Yalla Cooperative: Entwickler aus Europa und Gaza coden gemeinsam für die gute Sache

Yalla ist ein Kollektiv von Webentwicklern, die zwar auf verschiedenen Kontinenten leben, aber durch den gemeinsamen Wunsch vereint sind, ihre Programmierfähigkeiten für positive Effekte zu nutzen.

Übersetzung Marisa Pettit, 25.11.19

Das Internet und Online-Tools machen es möglich, dass wir heutzutage alle miteinander verbunden sein können, unabhängig davon, wo wir uns gerade befinden. Welche neuen Arbeitsformen ermöglicht diese Vernetzung? Und wie wird die Zusammenarbeit aus der Ferne genutzt, um positive Effekte zu erzielen?

Yalla, eine Gruppe freiberuflicher Webentwickler und Designer aus Großbritannien, Deutschland und Gaza, ist ein interessantes Beispiel für diese neue Art der Zusammenarbeit. Das Team arbeitet mit gemeinnützigen Organisationen, Startups und Unternehmen zusammen und entwickelt digitale Lösungen. Mit allem, was sie tun, wollen die Köpfe hinter der Kooperative positive gesellschaftliche Auswirkungen erzielen. RESET hat mit sechs Teammitgliedern von Yalla über deren Art der digitalen Zusammenarbeit, die Herausforderungen und die dadurch entstehenden kulturellen Bereicherungen gesprochen.

Ihr seid ein sehr internationales Team. Von wo aus arbeitet ihr? Und auf welche „Grenzen“ stoßt ihr bei der Zusammenarbeit?

Simon: Wir sind aktuell ein paar Leute in Großbritannien und Deutschland und sieben Entwickler in Gaza. Dadurch, dass die Menschen in Gaza nicht reisen dürfen, es anhaltende Militärschläge gibt und die Internetverbindung aufgrund von Stromausfällen nicht immer zuverlässig ist, wird das webbasierte Software-Engineering zu einer schwierigen Aufgabe. Und es gibt noch andere soziale und politische Probleme. Um nach Gaza zu reisen und unser Team treffen zu können, ist ein langwieriges und hochsicheres Visa- und Reiseverfahren nötig.

Wir nutzen Online-Tools, um gemeinsam Code auszutauschen und zu programmieren, zum Beispiel Slack und GitHub. Wir haben auch tägliche Stand-ups per Videostream, bei denen wir über unsere aktuelle Arbeit sprechen, Fragen stellen und voneinander lernen. Wir versuchen auch einige interkulturelle und teambildende Dinge, zum Beispiel unterrichten wir uns gegenseitig in Arabisch, Deutsch und Englisch und tauschen uns miteinander über unser Leben aus. Wir wollen nicht nur zusammenarbeiten – wir wollen uns auch kennenlernen.

Wie seid ihr auf die Idee für Yalla gekommen? Und wie habt ihr euch alle gefunden?

Simon: Joe und ich waren die ersten, die am Founders Programme teilnahmen; das ist eine gemeinsame Initiative von Founders and Coders und Gaza Sky Geeks, bei der zwei Absolventen aus Großbritannien mit Entwicklern in Palästina zusammenarbeiten konnten, um Web-Apps zu entwickeln, die positive gesellschaftliche Auswirkungen haben. Eines dieser Projekte konnte sich weitere Mittel sichern und wir haben auch ein paar andere bezahlte Projekte bekommen. Uns ist klar geworden, dass wir das Ganze zu einer größeren, dauerhaften Sache machen könnten – und haben eine eigene Agentur gegründet.

Über das Entwicklernetzwerk haben wir neue Leute gefunden und können glücklicherweise auf Gründer und Programmierer sowie Gaza Sky Geeks Alumni zurückgreifen. Bisher haben wir aus der Ferne an mehreren Projekten zu verschiedensten Themen wie psychischer Gesundheit, Bauarbeiten und Freiwilligenarbeit gearbeitet. Vor einigen Wochen haben wir dann endlich zum ersten Mal unsere Kollegen in Gaza besucht. Zu diesem Zeitpunkt haben wir an vier verschiedenen Projekten mit vier Entwicklern in Europa und sieben in Gaza gearbeitet.

Alle Apps sind noch im Beta-Modus und nicht öffentlich. Da gibt es Earwig, eine Review-Plattform-App für Arbeitende in der Baubranche, um die Transparenz innerhalb des Sektors zu erhöhen; death.io ist ein Chatbot, der Informationen über seine Benutzenden speichert, die eine andere, farbenfrohe Perspektive auf den Tod schaffen wollen; RENTCHECK ist eine App, die unabhängige Unternehmen in Zeiten explodierender Mietsteigerungen unterstützen soll; Connect 5 ist eine App zur Unterstützung der Ausbildung von Mitarbeitenden, die im Bereich der psychischen Gesundheit arbeiten; und PressPad ist eine App, die die Vielfalt im Journalismus erhöhen soll, indem sie junge Menschen mit Gastmentor*innen zusammenbringt, die Berufserfahrung und eine Unterkunft anbieten können.

© Yalla Cooperative

Was sind die größten Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Entwicklern außerhalb von Gaza? Und was ist dabei besonders bereichernd?

Abdalsamad: Da wir uns in Gaza befinden, haben wir natürlich Reiseprobleme – auch wenn das Internet dazu beiträgt, eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen. Die enge Zusammenarbeit mit anderen Menschen außerhalb des Gazastreifens und aus einer anderen Kultur und Religion öffnet einem die Augen für viele neue Aspekte des Lebens. Es erweitert auch das eigene Denken und gibt einem mehr Hoffnung auf eine bessere und friedlichere Welt.

Ahmed: Der Unterschied in Kultur und Denken zwischen uns und den europäischen Entwicklern lässt mich die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten. Dadurch denke ich viel darüber nach, wie toll es ist, über technische Tools zu verfügen, die es einfach machen, Menschen von weit entfernten Orten aus kennenzulernen. Die Zusammenarbeit mit Entwicklern außerhalb von Gaza lässt mich an das glauben, was ich als Teil eines größeren und globalisierten Technologiesektors tue.

Marwa: Das Kennenlernen von Menschen aus anderen Kulturen und anderen Ländern hat mir das Gefühl gegeben, um die Welt zu reisen, auch wenn ich nicht über die Grenzen von Gaza hinausgehen konnte.

Seid ihr aufgrund kultureller Unterschiede auf Herausforderungen gestoßen? Wenn ja, welche?

Abdalsamad: Nein, nicht wirklich. Außer, dass Joe und Simon manchmal meine Witze nicht verstehen!

Joe: Abdalsamad erwartet, dass wir über all seine Witze lachen! Nein, eigentlich nicht. Es ist eher erstaunlich, wie gut man sich verbinden und kennenlernen kann, obwohl die Interaktionen über einen Bildschirm laufen. Ich habe die anderen schnell als Freunde betrachtet, lange bevor wir uns persönlich getroffen haben.

Ramy: Ich sehe die Unterschiede nicht wirklich als Herausforderung. Ich unterhalte mich gerne mit Joe und Simon über die kulturellen Unterschiede zwischen uns und unseren Gemeinschaften.

Simon: Ich denke, generelle gemeinsame Interessen wie das, was wir schauen und die Musik, die wir hören, und auch der Drang, ständig voneinander zu lernen, erleichtert die Verbindungen zwischen den Kulturen viel schneller als früher.

Was sollten eure Kollegen (Simon und Joe) während ihrer Reise unbedingt über Gaza erfahren?

Abdalsamad: Meine Gefühle für die Situation in Gaza und das, was ich möchte, das andere darüber erfahren, sind sehr kompliziert und schwer zu beschreiben. Also bleibe ich bei der traditionellen Antwort: die Kultur und das Essen.

Ahmed: Mir war wichtig, dass sie mit eigenen Augen sehen, dass Gaza sich von den Bildern, die die Medien vermitteln, unterscheidet und dass die Bevölkerung hier Menschen sind wie überall sonst auch.

Welche wesentlichen Unterschiede seht ihr in der Zusammenarbeit vor Ort und der Zusammenarbeit über Online-Tools?

Ramy: Was die Arbeit selbst betrifft, ist es beim Internet, bei Slack, Github und Videoanrufen fast so, als ob man zusammen im selben Raum ist. Aber es war großartig, das ganze Team einmal in „echt“ um sich zu haben und wirklich zusammenzuarbeiten.

Simon: Das persönliche Treffen und das Zusammensein im selben Raum bietet eine andere Energie als das, was bei Fern-Meetings entsteht. Man kann sich persönlicher verbinden, sich gegenseitig anlächeln, gemeinsam essen und lachen, aus den Geschichten des anderen lernen…

Joe: Und es war großartig, dass die Internetverbindung nicht mitten im Gespräch unterbrochen wurde! Die Arbeit selbst war jedoch sehr ähnlich – es war eher auf persönlicher Ebene so toll, dass man miteinander quatschen, scherzen und Kanafeh essen konnte.

Was ist eure Vision für die Zukunft?

Simon: Wir möchten etwas schaffen, das von jedem im Team über Grenzen hinweg gestaltet und gesteuert werden kann. Bei Yalla wollen wir, dass es eine flache Hierarchie gibt, eine wirklich gemeinschaftliche Struktur. Wir sind dabei, eine kooperative Geschäftsstruktur zu bilden, die regelmäßige Geschäftstreffen, Mitgliedschaft und erleichterte Zahlungsabläufe umfasst.  Gerne möchten wir auch das gesamte Team zu einem Treffen in Europa einladen!

Ohne webbasierte Technologien wäre Yalla nie möglich gewesen. Die technologische Revolution entwickelt sich zwar in eine Richtung, die allzu oft von nicht nachhaltigen Interessen geleitet wird, aber sie verschafft uns auch Werkzeuge, mit denen wir bei relativ niedrigen Kosten erhebliche Wirkungen erzielen können. Und sie ermöglicht es uns, in Gebieten tätig zu werden, die von sozialen Unruhen geprägt sind – und dort miteinander zu arbeiten. Ich denke gerne, dass es in Zukunft mehr Unternehmen wie Yalla geben wird, die Technologie nutzen, um Gleichgesinnte auf der ganzen Welt zusammenzubringen, um Dinge zu schaffen und zu gestalten, die der Gesellschaft und der Umwelt helfen.

Dieses Interview erschien zuerst auf unserer englischen Website. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Lydia Skrabania.

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