Deutschland gibt seine Klimaziele auf und auch die bisherigen Selbstverpflichtungsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft zum Klimaschutz reichen wissenschaftlichen Berechnungen zufolge nicht aus, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Obwohl die Folgen des Klimawandels vorhersehbar dramatisch sein werden, dauert beispielsweise die Umstellung auf klimafreundliche Technologien im großen Maßstab zu lange oder anfallende Kosten werden gescheut. Ein Beispiel hierfür ist die Verkehrswende: Elektroautos bieten bisher noch nicht die Reichweite, um mit Benzin oder Diesel betriebene Autos komplett zu ersetzen. Zudem wäre es weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll, alle nicht elektrisch betriebenen Autos direkt zu verschrotten und dafür ausschließlich neue E-Autos auf die Straße zu schicken. Auch die Umrüstung von Flugzeugen, Schiffen oder dem gesamten Betriebsnetz der Eisenbahnen auf elektronischen Antrieb ist in absehbarer Zeit nicht realistisch. Und auch Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Rohstoffe stehen in der Kritik á la „in den Tank statt auf den Teller“ und belasten zudem die Umwelt mit ihren Verbrennungsprodukten.
Das Unternehmen Sunfire kennt das Problem und hat seine Energien daher in die Entwicklung eines CO2-neutralen Kraftstoffes gesteckt, der in der bestehenden Infrastruktur genutzt werden kann – mit Erfolg? Der von Sunfire entwickelte Treibstoff heißt „Crude Blue“ und soll komplett klimaneutral sein.
Aus Wasser und Kohlenstoffdioxid wird Diesel
Für Crude Blue wird in einer Hochtemperatur-Elektrolyse (Elektrolyse ist die Zerlegung chemischer Verbindungen in ihre Bestandteile durch elektrischen Strom) Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Wasserstoff wird anschließend mit Kohlendioxid aus der Außenluft zu einem Synthesegas verbunden. Aus diesem Gas wird in einem „Power to Liquid“-Verfahren tatsächlich ein synthetischer Ersatz für Erdöl. Das Problem bei dem Prozess: Für den Elektrolyse-Prozess muss eine sehr große Menge Energie aufgewendet werden. Um das Produkt klimaneutral zu halten, setzt Sunfire daher ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien ein. Dieser enorme Bedarf an erneuerbarem Strom kann bisher nicht überall gedeckt werden – die erste große Produktionsstätte für Crude Blue entsteht daher gerade in Norwegen, das seinen Strombedarf bereits fast vollständig aus regenerativen Quellen deckt.
Das Besondere an dem synthetischen Treibstoff ist, dass er herkömmliches Erdöl komplett und nahtlos ersetzen könnte und dabei bestehende Infrastrukturen erhalten und dennoch die Treibhausgas-Emissionen massiv gesenkt werden könnten. „Sehr viele Bereiche unserer Wirtschaft werden vom Erdöl dominiert. Alltägliche Produkte, vom Turnschuh bis zur Kosmetik, sind ohne Erdöl undenkbar“, sagt Nils Aldag, Chief Commercial Officer von Sunfire. „Mit Blue Crude haben wir jetzt einen CO2-neutralen Erdölersatz geschaffen, der überall auf der Welt mit unserer Technologie produziert werden und massiv zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen kann.“ Und Christian von Olshausen, Chief Technology Officer bei Sunfire, betont, dass die Verwendung von Blue Crude ein sehr effizienter Weg sei, um den Transport-, Langstrecken- und Flugverkehr zu elektrifizieren und mittelfristig erneuerbar zu gestalten, da die bestehende Infrastruktur aus Raffinerien, Tankstellen und Verkehrsmitteln erhalten bleiben könnten.
Ein weiterer Vorteil von Crude Blue: Bei der Verbrennung von Blue Crude wird der Luft auschließlich das CO2 zurückgeführt, was vorher bereits in ihr enthalten war. Schadstoffe, wie Ruß oder Schwefel, die bei der Verbrennung herkömmlicher Kraftstoffe emittiert werden, entstehen nicht.
Um herkömmliche Kraftstoffe vollständig zu verdrängen, ist Blue Crude mit derzeit rund 2 Euro pro Liter noch sehr teuer, was mit den hohen Stromkosten pro Liter verbunden ist. Im Vergleich dazu: aktuell kostet der Liter Diesel um die 30 Cent ohne Steuern und Kosten für Transport und Lagerung, die ja auch bei Blue Crude noch obendrauf kommen. Sunfire ist jedoch zuversichtlich, die Kosten des synthetischen Treibstoffs bald auf immerhin 1,30 Euro reduzieren zu können.
Klar, dass Autobauer und -industrie von der Idee begeistert sind, mit einem neuartigen Kraftstoff nicht das komplette System umkrempeln zu müssen und dennoch die CO2-Emissionen und Schadstoffe senken zu können. Doch ganz so einfach ist die Sache leider nicht, und das hängt mit den enormen Energiemengen zusammen, die für den Umwandlungsprozess von Wasser in einen alternativen Treibstoff nötig sind. Denn wenn Blue Crude in großem Stil zum Einsatz kommen soll, dann steigt der aktuelle Strombedarf enorm. Ausschließlich sauberer Ökostrom kann diesen Bedraf auch bei einem weiteren schnellen Ausbau nicht decken. Sobald aber z.B. Kohlestrom zum Einsatz kommt, sieht die CO2-Bilanz von Blue Crude nicht mehr so gut aus.
Damit bleiben Designerkraftstoffe maximal mittelfristig eine Alternative zu herkömmlichen Kraftstoffen. Politik und Autoindustrie kommen nicht um die Aufgabe herum, langfristig nachhaltige Mobilitätskonzepte umzusetzen, soll der Verkehr der Zukunft klimaschonend sein.