Rio+20 – Nichts als heiße Luft?

1992 wurde mit der UN-Klimarahmenkonvention der Versuch unternommen, den Kampf gegen den Klimawandel auf eine globale Ebene zu heben. 20 Jahre später fällt die Bilanz  ernüchternd aus. Auf der Suche nach einer wirksamen multinationalen Strategie gegen die Erderwärmung richten sich viele Augen auf Europa. Auch wenn der alte Kontinent nur bedingt als klimapolitische Blaupause für die globalisierte Welt taugt, kann er eine Inspiration für die Klimapolitik bieten. Ein Gastbeitrag von Jörg Frommann.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 22.06.12

Rein sicherheitspolitisch gesehen ist das Weltklima ein Hochrisiko: Es kümmert sich nicht um Ländergrenzen, reist unkontrolliert ein und aus und unterwirft sich keinem nationalen Gesetz. Auch wenn es tatsächlich betrachtenswerte Wechselwirkungen zwischen den globalen Megatrends Klimawandel und Sicherheit gibt – Thema dieses Vergleichs ist natürlich die Unmöglichkeit, der globalen Dynamik des Klimawandels allein auf nationaler Ebene beizukommen.

Daher schien der sogenannte „Erdgipfel“ von Rio 1992 auch die richtige Bühne zu sein, um mit der Klimarahmenkonvention ein wirklich wirksames Abkommen ins Leben zu rufen, das der internationalen Dimension der globalen Erwärmung Rechnung trägt. Die Weltgemeinschaft bekannte sich erstmals, die Treibhausemissionen auf ein Niveau zu begrenzen, welches für das Klimasystem verträglich bleibt. 20 Jahre und fast ebenso viele Klimakonferenzen später fällt die Bilanz aber desolat aus und Besserung scheint nicht in Sicht: In ihrem „Umweltausblick“ prognostiziert die OECD, im Jahr 2050 würden weltweit rund 85 Prozent der Energie noch aus fossilen Quellen gewonnen, der Anteil der erneuerbaren Energien liege bei lediglich 10 Prozent. Bei einer Vervierfachung der weltweiten Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum bedeute dies eine globale Erwärmung von 3 bis 6 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Zum Vergleich: Lediglich zwei Grad globale Erwärmung haben sich die G8-Staaten maximal genehmigt, um die Folgen des Klimawandels noch einigermaßen beherrschbar zu halten.

Ob die Staatengemeinschaft – oder besser: die einzelnen Industrie- und Schwellenländer in ihrer Gesamtheit – das Ruder noch rechtzeitig herumreißen können, ist durchaus fraglich. Von einem klimapolitischen Teamspirit war auf den den letzten Klimagipfeln in Kopenhagen (2009) und Durban (2011) nicht viel zu spüren, nationale Interessen verhindern weiterhin ein entschiedenes, konzertiertes Auftreten der Weltgemeinde. Robert Costanza, Direktor des Instituts für nachhaltige Lösungen in Portland, nennt hierfür wenig überraschende Gründe: „Langfristig gesehen würde jeder von einem „Global Deal“ zur Verringerung der Treibhausgase profitieren“, schreibt Constanza auf aljazeera.com, „doch ein solches Abkommen würde kurzfristig wirtschaftliche Ziele konterkarieren, insbesondere die der Schwellenländer.“

Sich nicht darauf einigen zu können, was das Beste für alle wäre, scheint insofern die paradoxe Logik der multinationalen Klimapolitik zu sein. Ausgerechnet die leidgeprüfte Selbsterfahrungsgruppe der europäischen Staatengemeinschaft gilt allerdings als Hoffnungsträger für ein effektives und grenzüberschreitendes Vorgehen gegen die Treibhausemissionen. Ein Grund dafür ist das Emissionshandelssystem der Europäischen Union, kurz EU ETS. Seit Anfang 2005 vergibt die EU eine festgelegte Anzahl von Emissionszertifikaten an die Unternehmen in den 30 Teilnehmerstaaten. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Prinzip des Cap & Trade: die Anzahl der Emissionsberechtigungen ist beschränkt, aber sie können frei gehandelt werden, wodurch ein ökonomischer Anreiz entstehen soll, die Treibhausgase effizient zu reduzieren.

Der EU-Emissionshandel – ein globales Rollenmodell?

Ein Blick auf die Sustainable Governance Indicators der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Teilnehmerstaaten des EU ETS beim CO2-Austoß in Relation zum Inlandsprodukt im Vergleich auf OECD-Ebene tatsächlich gut abschneiden: Unter den Top 10 der CO2-Einsparer finden sich neun Länder, die dem Emissionshandelssystem angehören, einschließlich Norwegen und Island, die sich als Nicht-EU-Staaten angeschlossen haben. Außereuropäische G8-Staaten wie Japan, USA und Kanada befinden sich nur im Mittelfeld bzw. am Ende der Liste. Die europäische Klimaschutzpolitik scheint also in die richtige Richtung zu laufen – nur ein Beleg für den Erfolg des EU-Emissionshandels ist der Index noch nicht. Im Gegenteil gibt es eine ganze Reihe von Kritikpunkten am europäischen Emissionshandel: Wichtige CO2-Quellen werden vom System gar nicht erfasst (immerhin soll der Flugverkehr zukünftig in den Handel einbezogen werden), zudem gilt das EU ETS als zu teuer und wenig effektiv.

Johannes Teyssen, Chef des Energieriesen E.on, behauptet gar, das Handelssystem habe niemanden in Europa dazu bewegt, in den Klimaschutz „auch nur einen einzigen Euro“ zu investieren. Dies liege daran, dass der Preis für die Emissionszertifikate mittlerweile so gering sei, dass kaum Anreize für den Einsatz klimafreundlicher Technologien bestehe. Unter dem Strich sieht die Bilanz des europäischen Klimahandels dann auch tatsächlich bescheiden aus: In der Pilotphase des Systems (2005 bis 2007) stieg der CO2-Ausstoß im ETS-Sektor weiter an, ob die Bilanz der zweiten Phase (2008 bis 2012) bedeutend besser ausfallen wird, ist aus jetziger Sicht zweifelhaft.  

Trotz seiner Schwächen wird das EU-Emissionshandelssystem von renommierten Emissionshandels-Experten wie A. Denny Ellerman vom European University Institute  (EUI) in Florenz immer wieder gerne als hoffnungsvolles Pionierprojekt der multinationalen Klimapolitik angesehen. Im Interview mit SGI News sieht Ellerman die niedrigen Preise der Zertifikate hauptsächlich als lediglich vorübergehende Erscheinung im Zuge der Euro-Krise an. Ein Emissionshandelssystem nach EU-Vorbild könne auf globaler Ebene durchaus ein effektives Werkzeug der internationalen Klimapolitik sein – allerdings weist Ellerman an anderer Stelle auch darauf hin, dass dafür eine entsprechende Organisationsstruktur notwendig sei. Im Fehlen dieser Struktur sieht Susanne Dröge, Forschungsgruppenleiterin „Globale Fragen“ von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, auch den Grund, warum sich das Design des EU ETS nicht auf die weltweite Ebene übertragen lassen würde. Allerdings sei es ihrer Meinung nach „nicht ganz unrealistisch“, einzelne nationale Systeme untereinander verbinden zu können.

Die Debatte um den europäischen Emissionshandel wird spannend bleiben, auch weil eine profunde Einschätzung seiner Effektivität erst in einigen Jahren möglich sein wird. Allerdings verstellt sie auch den Blick auf die Tatsache, dass Europas Anstoß für den globalen Kampf gegen den Klimawandel eigentlich an anderer Stelle zu erblicken ist: Nämlich in dem vergleichsweise sehr umfassenden Commitment zur Reduzierung der Erderwärmung.

Geht man bei den Umwelt-Aussagen der Sustainable Governance Indicators etwas in die Tiefe, findet sich bei den europäischen Staaten eine breite Palette unterschiedlichster Initiativen gegen CO2-Emissionen: Zu nennen wären beispielsweise steuerliche Maßnahmen wie in Schweden und Deutschland (Ökosteuer), die Förderung des CO2-freien Straßenverkehrs in Irland, der Ausbau der erneuerbaren Energien in Norwegen, die Schaffung von CO2-neutralen Eco-Towns in Großbritannien oder der Schutz der Wälder in Finnland.

Diese Initiativen können zwar nicht über die vorhandenen Schwächen hinwegtäuschen – so beruht Europas vergleichsweise glimpfliche CO2-Bilanz zum Teil auch auf der derzeitigen Wirtschaftskrise und der starken Rolle der fragwürdigen Kernenergie beispielsweise in Frankreich; zudem verhindern nach wie vor beträchtliche Widerstände insbesondere bei den großen Energiekonzernen einen noch umfassenderen Ausbau der regenerativen Energien. Dennoch sind die vielfältigen europäischen Klimainitiativen Ausdruck der Verwurzelung des grünen Gedankens in Politik und Gesellschaft. Das ökologische Bewusstsein ist längst nicht mehr auf die Lohas-Bewegung beziehungsweise den Wirkungskreis der mittlerweile 36 grünen Parteien in Europa begrenzt, sondern hat sich insbesondere in Mitteleuropa auch im breiten Bürgertum durchgesetzt.

Klimaschutz ist teuer und er erfordert den Mut, Innovationspotentiale zu erkennen, wo Skeptiker nur Wachstumsrisiken sehen. Auch auf dem alten Kontinent muss um diese Sichtweise nach wie vor gerungen werden. Doch das das grüne Bewusstsein der Europäer ist ein guter Nährboden für eine nachhaltige Klimapolitik. Auch der EU-Emissionshandel muss letztlich in diesem Licht gesehen werden: Das erste grenzüberschreitende System dieser Art hat einen richtungsweisenden Wert insofern, dass eine Anzahl von Staaten nicht ausschließlich auf ihre persönlichen Vorteile schaut, sondern einen kollektiven CO2-Cap beschließt und so Wettbewerbsnachteile nivelliert.

Ob das EU ETS nun als Rollenmodell für einen globalen Emissionshandel herhalten kann oder nicht – der gemeinschaftliche Ansatz dieser Idee darf gerne Schule machen. Allein der gute Geist der Gemeinsamkeit wird das Klima natürlich nicht retten. Jammern gilt aber trotzdem nicht: Da der globale Emissionsausstoß letztlich auch nicht mehr ist als die Summe seiner Einzelteile, darf jeder schon einmal mit der Reduzierung seines eigenen „Footprints“ anfangen.

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Der Klimawandel – eine Annäherung

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