Kilowattstunde Strom. In die Berechnung von National Grid fließen Werte von Kraftwerken jeglicher Art ein. Die Software kann so angeben, zu welchen Teilen sich der britische Strom aus erneuerbarer und nicht-erneuerbarer Energie zusammensetzt. Daraus resultiert dann eine Vorhersage der CO2-Emissionen.
Die CO2-Intensität ändert sich minutiös, abhängig von der Art der Stromerzeugung sowie der Nachfrage von Elektrizität. Auf Grundlage von Daten dieser Veränderungen liefert das Programm eine Vorhersage der CO2-Intensität der nächsten 96 Stunden, welche alle 30 Minuten aktualisiert wird. Die Software arbeitet mit Regressionsmodellen basierend auf maschinellem Lernen. Die resultierenden Werte sind nicht nur für Wissenschaftler interessant: National Grid verbreitet die ermittelten Informationen frei zugänglich und leicht verständlich über eine eigene Android-App. Der Verbraucher kann so erkennen, zu welcher Zeit der Strom am nachhaltigsten produziert werden wird und seinen Energieverbrauch danach ausrichten. Der Konsument ist somit in der Verantwortung und im Mittelpunkt der Idee. „Die Vorhersage wurde entwickelt, um sowohl höheres Bewusstsein zu schaffen als auch Verbrauchenden zu ermöglichen, den Energiekonsum in Perioden mit niedriger Kohlenstoff-Intensität zu verschieben und so zu minimieren“, so Dr. Alasdair Bruce, leitender Wissenschaftler hinter dem Projekt, gegenüber RESET.
Frei verfügbar und mit großem Potenzial
Das zugrunde liegende Softwaresystem wird zudem als sogenanntes „Open API“ anderen Entwicklern zur Verfügung gestellt. „Es gibt inzwischen viele Unternehmen, die die Carbon Intensity API nutzen“, berichtet Bruce. „Einige Automobilhersteller planen, die Vorhersage in Elektrofahrzeuge einzubetten, damit Besitzer ihre Autos in den ‚grünsten‘ Zeiten aufladen können.“
Auch weitere Apps könnten mit dieser Grundlage entwickelt werden. Sinnvoll wäre auch eine Integration in bestehende Smart-Home-Systeme, die elektrische Geräte genau dann laden, wenn der Strom besonders nachhaltig produziert wird. Eine solche automatisierte Anwendung der Information könnte zukünftig eine wichtige Rolle bei der Vollendung der Energiewende spielen.
National Grid hat mit der Entwicklung eines Vorhersageprogramms für die CO2-Intensität des Strommix eine Informationsquelle geschaffen, die bei gezielter Anwendung definitiv den Verbrauch nicht-erneuerbarer Energien reduzieren kann. Und: Die Vorhersage soll zukünftig nicht nur in Großbritannien verfügbar sein. „Wir haben zahlreiche Pläne. In Zusammenarbeit mit europäischen Partnern soll zukünftig ganz Europa mit einem Carbon Intensity Forecast abgedeckt werden“, berichtet Alasdair Bruce. Es bleibt spannend, wie sich das Projekt weiter entwickelt und wie es sich in andere Anwendungen integrieren lässt.
Wie kann KI im Umwelt- und Klimaschutz wirkungsvoll eingesetzt werden? Welche spannenden Projekte gibt es? Was sind die sozial-ökologischen Risiken der Technologie und wie sehen Löungen aus? Antworten und konkrete Handlungsempfehlungen geben wir in unserem Greenbook(1) „KI und Nachhaltigkeit – Können wir mit Rechenleistung den Planeten retten?“.
Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI
Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.
Mehr Informationen hier.