vostel.de: Mit einer Volunteering-Plattform zum erfolgreichen Social Business

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vostel.de ist eine Volunteering Plattform, die vor allem junge und internationale Menschen erreicht.

Hanna Lutz und Stephanie Frost haben aus Versehen ein Sozialunternehmen gegründet. RESET hat mit Hanna darüber gesprochen, wie es dazu kam und wo die beiden mit ihrer Freiwilligenplattform heute stehen.

Autor*in Lydia Skrabania, 17.04.19

Übersetzung Lydia Skrabania:

Eigentlich wollten Hanna Lutz und Stephanie Frost ein nachhaltiges Hostel in Berlin gründen, das es Touristen ermöglichen sollte, sich während ihres Aufenthalts in sozialen Projekten zu engagieren: Volunteering plus Hostel, kurz „vostel“.

Die erste Herausforderung dabei: soziale Projekte finden, bei denen auch ein kurzfristiger Einsatz möglich ist – und nicht unbedingt Deutschkenntnisse nötig sind. Die zweite Herausforderung: in Berlin eine passende Immobilie finden. Schnell stellten die beiden jedoch fest, dass Nachhaltigkeit und günstige Unterkünfte sich gegenseitig ausschließen und stampften die Hostel-Idee ein. Was blieb war die Idee, Touristen in soziale Projekte zu vermitteln – und auch der Name vostel.de. Heute steht vostel für eine Volunteering-Vermittlung, die vor allem junge und internationale Menschen erreicht.

Im Interview erzählt Hanna, wie die beiden eher zufällig zu Gründerinnen wurden und ein Geschäftsmodell für ihre Plattform fanden – und warum die Digitalisierung im sozialen Sektor noch immer eine Herausforderung ist.

Hanna, ihr habt eure Zielgruppe eher zufällig gefunden. Wie kam das?

Wir sind 2015 mit einer Handvoll Projekte gestartet, die fanden, dass unsere Idee gut klingt. Zum Beispiel die Berliner Tafel, die täglich viele helfende Hände für die Sortierung geretteter Lebensmittel benötigt und hierfür auch gut mit kurzfristigen Freiwilligen arbeiten kann. Und tatsächlich gab es eine riesige Nachfrage – allerdings nicht von Touristen, die wir ja eigentlich erreichen wollten.

Sondern?

Zum einen waren das viele junge Leute, das heißt Menschen zwischen 18 und 34 Jahren, die sich schon immer mal engagieren wollten, aber häufig davor zurückgeschreckt sind, weil der Weg in ein Engagement häufig mit viel Aufwand im Vorfeld verbunden ist – von der Suche nach einem geeigneten Projekt über Gespräche mit einem Freiwilligenkoordinator bis hin zur Belegung verschiedener Seminare. Zum anderen wird in vielen Projekten ein zeitaufwändiges und langfristiges Commitment gefordert– etwas, das vor allem junge Leute oft nicht leisten können. Über unsere Plattform konnten sie sozusagen in ein Engagement reinschnuppern und sich zunächst orientieren, um dann zu entscheiden, ob sie langfristig bleiben möchten.

Zum anderen kamen auch viele Internationale auf uns zu: Expats, Aupairs, Austauschstudenten; Menschen, die sich schon lange gern engagieren wollten, aber in Berlin keine passenden Angebote für sich finden konnten. Weil die meisten Freiwilligengesuche vieler Organisationen bis dato aber auf Deutsch formuliert waren, wussten Nicht-Deutschsprachler oft nicht, ob sie vielleicht auch ohne oder nur mit wenigen Deutschkenntnissen mithelfen können.

Auf diese Weise haben wir also eine komplett neue Zielgruppe aufgetan und die wenigen Projekte, die wir damals im Angebot hatten, wurden quasi überrannt. Uns war klar: Wir haben hier eine Nische aufgetan, wir müssen da weitermachen.

Was genau leistet ihr denn für die Organisationen?

Zum einen können Organisationen ihre Engagement-Angebote auf vostel.de selbstständig listen und sich somit auf einer attraktiven Plattform präsentieren, die vorrangig junge Menschen anspricht. So gewinnen Organisationen also Zugang zu einer neuen Freiwilligengeneration. Tatsächlich berichten sehr viele unserer Partnerorganisationen, dass sie zuvor vor allem mit weitaus älteren Menschen zusammengearbeitet haben und über uns eine ganz neue Zielgruppe erschließen konnten. Zum anderen bieten wir eine umfangreiche und individuelle Beratung für jede einzelne Organisation, wie diese unsere Plattform am besten für sich nutzen kann. Um junge Menschen für ein Engagement zu gewinnen, ist vor allem die Ansprache sehr wichtig – das heißt, dass wir viele Engagementangebote auf unserer Seite auch noch einmal überarbeiten und ansprechend formulieren.

Und das machen die Organisationen falsch?

Naja, viele sprechen in den Gesuchen in der dritten Person und nur in der männlichen Form: „Der Freiwillige soll dies und das“. Das formulieren wir um in: „Du solltest bitte die folgenden Fähigkeiten mitbringen“. Wir kümmern uns also darum, dass das Gesuch am Ende ansprechend aussieht und bewerben die Angebote über Kanäle, auf denen sich junge Menschen tummeln: Instagram, Facebook, Twitter und Co. Wir bieten außerdem regelmäßig kostenfreie Workshops zu den Themen „Freiwilligenmanagement 2.0“ und „Sinnstiftende Unternehmenskooperation aufbauen“ für soziale Organisationen an. Und seit wenigen Monaten haben wir ein sogenannten Spenden-Tool: Unsere Partner-Organisationen können Sachspendenbedarfe auf vostel.de stellen. Unsere Firmenpartner, die häufig Sachspenden haben, sowie unsere Freiwilligen können dann gezielt und bedarfsorientiert spenden.

Ihr habt inzwischen eine Vielzahl an Projekten in allen möglichen Bereichen: Unterstützung für Geflüchtete, Projekte mit Kindern und Jugendlichen, Lebensmittelrettung, Upcycling… Und ihr seid mittlerweile auch in München und Köln aktiv.

Genau, und seit Anfang April auch in Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden. Zukünftig soll es uns natürlich auch noch in vielen weitere Städten in Deutschland geben. Bei der Standortwahl ist es uns jedoch wichtig, dass es vor Ort keine vergleichbare Plattform wie vostel.de gibt – denn wir wollen nicht in Konkurrenz treten.

Wie kommt der Kontakt mit den NGOs dann zustande?

Immer wenn wir an einen neuen Wirkungsort gehen, starten wir mit der klassischen Kaltakquise. Wir machen also erstmal eine große Recherche, welche sozialen Projekte dort schon etabliert und welche noch ganz klein sind – vor allem die Kleinen unterstützen wir nämlich besonders gerne. Und dann schreiben wir sie erst einmal an, telefonieren mit ihnen und besuchen die, die uns kennenlernen möchten. So können wir uns persönlich vorstellen – aber auch Skepsis abbauen.

Skepsis gegenüber was?

Gegenüber einer digitalen Engagement-Plattform – die dann auch noch in Berlin sitzt. Es ist wirklich schwierig, da einen Fuß in die Tür zu bekommen, weil viele Organisationen einfach noch nicht so digital aufgestellt sind. Wenn es dann aber den initialen Kontakt gab und die ersten Freiwilligen über unsere Plattform kommen, sind die allermeisten sozialen Organisationen überzeugt und empfehlen uns weiter.

© vostel.de Hanna Lutz (l.) und Stephanie Frost haben eher aus Versehen ein Sozialunternehmen gegründet.

Für die NGOs und die Freiwilligen ist euer Dienst kostenlos, ihr finanziert euch über ein Corporate-Volunteering-Programm. Was steckt dahinter?

Das Modell, das wir Unternehmen anbieten, hat verschiedene Dimensionen. Die kleinste Variante des Corporate Volunteering ist die Ausrichtung von sogenannten „Social Days“. Das heißt, dass wir Unternehmen die Möglichkeit geben, dass eine größere Gruppe von Mitarbeitenden für einen Tag ihren Arbeitsplatz verlässt und in eine soziale Organisation geht, um dort etwas Gutes zu tun.

Was machen die Teams dann?

Der Klassiker sind Renovierungsarbeiten in einer sozialen Organisation. Aber wir richten auch Social Days aus, bei denen bestimmte Fähigkeiten gefragt sind, beispielweise Events, bei denen 20 Leute aus dem Recruiting einen Tag lang Einzel-Workshops zum Thema „Bewerbungsschreiben“ für Menschen mit Fluchthintergrund geben. Und am Ende haben diese Menschen dann einen Lebenslauf und ein Bewerbungsanschreiben und vielleicht auch noch ein Bewerbungsfoto von einem Fotografen, der sonst im Unternehmen Modefotos macht.

Darüber hinaus begleiten wir auch Unternehmen, die das Ganze größer angehen wollen und unterstützen sie, ein umfassendes Corporate Volunteering Angebot zu etablieren. Ein prominentes Beispiel ist Zalando mit 12.000 Mitarbeitenden. Für diese stellen wir unsere Plattform mit vielen verschiedenen Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung. Außerdem beraten wir dazu, wie man die Mitarbeitenden dazu bekommt, sich zu engagieren. Um Menschen für ein Engagement zu gewinnen, ist viel Kommunikationsaufwand nötig – da bleibt es nicht bei einer E-Mail. Mittlerweile können wir uns über unsere Dienstleistung finanzieren.

Habt ihr diese Form des Geschäftsmodells von Anfang an so mitgedacht?

Nein, überhaupt nicht! Wir hatten eigentlich den Plan, etwas Gemeinnütziges auf die Beine zu stellen und fest mit Fördergeldern gerechnet. Dann haben wir aber nicht einmal die Gemeinnützigkeit bekommen, da wir nur Mittler in soziale Projekte und nicht der gute Zweck an sich sind – womit dann auch Fördergelder ausgeschlossen waren. Und dann standen wir da und wussten eine ganze Weile nicht, wie wir uns finanzieren sollten.

Und dann?

Dann kam ein größeres Unternehmen auf uns zu, das weltweit agiert. Die hatten in der Zeitung von uns gelesen und ein Programm gestartet, mit dem sie ihre, zum Großteil internationalen, Mitarbeitenden dazu bringen wollten, sich zu engagieren. Allerdings hatten sie Schwierigkeiten passende Einsatzmöglichkeiten für sie zu finden. Und so ist im Prinzip unser Geschäftsmodell entstanden – ohne, dass wir es von Anfang an anvisiert hätten. Deshalb sind wir heute kein Verein, sondern ein Sozialunternehmen.

Danke für das Gespräch!

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