Enyway: „Wir wollen unseren Kunden ermöglichen, viel mehr Einfluss auf die Energiewende zu nehmen“

Über die Plattform von Enyway beziehen Kunden den Strom direkt vom Erzeuger - große Konzerne könnten so überflüssig werden.

Der Strommarktplatz Enyway will die großen Energieversorgungskonzerne überflüssig machen. Wir haben mit Mitgründerin Varena Junge darüber gesprochen, wie sie das erreichen wollen.

Autor*in Lydia Skrabania, 26.07.18

Übersetzung Lydia Skrabania:

Varena Junge ist 30 Jahre alt, studierte Umweltwissenschaftlerin und war in den vergangenen zehn Jahren beruflich schon viel in der Welt unterwegs. In Stockholm, Hongkong, Bangkok und anderen Städten beschäftigte sie sich mit innovativen Ansätzen im Bereich der erneuerbaren Energien, z.B. Solarenergie oder Elektromobilität; außerdem war sie lange für Greenpeace aktiv. Vor einer Weile führte ihr Weg sie zurück nach Hamburg, wo sie gemeinsam mit Heiko von Tschischwitz (vormals Mitgründer von Ökostrom-Pionier Lichtblick) und Andreas Rieckhoff den Strommarktplatz Enyway gründete.

Auf der Plattform von Enyway werden grüne Energieerzeuger – kleinere wie größere – direkt mit den Verbrauchern zusammengebracht. Einen Mittelsmann wie einen Energiekonzern braucht es nicht mehr, der Energiemarkt wird dezentralisiert. Im Interview erzählt Varena Junge, was das Besondere am Konzept von Enyway ist und warum die Digitalisierung dieses erst möglich macht.

Varena, ihr wollt mit Enyway nichts weniger als  den Strommarkt revolutionieren. Wie wollt ihr das erreichen?

Indem wir die Wertschöpfung auf den Kopf stellen. Naja, nicht auf den Kopf stellen, sondern sie dort erweitern, wo wir glauben, dass sie eigentlich hingehört, nämlich zu denen, die die Energiewende bisher vorangetrieben haben: die Erzeuger. Damit machen wir die Energiekonzerne, wie es sie bisher in der Versorgung gibt, überflüssig.

Was bringt das für die Energiewende?

Es werden diejenigen gestärkt, die in erneuerbare Energien investieren und erneuerbare Energieanlagen betreiben. Über unsere Plattform können sie mehr verdienen,  sodass sie auch in Zukunft in erneuerbare Energien investieren können – und das auch nach EEG-Zeiten. Denn die Förderung läuft ja sukzessive aus, wir haben demnächst die ersten Anlagen, die das betrifft. Die brauchen dringend neue Geschäftsmodelle, damit die Anlagen weiterlaufen und in Zukunft auch neue Anlagen gebaut werden.

© enyway Varena Junge ist studierte Umweltwissenschaftlerin und Mitgründerin bei Enyway.

Es gibt ja momentan viele neue Ideen rund um den Strommarkt. Was ist das Besondere bei Enyway? Wie grenzt ihr euch von anderen Anbietern ab?

Also wir sind – unseres Wissens weltweit – das einzige Unternehmen dieser Art, das wirklich eine Plattform ist und selbst kein Energieversorger. Das heißt unser Geschäft ist ein Plattformgeschäft und wir weisen das, was wir verdienen müssen, um die Plattform betreiben zu können, transparent aus. Wir brauchen die Stromanbieter, damit wir den Stromkunden überhaupt etwas anbieten können. Das ist der zentrale Unterschied: Es gibt keinen Zwischenhändler mehr. Wir bieten „nur“ Dienstleistungen an – und das vor allem mit vielen Partnern. Das machen wir so, weil wir glauben, dass in Zukunft Netzwerke und solche Strukturen gemeinsam mit Partnern am besten überlebensfähig sind.

Das heißt aber auch, dass die Mehrerlöse und die Wertschöpfungserweiterung bei den Stromerzeugern liegen. Dadurch machen wir sie zu Energieversorgungsunternehmen. In Deutschland gibt es 1,5 Millionen Erzeuger – wenn wir die irgendwann alle zu Energieversorgern machen, dann haben wir den Markt ganz schön durcheinandergebracht!

Was sind also die Vorteile für Energieerzeuger, sich bei euch auf die Plattform zu begeben?

Die, die schon auf der Plattform sind, sind in der Regel Pioniere in den erneuerbaren Energien, denen es wichtig ist, gemeinsam mit Nachbarn, Freunden und Fremden die Energiewende vor Ort voranzubringen.. Sie werden dadurch zu so einer Art „Local Hero“. Viele unserer Kunden sagen uns: Unsere Nachbarn haben uns schon immer gefragt, ob sie nicht auch Strom aus unserer PV-Anlage bekommen können. Oder vom Windrad auf dem Feld, an dem sie vorbeifahren. Das ist jetzt möglich. Damit schaffen die Erzeuger auch lokal eine Akzeptanz für diese Anlagen. Und das andere ist ganz klar der monetäre Anreiz, denn sie verdienen mehr als bisher. Das ist natürlich auch ein zentraler Anreiz für viele, die schon dabei sind, in neue Anlagen zu investieren. Oder wir haben auch Kunden, die alte Anlagen restaurieren.

Ihr schreibt euch außerdem Nachhaltigkeit auf die Fahnen.

Ja, denn wir tragen zum Ausbau von mehr erneuerbaren Energien bei, auch außerhalb der Subventionen, die bisher laufen – und vor allem auch, wenn diese dann auslaufen: dass weiterhin erneuerbare Energieerzeugungsanlagen gebaut und finanziert werden können, weil sie einen Absatz finden und ihren Strom entsprechend vermarkten können.

Jetzt haben wir viel über die Stromerzeuger gesprochen. Wie sieht es denn bei den anderen Zielgruppen aus? Wie erreicht ihr die?

Jeder, der einen Stromanschluss hat, kann grundsätzlich Kunde bei uns werden. Wir richten uns eben auch an Menschen, die nicht unbedingt ein Haus besitzen und eine PV-Anlage auf dem Dach haben, sondern auch Mieter einer Wohnung sind und gerne wählen wollen, von wem sie ihren Strom beziehen wollen: ob von Ingo aus Nordrhein-Westfalen mit seinem Windrad oder jemand mit einer PV-Anlage aus Süddeutschland. Und wir ermöglichen sogar, dass unsere Kunden zu Selbstversorgern werden können, indem sie in eigene Anlagen investieren, aus denen sie dann ihren Strom beziehen.

Wir sehen bei unseren Kunden zwei zentrale Wünsche. Der eine ist die Lust auf authentische Geschichten und darauf, mit tatsächlichen Menschen in Kontakt zu treten statt mit Konzernen. Und der zweite ist zu wissen, in welcher Region mein Erzeuger lebt, so die Wertschöpfung in der Region zu halten und vor Ort den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern.

Ihr habt einiges für die Zukunft geplant, zum Beispiel, dass sich eure Kunden ihren Strommix verschiedener Verkäufer beliebig zusammenstellen oder gemeinsam mit anderen Menschen eine eigene Stromerzeugungsanlage errichten können. Wie kommen neue Technologien da ins Spiel, was machen Künstliche Intelligenz, Blockchain und Co möglich?

Letztlich macht die Digitalisierung erst eine Dezentralisierung möglich, weil man damit plötzlich viele Prozesse skalieren und effizient gestalten kann, was vorher für den Einzelnen nicht machbar oder zu aufwändig gewesen wäre. Und man kann auf einmal Zugänge für ganz viele Leute schaffen, was so vorher auch nicht möglich war. Deshalb funktioniert unsere Plattform ja überhaupt – ohne die digitalen Möglichkeiten gäbe es unseren Strommarktplatz gar nicht.

Insgesamt schauen wir bei neuen Technologien immer: Gibt es einen Use Case, einen spezifischen Anwendungsfall, wo wir einen Mehrwert generieren können? Wir vermeiden es, mit Technologien um uns zu schmeißen, nur weil es gerade jeder macht. Bei der Idee mit dem Strommix haben wir ganz klares Feedback von den Kunden bekommen, dass die das attraktiv finden. Da gibt’s aber noch regulatorische Rahmenbedingungen. Wir müssen schauen, ob wir mithilfe von modernen Technologien Prozesse entwickeln können, die das ermöglichen.

Das Thema Blockchain ist zum Beispiel eins, wo wir eher aus dem Prozessbereich kommen. Wir sehen, dass gerade in der dezentralen Welt Sicherheit und Transparenz sehr wichtig sind. Da gibt’s also auf jeden Fall Anwendungsfälle und wir haben ein Team, das daran arbeitet. Aber auch da gibt es regulatorische Einschränkungen. Da muss man also die entsprechenden Instanzen in Deutschland so lange pieksen und stupsen, bis sie auch den Mehrwert sehen.

Wie ist denn euer weiterer Fahrplan – mittel- bis langfristig?

Uns ist es wichtig, weiterhin iterativ und agil zu arbeiten, aber wir haben natürlich eine gewisse Zielvorstellung: Wir wollen mittelfristig mindestens 100.000 Kunden in Deutschland erreichen, damit unser Geschäftsmodell auch tragbar ist und wir eine gewisse Marktmacht ausüben können. Und dann wollen wir vor allem durch neue Produkte und Initiativen unsere Kunden immer weiter begeistern. Wir wollen es ihnen ermöglichen, noch viel mehr Einfluss auf den Bereich Energiewende zu nehmen und ihre Macht noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen.

Danke für das Gespräch, Varena.

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