„Wir sind stark genug, um die Politik zu verändern.“ – Interview mit dem Aktivisten Abel Rodrigues aus Brasilien

Abel Rodrigues

Brasilien, einst weit vorne, wenn es um Maßnahmen gegen den Klimawandel ging, wird unter der aktuellen Führung zunehmend zur Gefahr. Die Arbeit brasilianischer Umweltaktivist*innen ist herausfordernder - und notwendiger! - denn je. Wir sprachen mit Abel Rodrigues über sein Engagement.

Autor Jan Wisniewski:

Übersetzung Jan Wisniewski, 27.08.20

Gerade Menschen im globalen Süden sind am stärksten von den menschengemachten Klimaveränderungen betroffen. Und sie sind genauso auch Aktivist*innen, Pädagog*innen und Entscheidungsträger*innen für den Wandel. Sie engagieren sich für eine bessere Welt, sie sind innovativ und inspirieren andere, die Probleme anzugehen, mit denen wir als Menschheit konfrontiert sind. Doch in den Medien fehlt es oft an Vielfalt, wenn es um ihre Stimmen und Erfahrungen geht. Mit dieser Interview-Reihe mit Umwelt- und Klima-Aktivist*innen aus Lateinamerika, Afrika und Asien wollen wir dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu beheben und unterrepräsentierten Stimmen innerhalb der Klimabewegung Gehör verschaffen.

Es ist nun schon ein Jahr her, dass Bilder der großen Brände im brasilianischen Amazonasgebiet um die Welt gingen. Und während die Schlagzeilen mittlerweile vom Coronavirus beherrscht werden, haben diese Brände nie wirklich aufgehört. Kürzlich aufgenommene Luftaufnahmen der Region zeigen, dass der Amazonas auch im Jahr 2020 weiterbrennt – erschreckend, aber vielleicht kaum überraschend in einem Land, in dem strenge Gesetze zu indigenen und Umweltrechten von der zuständigen Regierung zunehmend abgebaut werden.

Im sechsten Interview unserer Reihe „Stimmen der Klimagerechtigkeit“ sprachen wir mit Abel Rodrigues, einem jungen Sozial- und Umweltaktivisten aus Belém, Pará, im brasilianischen Amazonasgebiet – dem Bundesstaat mit der höchsten Entwaldungsrate des Landes. Derzeit studiert er Jura an der Universität Lissabon und engagiert sich in der Fridays for Future-Bewegung in Portugal und in Brasilien. Zudem ist Abel eines der Gründungsmitglieder der Regionalgruppe Fridays for Future Amazônia. Zurzeit koordiniert der brasilianische Aktivist die internationale SOS-Amazônia-Kampagne, die diejenigen an der vordersten Front des Klimawandels, die indigenen Völker Brasiliens, vor der doppelten Bedrohung durch den Klimawandel und das Coronavirus schützen will. Wir unterhielten uns mit Abel über die Rechenschaftspflicht von Politiker*innen, die Kraft der Einheit und die Rolle digitaler Werkzeuge für Umweltaktivist*innen.

Woher kommt deine Leidenschaft für den Klimaaktivismus? Was war deine Motivation, dich zu engagieren?

Ich habe den Klimawandel in der Schule kennen gelernt, aber es waren die Ereignisse im Amazonasgebiet, die mich wirklich über die Dringlichkeit der Situation aufgeklärt haben. Mein Haus brennt buchstäblich ab und wird zerstört, und mein Volk wird ermordet. Was wir durchleben, ist ein klimatischer Notstand.

Ich habe mich zum ersten Mal wirklich mit Fridays for Future beschäftigt, als die Portugal-Gruppe mich einlud, in Lissabon eine kurze Rede mit Greta Thunberg zu halten. Danach schloss ich mich der Bewegung an und gründete zusammen mit meiner Schwester und ihren Freunden Fridays for Future Amazônia in Belém, einem Gebiet, das auch als das Tor zum unteren Amazonasgebiet Brasiliens bezeichnet wird. Meine Motivation ist die gleiche wie bei den meisten Klimastreikenden: Wir wollen die Menschheit vor der sechsten Massenausrottung retten. Wir wollen unsere Zukunft retten.

Welche Rolle haben die digitalen Medien bei deinem Weg als Aktivist gespielt?

Unser digitaler Aktivismus hat uns geholfen, neue Netzwerke mit anderen Bewegungen und Aktivist*innen aufzubauen, und viele neue Menschen zu erreichen. Die digitale Welt erlaubt es uns, aktiv zu bleiben und etwas Positives zu tun, auch mitten in der Krise – und darüber sind wir wirklich glücklich. Auch jetzt noch können wir digitale und soziale Medien nutzen, um alle Mitglieder der Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, dass sie „auf die Wissenschaft hören“ und sich „hinter der Wissenschaft vereinen“ müssen.

© Fridays for Future Brazil Digitale Zusammenkunft von SOS Amazonia.

Wie hat die Corona-Pandemie deinen Aktivismus beeinflusst?

Das Coronavirus hat fast alles in unserer Gesellschaft unterbrochen, auch unsere Klimaproteste. Wir haben alle unsere Streiks auf der ganzen Welt sofort abgesagt, weil wir unsere Wissenschaftler*innen und die Gesundheit unserer Bevölkerung respektieren müssen. Während wir die Covid-19-Krise durch Quarantäne bekämpfen, setzen wir unsere Proteste online fort und alarmieren die Gesellschaft auf lokaler und internationaler Ebene über die Umwelt- und Klimaprobleme.

Das ändert zwar nichts an der Tatsache, dass wir jede Krise als Krise behandeln und auf die Wissenschaft hören müssen, aber in Wirklichkeit ist die Coronavirus-Krise viel kleiner als die Klimakrise: Während sich viele Menschen vom Coronavirus erholen werden, wird die Klimakrise den Planeten völlig unbewohnbar machen.

Was steht auf deinem Plakat, das du bei deinen Protesten hochhältst? Und wer soll es sehen?

„When the last tree has fallen and the rivers are poisoned, you cannot eat money.“ Das ist eine Zeile aus einem Lied, The Seed, von Aurora Aksnes, und sie repräsentiert vieles von dem, was ich denke, wenn ich mit meinem Plakat aufstehe. Es ist eine Botschaft an alle, aber sie richtet sich vor allem an die Menschen an der Macht, an die Entscheidungsträger*innen.

Wir müssen unsere Politiker*innen daran erinnern, dass wir gerade abstimmen oder bald abstimmen werden. Wir werden nicht zulassen, dass sie die Zukunft der Menschheit zerstören. Sie werden bei den nächsten Wahlen beurteilt werden, und sie werden von der Geschichte als die Menschen verurteilt werden, die versucht haben, das menschliche Leben zu zerstören.

Was erhoffst du dir vom Global Strike for Climate?

Nachhaltige Entwicklung auf der ganzen Welt! Ich glaube, wir sind stark genug, um zu verändern, wie Politik gemacht wird. Wir müssen Druck auf unsere Entscheidungsträger*innen ausüben oder sie ersetzen, wenn sie den Ernst der Lage nicht verstehen.

Gibt es sonst noch etwas, was du unseren Lesern mitteilen möchtest?

Ich denke, dass sich jeder an dieser Bewegung beteiligen sollte. Selbst wenn ihr nicht genug Zeit habt, um an einem Streik (oder jetzt an einem digitalen Streik) teilzunehmen, könnt ihr Fridays for Future in eurem Land über Instagram folgen und dort mit anderen Menschen interagieren, die das beschädigte System, in dem wir leben, verändern wollen. Ihr könnt uns unterstützen, indem ihr Informationen über unsere Streiks teilt, die wissenschaftlichen Fakten teilt und die Wissenschaftler*innen respektiert. Wenn ihr mehr Zeit habt, könnt ihr euch uns aktiver anschließen: Wenn ihr Studierende seid, könnt ihr euch der nächstgelegenen Fridays for Future-Gruppe anschließen oder eine Gruppe in eurer Stadt gründen! Wenn ihr selbst Kinder habt, könnt ihr der Gruppe Parents for Future in eurem Land beitreten, oder als Wissenschaftler*innen der Bewegung Scientists for Future und so weiter… Wir müssen vereint sein, um die Veränderung zu erreichen, die wir sehen wollen!

Fridays for Future Brazil findest du auf Instagram und Facebook, Fridays for Future Amazonia ist hauptsächlich auf Twitter aktiv. Abel kannst du auch direkt auf Twitter und Instagram folgen. Vom 28. bis 30. August wird Fridays for Future Brazil weltweit spezielle Protestaktionen durchführen – sowohl auf der Straße als auch online -, um auf die Situation im Amazonasgebiet aufmerksam zu machen. Verfolge den Protest und schließe dich ihnen unter dem Hashtag #SOSAmazonia an.

Die SOS-Amazônia-Kampagne arbeitet weiterhin daran, eine Million brasilianische Reais (rund 150.000 Euro) zu sammeln, um Hygieneartikel, Lebensmittelvorräte und Gesundheitsausrüstung für das Amazonasgebiet zu spenden. Auf der Website des Fonds erfährst du, wie du die Kampagne unterstützen kannst.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien zuerst auf unserer englischsprachigen Seite.

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