Jedes Jahr werden weltweit rund 27 Milliarden Liter Wein produziert. Dabei fallen natürlich auch jede Menge Produktionsabfälle an, etwa sieben Milliarden Tonnen. Alles, was am Ende nicht als Wein in der Flasche landet, also Stiele, Schalen und Kerne der Weintrauben, wird als „Trester“ bezeichnet. Dieser ist sehr nährstoffreich und wird u.a. als Dünger oder Futtermittel verwendet. Aber Weintrester kann noch viel mehr: Aus ihm kann man beispielsweise nachhaltige Handtaschen oder Schuhe herstellen.
Der italienische Architekt und Möbeldesigner Gianpiero Tessitore suchte für Polstermaterialien nach einer nachhaltigen Alternative zu Tierleder oder synthetischem Leder auf Erdölbasis. In Zusammenarbeit mit der Universität Florenz und weiteren Forschungszentren analysierte er dazu die Eigenschaften verschiedener Pflanzenfasern. Nach intensiver Forschung entdeckte schließlich Francesco Merlino, Umwelttechniker der Uni Florenz und heutiger Geschäftspartner von Tessitore, dass sich Weintraubentrester ideal für die Produktion eines pflanzlichen Leders eignet. Tessitore patentierte den Produktionsprozess des „Weinleders“ und gründete 2016 das Unternehmen Vegea, das sich seitdem der Erforschung und Herstellung nachhaltiger Materialien aus Biopolymeren für die Textilindustrie widmet.
Keine giftigen Chemikalien, keine Wasserverschwendung, kein Tierleid
Das Weinleder von Vegea ist tierischem Leder in mechanischen und sensorischen Eigenschaften sehr ähnlich, hat darüber hinaus aber noch viele weitere Vorteile. Für seine Herstellung wird kein Wasser gebraucht – im Gegensatz zu konventionellem Leder, bei dessen Produktion ein hoher Wasserverbrauch besteht. Und Weinleder benötigt auch keine aufwändige und giftige Gerbung. Bei der Gerbung und Weiterverarbeitung von Tierleder hingegen kommen massenhaft Chemikalien und auch giftige Schwermetalle zum Einsatz. Zwar ist auch bei tierischem Leder eine pflanzliche, deutlich umweltverträglichere Gerbung möglich. Da diese aber noch immer sehr teuer ist, wird der Großteil des tierischen Leders nach wie vor mit Chrom gegerbt. Oft wird das Leder zudem aus weniger entwickelten, armen Ländern importiert, wo die Arbeitsbedingungen miserabel und die Menschen dabei oft giftigen Chemikalien ausgesetzt sind. Auch versagen häufig die Kontrollen verbotener Giftstoffe wegen verzweigter Lieferketten, deshalb können auch hierzulande gekaufte Ledertextilien mit giftigen und krebserregenden Stoffen belastet sein.
Dass das Weinleder vollständig pflanzlich ist, ist ein weiterer positiver Aspekt. Denn oft ist Leder zwar ein Nebenprodukt der Fleischindustrie, aber es gibt auch die Kritik, dass die Lederindustrie die Massentierhaltung noch weiter verstärkt. Und längst nicht jedes Tier, dessen Haut als Handtasche endet, wird auch gegessen. So werden etwa exotische Tiere wie Schlangen und Krokodile extra für ihr Leder gezüchtet und getötet.
„Ich denke, das Trennen und Verbessern der Nebenprodukte aus der Weinindustrie, wie Schalen und Samen, sind wichtige Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit“, so Gianpiero Tessitore im Interview mit LTEconomy. „Der Prozess von Vegea transformiert den Abfall (also einen Kostenfaktor) in dem einen Sektor in einen wertschöpfenden Rohstoff in einem anderen Sektor. Und das ohne giftige Schadstoffe, ohne Wasserverschwendung. Das bedeutet Kreislaufwirtschaft!“
Das Weinleder ist nicht nur für die Modeindustrie, also für Kleidung, Schuhe, Taschen und Accessoires interessant; auch für Polstermöbel oder Autositzbezüge ist das Material gut geeignet. In Kooperation mit Textilunternehmen entwickelt Vegea verschiedene Variationen des Materials, die sich in Gewicht, Stärke, Elastizität, Verarbeitung und Textur unterscheiden. Im vergangenen Herbst stellte das Unternehmen seine erste Modekollektion bestehend aus Kleidung, Handtaschen und Schuhen vor, die unter der kreativen Leitung des Ökodesigners Tiziano Guardini entstanden war. Vegea will sich aber nicht auf das Weinleder beschränken: In seinem Labor forscht das Unternehmen, gefördert von der Europäischen Union, an weiteren Möglichkeiten, wie Biomasse-Abfälle aus der Landwirtschaft nachhaltig nutzbar gemacht und wieder in die Wertschöpfungskette gebracht werden können.
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