Spotlight Brasilien: Mit der Webdokumentation „Copa para quem?“ unterwegs in Brasilien

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Die ganze Welt scheint im Fußballfieber. Die ganze Welt? Nein! Während sich allabendlich alle Augen an den Ball heften gehen die Proteste in Brasilien weiter. Was sie fordern? Die Webdokumentation „Copa para quem“ begibt sich auf die Suche nach den Ursachen der Proteste und die sozialen Auswirkungen der WM. Wir sprachen mit der Regisseurin Maryse Williquet.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 26.06.14

Letztes Jahr im Juni haben Millionen Brasilianer ihren Unmut mit der Fußball-Weltmeisterschaft auf den Straßen kundgetan. Mit ihrem Slogan „Copa para quem?“ warfen sie die Frage auf, wer von der WM profitiert. Seitdem ist keine Ruhe eingekehrt in Brasilien. Wer sind diese Demonstranten und was prangern sie an? Wie wurde die WM wirklich in Brasilien in die Tat umgesetzt? Was sind die Konsequenzen des Events?

Um diesen Fragen nachzugehen hat sich das Team um Maryse Williquet nach Fortaleza, einem der 12 Austragungsorte der WM, begeben und dort mehrere Monate gelebt. Fortaleza ist die Hauptstadt von Céara, Brasiliens ärmstem Bundesstaat, und steht beispielhaft für die brasilianischen Paradoxe. Hinter der luxuriösen Küste liegt eine Welt, die bekannt ist für Sextourismus und Prostitution, für Favelas und Straßenkinder – eine Welt, wie sie nicht gerne gezeigt wird in den Mainstream-Medien. Das Team hat sich mit empörten Brasilianern genauso wie mit den „Ungewollten“ getroffen, die von offizieller Seite aus den Städten gedrängt werden. Das multimediale Projekt gibt ihnen die Chance, sich Gehör zu verschaffen – und uns die Möglichkeit, besser die unerwünschte Seite des Großevents in Brasilien zu verstehen. In der Webdoc sind Clips und Hintergrundinfos um die vier Hauptthemen „Vertreibung der Bevölkerung“, „Sextourismus“, „Straßenkinder“ und „Entstehung der sozialen Proteste“ versammelt – jedes Thema eine spannende Reise für sich. Seht selbst: Copa para quem

Wir haben Maryse Williquet, die Regisseurin der Webdokumentation über die Entstehung des Projekts, die Erfahrungen des Teams mit den Menschen vor Ort und die Chancen und größten Probleme der WM für Brasilien interviewt.

Licensed under: All Rights reserved Maryse Williquet (2. von rechts) mit ihrem Team bei der Arbeit. Quelle: switch-asbl.org

Wie ist die Idee entstanden, ein Webdoc über Brasilien zu produzieren? Hast Du eine spezielle Beziehung zu Brasilien?

Mich haben schon immer die Kontraste innerhalb dieses Landes interessiert. Es ist jetzt die sechststärkste Wirtschaftsmacht und hat gleichzeitig eine große Armut. Es schien mir, dass viele Menschen ein eher unrealistisches Bild von Brasilien haben … Und als die sozialen Bewegungen aufwachten im Juni 2013 habe ich das zum Anlass genommen, das Land zu besuchen und herauszufinden, was da passiert. Was war die Ausgangssituation, vor den Protesten? Warum gingen so viele Menschen auf die Straße, was forderten sie? Was haben die „echten“ Brasilianer über die Weltmeisterschaft und wie sie in ihrem Land organisiert wurde gedacht? Ich wurde davon geleitet, ehrliche Aussagen der lokalen Bevölkerung zu erhalten.

Wie war eure Erfahrung mit den Menschen während der Dreharbeiten?

Zuerst waren sie überrascht, dass wir den sozialen Auswirkungen des Worldcups nachgehen wollten. Es erschien ihnen sehr fremd, dass ausländische Journalisten mehr über die andere Seite der Geschichte erfahren wollten. Dann haben wir ihr Vertrauen erhalten und es gelang uns, dass wir von der Gemeinschaft und einigen sozialen Bewegungen akzeptiert wurden. Die Menschen sind sich sehr bewusst, dass eine internationale mediale Aufmerksamkeit  sehr hilfreich dabei sein kann, der Welt zu zeigen, was wirklich in Brasilien passiert und so das Image zu brechen, das seitens der offiziellen Medien gezeigt wird. Sie haben uns vertraut, dass wir ihre Perspektive wiedergeben, die in den Medien viel zu selten gezeigt wird. Also haben wir uns mit einigen zentralen Personen vernetzt, um wirkliche Aussagen einzufangen.

Was denkst Du über den Worldcup? Was sind Chancen, was die größten Probleme?

Ich würde sagen, dass der Worldcup, leider, eine großer Reibach ist. Es sollte eigentlich um Sport gehen, aber es scheint, als ob sich die FIFA heutzutage hauptsächlich um sich selbst kümmert. Die Weltmeisterschaft wurde dazu benutzt, dass einige sehr mächtige Leute sehr viel geld machen, unabhängig von den sozialen Konsequenzen eines solchen Events, und mit sehr wenig finanziellem Rückfluss für die Gastgeberländer. Es scheint sehr weit entfernt zu sein von den sozialen Realitäten der Länder, in denen er stattfindet …

Aber gleichzeitig ist es immer noch eine globale feierlichkeit. Die Spiele bringen viele Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. Es ist eine große Party, gefeiert von Armen und Reichen zusammen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Party dieses Mal einen sozialen Wandel bewirken wird. Ich denke, dass die Brasilianer die internationale Medienaufmerksamkeit gut zu nutzen wissen, um ihre Forderungen ins Rampenlicht zu rücken. Das Event hat die brasilianischen sozialen Bewgungen und die Jugend aufgeweckt, viele waren vorher nicht organisiert.

Was meinst Du, was während der Spiele passieren wird?

Auf der einen Seite ist es offensichtlich, dass die Proteste weitergehen werden und vielleicht dank der verbesserten Organisation innerhalb der Protestbewegungen noch wachsen werden.  Es werden keine improvisierten Demonstartonen wie im Juni 2013 mehr sein. Aber auf der anderen Seite hatte auch die Polizei Zeit sich gut vorzubereiten und viele Sagen, es wird sehr viel mehr Gewalt geben. Das könnte viele Demonstranten verängstigen und die Zahl der Proteste dezimieren…

Wie gehst Du selbst mit der Ambivalenz der Weltmeisterschaft um? Schaust Du Dir die Spiele an?

Ich bin kein Fussballfan, aber ich halte auch nicht viel davon, die Spiele zu boykottieren. Es ist wichtig anzumerken, dass wir nicht gegen den Worldcup oder gegen Fußball sind. Das Ziel mit dem Projekt ist es zu informieren und Aufmerksamkeit auf die Frage zu lenken: Wer profitiert von der Weltmeisterschaft? Wir denken, dass der Worldcup sogar besser wäre, wenn die Organisation die sozialen und ökonomischen Einflüsse der ärmeren Bevölkerung mit einbeziehen würde. Am besten sollte unsere Doku währed oder nach einem Spiel gezeigt werden. Daher versuchen wir auch gemeiname Screenings unsere Doku mit Public Viewings zu organsisieren.

Hast Du Empfehlungen, wie wir uns von hier engagieren bzw. einen positiven Einfluss bewirken können?

Ich denke, unsere Rolle ist es, Licht dahin zu bringen, was hinter dem Glamour der Weltmeisterschaft passiert, den nicht Wohlhabenden dabei zu helfen, der Welt ihre Realität der Welt zu zeigen. Wir wollten den Stimmlosen eine Stimme geben: denen, die protestieren, die von den traditionellen Medien ausgeschlossen sind und sich selbst nicht wahrgenommen fühlen in dem Bild eines perfekten Brasiliens. Um das zu tun brauchen wir internationale Sichtbarkeit – und hier kann jeder helfen. Jetzt ist die zeit um die Webdokumentation so oft es geht zu teilen. In einem Monat wird alles wieder vorbei sein.

In unserer Serie „Spotlight Brasilien“ stellen wir Menschen, Organisationen und Bewegungen vor, die sich jenseits des Stadiums mit innovativen Ansätzen für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit engagieren. Weitere Artikel findest du hier: Spotlight Brasilien

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