Satellitendaten zeigen: Wirtschaftswachstum geht nicht zwangsläufig mit Umweltverschmutzung einher

Müssen Länder wirklich die Natur ausbeuten, um ihre Wirtschaft anzukurbeln? Ein neuer Bericht, der auf der Analyse von Satellitendaten basiert, zeigt, dass die Verbindung von Wachstum und Emissionen durchbrochen werden kann.

Autor Mark Newton:

Übersetzung Mark Newton, 02.03.21

Seit der industriellen Revolution ist wirtschaftliches Wachstum vor allem mit Schwerindustrie, Energieerzeugung und Fertigung verbunden. Da für diese Industrien die Verbrennung fossiler Brennstoffe unverzichtbar war, ging man lange davon aus, dass Kohlenstoffemissionen und wirtschaftlicher Wohlstand Hand in Hand gehen.

Eine neue Studie der Pennsylvania State University hat jedoch Satellitendaten zu Umweltverschmutzung und Daten zum Wirtschaftswachstum aus rund zwei Jahrzehnten untersucht, um herauszufinden, ob dieser Zusammenhang immer zutreffend ist. Ihre Ergebnisse bestätigen, dass Länder tatsächlich ihre Abhängigkeit von der Verbrennung fossiler Brennstoffe der Hauptquelle für Luftverschmutzung und das anthropogene Kohlendioxid in der Atmosphäre reduzieren können, ohne auf Wirtschaftswachstum verzichten zu müssen.

Der Bericht, der in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters veröffentlicht wurde, hat drei Variablen näher unter die Lupe genommen: die optische Aerosol-Tiefe (AOD) von Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer-Satelliten, die CO2-Emissionen aus dem Open-Data Inventory for Anthropogenic Carbon Dioxide und die Angaben der Weltbank zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen den Jahren 2001 bis 2018. Diese drei Variablen sind gute Indikatoren für die Luftverschmutzung (AOD), die Kohlenstoffemissionen (CO2) und das Wirtschaftswachstum (BIP) einer Region. Dabei wurden nur die Emissionen über einem bestimmten Schwellenwert berücksichtigt, um natürliche Kohlenstoffemissionen oder geringfügige lokale Emissionen – wie durch die Verbrennung von Biomasse – auszuschließen.

Die Ergebnisse legen nahe, dass – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen – die Verbindung zwischen Wachstum und Emissionen durchbrochen werden kann. Während auf globaler Ebene immer noch eine starke Beziehung zwischen den beiden besteht, konnten sich einige Länder dem Trend widersetzen. Dies deutet darauf hin, dass mit nationalen politischen Entscheidungen oder Veränderungen in der Infrastruktur diese Verbindung durchbrochen werden kann. Obwohl beispielsweise Länder mit hohem BIP, wie die USA oder europäische Nationen, zu hohen Kohlenstoffemissionen neigen, sinkt ihr Gesamtverbrauch an fossilen Brennstoffen, während das BIP weiter wächst.

Gleichzeitig verbessert sich in diesen Ländern die Luftqualität, da neue industrielle Technologien und staatliche Vorschriften eingeführt wurden. Selbst in China, wo der Verbrauch fossiler Brennstoffe steigt und das Wirtschaftswachstum hoch ist, verbessert sich die Luftqualität. Das ist vermutlich auf die Verschärfung der Luftqualitätsstandards seit 2014 zurückzuführen. Generell haben die Studienautor*innen festgestellt, dass Luftverschmutzung und Kohlenstoffemissionen nicht so sehr mit dem allgemeinen Wirtschaftsniveau eines Landes korrelieren, sondern vielmehr mit der Rate des Wirtschaftswachstums.

Was bedeutet das für die Volkswirtschaften im globalen Süden?

Leider wurden mit Ausnahme von China die stärksten Beispiele für die Entkopplung von Umweltverschmutzung und Wirtschaftswachstum in Ländern mit hohem BIP in Europa und Nordamerika gefunden, während für die meisten Länder des globalen Südens, insbesondere in Afrika und Asien, die traditionelle Korrelation bestehen blieb. Die schnell wachsenden Volkswirtschaften dieser Regionen produzieren in der Regel vergleichsweise geringe – aber dennoch steigende – Kohlenstoffemissionen und zunehmende Luftverschmutzung.

Dies deutet darauf hin, dass einige Staaten des globalen Südens möglicherweise noch nicht über die technologischen Möglichkeiten oder die staatliche Aufsicht bzw. den Willen verfügen, diese Entkopplung zu erreichen. Einige Staaten sind jedoch Ausreißer in diesem Trend. Tadschikistan und Usbekistan zum Beispiel haben ein wachsendes BIP, aber einen sinkenden Verbrauch an fossilen Brennstoffen; möglicherweise, weil ihre Wirtschaft stärker mit Landwirtschaft und Tourismus verbunden ist.

Der Bericht ist der erste seiner Art, der diese drei Variablen über einen so langen Zeitraum zusammenfasst. Doch auch wenn er interessante Einblicke bietet, raten die Autor*innen nur zu einer vorsichtig optimistischen Lesart. Zum einen basiert die Konsumwirtschaft des globalen Nordens stark auf billigen Gütern, die in Ländern des globalen Südens produziert werden. Obwohl also ihre eigenen Emissionen sinken mögen, profitieren diese Länder wirtschaftlich immer noch vom Anstieg des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und der Luftverschmutzung in Entwicklungsländern. Tatsächlich werden die Volkswirtschaften zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zunehmend voneinander abhängig – was Fragen über die Aussagekraft von Informationen über Kohlenstoffemissionen einzelner Länder aufwirft, deren Volkswirtschaften nicht in geschlossenen nationalstaatlichen Kreisläufen funktionieren.

Wenn es jedoch gelingt, den globalen Wirtschaftsstandard weg von einem nicht nachhaltigen Konsumverhalten hin zu einer nachhaltigeren Basis zu verschieben, die auf einem stetigen, wenn auch langsameren Wirtschaftswachstum aufbaut, könnten Fortschritte bei der Verringerung der globalen Emissionen erzielt werden. Was diese Studie vorschlägt, ist, dass Technologie und Regierungspolitik ihre Kräfte vereinen können, um das Wirtschaftswachstum ohne eine zwangsläufige Zunahme der Emissonen aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise könnten die Staaten in Asien und Afrika einen anderen Weg zu wirtschaftlichem Wohlstand beschreiten – im Gegensatz zu dem emissionsintensiven Weg, den die Länder mit hohem BIP in der Vergangenheit gegangen sind –, der keine enormen Ausstoß von Emissionen erfordert.

Doch selbst diese Schlussfolgerung bringt ethische Probleme mit sich. Wenn die amerikanischen und europäischen Staaten beginnen können, sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden, dann nur, weil sie die notwendigen technologischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten – einschließlich der daraus resultierenden politischen Stabilität – entwickelt haben. Diese Fähigkeit ist zu einem großen Teil auf ihre eigene intensive Nutzung fossiler Brennstoffe in den vorangegangenen Jahrzehnten vor dieser Studie zurück zu führen. Von den Ländern des globalen Südens zu verlangen, ihre Emissionen auf das Niveau des Nordens zu begrenzen, ist in diesem Zusammenhang heuchlerisch.

Wenn also ernsthafte globale Anstrengungen zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen unternommen werden sollen, müssen die Länder des globalen Südens möglicherweise mehr Unterstützung von den Ländern des Nordens erhalten, um die Nachteile auszugleichen, die ihnen durch die Begrenzung der Nutzung fossiler Brennstoffe entstehen, und mehr in Initiativen investieren, die eine sauberere Entwicklung ihrer Volkswirtschaften unterstützen. Wenn wir sicherstellen können, dass der globale Süden nicht die gleichen Fehler macht wie der globale Norden in der Vergangenheit, besteht die Hoffnung, dass, wie es im Bericht heißt, „mit ausgereifteren Technologien und erneuerbaren Energien die Volkswirtschaften weiter wachsen können, ohne die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden.“

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© ESA
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