Vorsichtiger Optimismus: Wilke ermutigt uns zum Weitermachen

© Uta Mühleis

Ole Seidenberg bloggt live vom UN-Klimagipfel in Kopenhagen. Mehr Infos zur Reihe am Ende des Beitrags. Los geht's. Für zwei Wochen bin ich als deutscher "Negotiator Tracker" in Kopenhagen dabei, um der deutschen Delegation auf die Finger zu schauen.

Autor*in RESET , 09.12.09

Gestern, am zweiten Tag der Klimaverhandlungen in Kopenhagen, war es dann so weit: Nicole Wilke, führende Delegierte der deutschen Verhandlungsdelegation, traf sich mit mir für ein informelles Gespräch. Ohne Kamera, ohne Notizblock, ohne Aufnahmegerät. Nur wir zwei, in einer kleinen Besprechungskammer in den nüchtern und praktisch eingerichteten Büro-Boxen der deutschen Delegation. Seit gut sechs Monaten kennen wir uns, denn seit den Vorverhandlungen in Bonn bin ich offiziell als „Negotiator Tracker“ auf den Fersen von Frau Wilke. Begonnen hat alles mit einem kleinen Fiasko, als ich ein Video aus einem geschlossenen Treffen mit deutschen NGOs einfach ohne Nachfrage bei YouTube veröffentlichte. Ein Treffen, das Frau Wilke bzw. die Delegtion unseren zivilgesellschaftlichen vertretern von Oxfam, Germanwatch, Greenpace & Co. anbietet, um diese auf dem Laufenden zu halten und mit Inhalten zu versorgen, die noch nicht alle spruchreif sind. Die Folge war ein Vertrauensbruch und ein notwendiger Neuanfang.

Seit dem hat sich viel getan, nicht nur bei den Verhandlungen, sondern auch in unserem persönlichen Verhältnis. Gestern war Nicole Wilke wieder spürbar aufgeregt. Dieses Mal aber nicht etwa wegen meines unangebrachten Schnüffler-Verhaltens, sondern allem Anschein nach – genau wie wir alle hier – wegen des schweren Gewichts und der Bedeutung dieser Verhandlungen. „Jetzt ist es soweit. Jetzt sind wir hier. Dafür haben wir fünf Jahre und mehr gearbeitet, verhandelt, formuliert, gestritten, diskutiert und wieder umgeschmissen. Wir müssen diesen Moment jetzt nutzen, wenn wir den Klimawandel gemeinsam aufhalten wollen.“

Frau Wilke und ihr Team von rund 30 Leuten vor Ort (an manchen Tagen gar mehr, denn auch Berater aus Wirtschafts- und Finanzministerium sind zugegen) arbeiten derzeit mit gesammelten Kräften an einer Verhandlungsgrundlage für die zweite Woche in Kopenhagen. Dann kommen nicht nur die Minister (unter ihnen unser neuer Umweltminister Norbert Röttgen), sondern am Ende der Woche auch über 110 Staatschefs aus aller Welt. Da diese, wie auch Wilke weiß, fachlich natürlich nicht alle Themen gleichermaßen tief durchdringen können, muss viel fachliche Vorarbeit geleistet werden. Frustrierend ist das vor allem dann, wenn Frau Wilke dank ihrer langen Erfahrung genau weiß, welche Entscheidung eigentlich die langfristig richtigere wäre, als Beamtin des deutschen Staates aber dennoch klar entlang der Argumentationslinien der jeweiligen Minister argumentieren muss – auch im Vorfeld schon.

Ein wunder Punkt, der diese Diskrepanz auch in unserem gestrigen Gespräch nur allzu deutlich machte, war die so genannte „Additionality“. Seit einem Entwurf, der dem Bundestag letzte Woche von Vertretern der CDU/CSU und FDP Fraktion vorgelegt wurde, steht im Raum: Deutschland möchte kein zusätzliches Geld für den Klimaschutz geben, sondern dieses von den gegenüber Entwicklungsländern längst versprochenen 0.7% des Bruttonationaleinkommens abziehen. Zu Deutsch: Eine Hand wird gereicht, die andere weggezogen.

Auf meine Frage hin, wie Frau Wilke dazu steht, musste diese zunächst schlucken. Immerhin. Gar nicht so einfach, ihr ein bißchen Verunsicherung zu entlocken… die Antwort fiel denn doch gewohnt professionell aus. Wie kann es auch anders sein, denn die gute Frau muss ja letzlich sagen, was ihr aufgetragen wird. Dennoch: Die Argumentationslinie, die sie vortrug, war umso interessanter. Es sei durchaus neues Geld, so Wilke, denn schließlich fließe es ja zusätzlich zu den bereits fließenden Entwicklungshilfen.

Zur Info: 0.7% wurden 1970 in einer UN-Resolution und 2000 beim Milleniumsgipfel erneut versprochen, der aktuelle Stand im Jahre 2009: 0,38%! Es fließt also mehr als die 0,38% an Entwicklungsländer, das ist soweit richtig. Die bisherigen Versprechungen werden nun aber dennoch durch neue abgelöst, die in ganz anderem Kontext wichtig sind. Oder würdet Ihr gerne wählen müssen zwischen „du darfst entweder zur Schule gehen oder zum Arzt?“.

Zynisch ist das. Und noch schlimmer ist es, auf Frau Wilke als Botschafterin (und nicht Ursprung dieser Idee) nicht einmal richtig sauer sein zu können….

In Kopenhagen beraten die Vereinten Nationen derzeit über ein globales Klimaschutzabkommen. Im Rahmen der Aktion Adopt a negotiator bloggt Ole Seidenberg live von den Verhandlungen. Alle Beiträge von Ole kannst du hier lesen. Du willst dich für ein faires Klimaschutzabkommen stark machen? Bei TckTckTck.org findest du viele Möglichkeiten, wie du dich jetzt engagieren kannst. RESET ist offizieller Partner von TckTckTck.

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