WEtell: Der erste nachhaltige Mobilfunkanbieter im Interview

Noch ist Nachhaltigkeit im Mobilfunksektor kein relevantes Kriterium. Das könnte sich bald ändern.

Es gibt keinen nachhaltigen Mobilfunkanbieter in Deutschland - noch! Wir haben mit Alma Spribille gesprochen, die mit ihrem Team genau das umsetzen will.

Autor*in Lydia Skrabania, 20.12.18

Übersetzung Lydia Skrabania:

Alma Spribille ist studierte Wirtschaftsingenieurin mit Fokus auf Energie- und Umweltmanagement und beschäftigt sich seit ihrem Studium mit erneuerbaren Energien und Klimafolgenforschung. Seit 2009 forscht sie in Freiburg am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme.

© WEtell Alma Spribille ist einer der Köpfe hinter WEtell.

Über Ingenieure ohne Grenzen lernte sie ihre beiden jetzigen Mitstreiter, Andreas Schmucker und Nico Tucher, kennen. Alle drei engagierten sich dort für ehrenamtliche Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit und stellten dabei fest, dass sie sehr gut zusammenarbeiten können. Daraus entstand der Plan, gemeinsam ein Projekt zu starten: WEtell, den ersten nachhaltigen Mobilfunkanbieter in Deutschland.

Schon vor vielen Jahren hatte Andreas nach und nach verschiedene Bereiche seines Lebens umgestellt, passte seinen Konsum an und wechselte zum Beispiel zu Ökostrom und zu einer nachhaltigen Bank – er stellte dabei aber fest, dass es im Bereich Mobilfunk keine nachhaltige Alternative gab. Also nahmen Alma, Nico und Andreas das Ganze einfach selbst in die Hand.

Wir haben mit Alma über das Einpreisen von durch Umweltverschmutzung entstehenden Kosten, Datensicherheit im Mobilfunkbereich und den aktuellen Status von WEtell gesprochen.

Alma, ihr wollt der erste nachhaltige Mobilfunkanbieter werden. Ich habe ein bisschen recherchiert – es gibt in Deutschland mehr Mobiltelefone als Menschen…

Ja, es gibt bei 80 Millionen Menschen 130 Millionen Mobilfunkanschlüsse in Deutschland – das ist verrückt. Wenn man den gesamten Energieverbrauch für Mobilfunk betrachtet, entfallen ungefähr 40 Prozent davon auf die Herstellung von deinem Handy und das mehr oder weniger tägliche Laden. Und 60 Prozent gehen für die Netzinfrastruktur in Deutschland drauf – also Mobilfunkmasten, die ganzen Datenserver, die sehr energieintensiv sind, und Auf- und Ausbau der Infrastruktur verbrauchen natürlich auch noch Ressourcen… Aber einen wirklich nachhaltigen Anbieter, den man ernst nehmen könnte, gibt es nicht.

Die drei großen deutschen Netzbetreiber sind im Markt sehr etabliert. Wie wollt ihr euch mit eurem Angebot durchsetzen?

Wir haben drei Alleinstellungsmerkmale definiert. Wir sind klimapositiv, datensicher und transparent und fair. Das heißt, wenn man bei uns mobil telefoniert, dann schadet man dem Klima nicht, sondern hilft ihm sogar noch.

Wie das?

Wir bauen zusammen mit EWS (Elektrizitätswerke Schönau), einem sehr konsequenten Ökostromanbieter, neue Anlagen für Erneuerbare Energien in Deutschland, die mehr Strom produzieren, als unsere Nutzer am Ende verbrauchen. Damit sind wir in der Bilanz klimaneutral.

Also Kompensation?

Im Endeffekt ist es das – aber eben auf höchstmöglichem Niveau. Wir speisen nämlich den grünen Strom unserer Anlagen offiziell als Graustrom ein, um damit echten Graustrom wie beispielsweise den aus Kohle oder anderen konventionellen Energieträgern zu verdrängen. Das ist dann so, als ob die Mobilfunkmasten mit Ökostrom betrieben würden. Unsere Vision ist, mit diesen Anlagen kein Geld zu verdienen, sondern die Überschüsse und der Besitz der Anlagen sollen in eine Stiftung gehen, deren einziger Zweck sein wird, neue Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland zu bauen.

Wir selber arbeiten selbstverständlich mit Ökostrom und versuchen, darüber hinaus einen größeren Impact zu erreichen, indem wir nur mit Partnerunternehmen zusammenarbeiten, die wegen uns auf Ökostrom umstellen. Da haben wir auch schon konkrete Zusagen von unserem Netzanbinder, der für uns die Schnittstelle zum D1-Netz bietet. Das hat natürlich Strahlkraft.

Und ihr wollt auch in Sachen Datenschutz nachhaltiger sein als andere Anbieter.

Genau, das ist uns sehr wichtig. Alle Anbieter, die es gibt, speichern die Nutzerdaten eher so lange wie möglich und alle werten sie aus – anonymisiert zwar, aber sie benutzen sie teilweise auch für Werbung. Die wissen, wann du wo mit wem wie lange telefoniert hast. Sie wissen, wo du wohnst, wo du dich bewegst und wo du Kaffee trinken gehst, wo dein Fitnessstudio ist und auf welchen Websites du wie lange gesurft hast. Wem du wie viele Nachrichten geschrieben hast…

Wie könnt ihr das anders machen bzw. Datensicherheit gewährleisten?

Wir können selbst dafür sorgen, dass die Daten, die bei uns liegen und mit deinem Namen verknüpft sind, direkt gelöscht werden, sobald du mit deiner Rechnung einverstanden bist. So ziemlich alle anderen geben Daten an Dritte weiter, zu Verarbeitungszwecken und ähnliches. Und mindestens O2 verkauft anonymisierte Daten auch weiter, verdient so also noch einmal Geld. Das finden wir nicht in Ordnung! Du bezahlst uns für eine Dienstleistung – das ist das einzige, womit wir Geld verdienen.

Wenn du mit WEtell telefonierst, hat der Netzbetreiber nur die für ihn notwendigen Daten, also deine Telefonnummer und deine SIM-Kartennummer. Die Verknüpfung zwischen deinem Namen und deiner Telefonnummer hat er nicht. Wir haben diese Verknüpfung, können aber alle Verkehrsdaten löschen, sobald du deine Rechnung akzeptiert hast. Damit werden wir der einzige Anbieter in Deutschland sein.

Und euer drittes Alleinstellungsmerkmal?

Wir versuchen alles, was wir machen, möglichst fair und transparent darzustellen. Unsere Tarife sind einfach verständlich, alle sind monatlich kündbar, es gibt keine Mindestvertragslaufzeit und keine versteckten Kosten. Wir lassen uns außerdem nach den Richtlinien der Gemeinwohlökonomie zertifizieren. Das beinhaltet, eine vernünftige Behandlung unserer Mitarbeiter, eine angemessene Gehaltstruktur, Mitspracherecht für die Mitarbeiter, ein ethischer Umgang mit Geld… Gemeinwohlökonomie ist sehr komplex, da gibt es einen ganzen Kriterienkatalog.

Wie finanziert ihr euer Vorhaben?

© WEtell Das Logo von WEtell

Im Moment haben wir noch gar kein Geld, sondern arbeiten alle mit viel Engagement und aus Überzeugung an dem Projekt – neben unseren anderen Jobs. Wir starten am 15. Februar eine Crowdfunding-Kampagne bei Startnext – unser Ziel ist, dass dann mindestens 1.000 Leute unsere Verträge vorkaufen mit einer Länge von 6, 12 oder auch 24 Monaten, quasi als Wechselgutschein, der wiederum zwei Jahre lang gültig ist. Den kann man also auch später noch einlösen, sodass auch Leute zu uns wechseln können, die jetzt noch in Verträgen feststecken. Bei dem günstigsten Tarif von 15 Euro liegt unsere Mindestzielsumme also bei 90.000 Euro. Wenn wir das erreichen, bekommen wir einen Kredit von der GLS-Bank, denn das Geld, das über Startnext hereinkommt, liegt ja erst einmal auf einem Treuhandkonto. Mit dem Bankkredit zahlen wir den Aufbau der IT-Infrastruktur, Rechtsberatung für die Verträge, die ganzen Zertifizierungskosten, Büromiete, Marketing und Service – und wir selbst brauchen natürlich auch ein Einkommen.

Was glaubst du, wie viele Menschen könnt ihr mit eurem Angebot erreichen? Letztlich muss eure Zielgruppe ja bereit sein, mehr zu bezahlen als bei der (nicht-nachhaltigen) Konkurrenz.

Da sind wir systematisch rangegangen und haben uns Unternehmen angeschaut, die vergleichbare Dinge tun, wie wir sie vorhaben, und dabei erfolgreich sind. Posteo z.B. hat 300.000 Kunden. Und ich würde sagen, dass unsere Zielgruppe auch alle Menschen umfasst, die bei einem sehr konsequenten Ökostromanbieter sind – die haben gemeinsam ca. eine Million Kunden.

Was den höheren Preis betrifft: Die Umwelt zu verschmutzen ist nicht umsonst. Allerdings kennen wir Verbraucher die Auswirkungen unseres Konsums und die damit entstehenden Kosten oft gar nicht, weil sie nicht eingepreist sind. Wir können somit auch nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Eine Möglichkeit wäre, dass Produkte eben den Preis haben, den sie tatsächlich verursachen und zum Beispiel Umweltschädigungen wie Luftverschmutzung ins Endprodukt eingepreist werden.

Das Image der drei großen deutschen Netzbetreiber ist ziemlich mies. Warum ändern sie von sich aus nicht etwas in Sachen Nachhaltigkeit?

Unserer Ansicht nach ist Nachhaltigkeit im Mobilfunkbereich einfach noch kein relevantes Kriterium.

Wie groß kann euer Impact dann überhaupt sein?

Im Mobilfunkbereich gibt es zwar noch nicht dieses Bewusstsein wie beispielsweise beim Strom. Aber wir sehen das auch als Chance, denn da ist noch eine echte Veränderung möglich. Die Leute müssen erst einmal von nachhaltigen Alternativen erfahren, aber dann kann sich das verselbstständigen. Wenn der Mobilfunkmarkt ein bisschen diverser wird, mit echten, unterschiedlichen Angeboten, dann könnte man sich tatsächlich entscheiden, was man möchte, was einem wichtig ist. Das wäre das Ziel.

Ihr wärt also eine Art Vorreiter für neue Standards – und die anderen müssten nachziehen?

Ja, allerdings sind wir davon überzeugt, dass es in puncto Nachhaltigkeit einen holistischen Ansatz braucht. Auf jeden Fall natürlich im Öko- und Klimasinne – aber wenn ich als Kunde das Gefühl habe, dass das ein Unternehmen ist, das mich schlecht behandelt und mich in Knebelverträgen festhält, dann überzeugt mich ein einzelner nachhaltiger Aspekt noch nicht, dann ist das immer noch der gleiche unsympathische Konzern. Aber wir würden uns natürlich trotzdem freuen, wenn zum Beispiel die Telekom konsequent zu Ökostrom wechselt!

Das könnte für euch aber auch zur Folge haben, dass ihr euch bei der großen Marktmacht der Konkurrenz letztlich nicht behaupten könntet. Trotzdem wünschenswert?

Wenn in fünf Jahren die Telekom konsequent das umsetzen sollte, was wir vorhaben, dann haben wir doch den größtmöglichen Erfolg überhaupt erreicht – denn dann müssten die anderen nachziehen! Wir hoffen aus unternehmerischer Sicht natürlich, dass wir in einem solchen Fall als diejenigen wahrgenommen würden, die den Umschwung eingeleitet haben und deshalb treue Kunden bei uns bleiben. Aber ganz ehrlich: Wenn das wirklich passiert, sind wir megaglücklich!

Alma, danke für das Gespräch!

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