re:campaign, erster Tag: Taktiken und Tools für Online-Aktivisten

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Daniel Kruse (Nest) und Dr. Günter Metzges (Campact)

Heute startete mit der re:campaign die erste Konferenz in Deutschland, die sich mit Online-Campaigning für NGOs auseinandersetzt. RESET ist als Medienpartner mit dabei. Mein erster Eindruck: Das Thema war lange überfällig, die Konferenz ausverkauft. Der zweite: Vor allem die jüngere Generation von Aktivisten und Engagierten ist interessiert.

Autor*in Helge Peters, 16.04.10

Geert Lovink, Aktivist und Medientheoretiker aus Amsterdam, leitete mit der Keynote die Konferenz ein. Er erzählte vom Konzept Tactical Media, an dem er seit vielen Jahren theoretisch und praktisch arbeitet. Tactical Media ist kein fertiges Rezept sondern bedeutet, das am besten angemessene Medium für eine bestimmte soziale Auseinandersetzung zu finden und per Versuch & Irrtum herauszufinden, welches Werkzeug am besten passt. Dabei sei es wichtig, vor allem auf die spezifischen Eigenschaften des benutzten Mediums zu schauen. Idealiter vereint Tactical Media temporäre Koalitionen aus Aktivisten, Forschern und Künstlern.

Lovink erklärte am Beispiel von Indymedia die Chancen und Grenzen des Medienaktivismus: Indymedia eignete sich sehr gut für Massenmobilisierungen wie zu den WTO-Protesten in Seattle 1999, scheiterte aber in den Zeiten  zwischen großen Protestevents an seiner Doppelrolle, gleichzeitig Diskussionsforum für Aktivisten und alternative Presseagentur für ein Massenpublikum zu sein.

Zehn Jahre später ist mit dem Erfolg der Yes Men das Konzept Tactical Media fast bis in den Mainstream vorgedrungen. Am Beispiel des Transborder Immigrant Tool, einer Handysoftware, die mexikanischen Immigranten helfen soll, die Grenze in die USA zu überwinden, warf Lovink die Frage auf, inwiefern Tactical Media auf einer symbolischen Ebene verbleiben muss oder tatsächlich praktische Veränderungen schaffen kann – die Frage blieb allerdings unbeantwortet. Ein Effekt des Echtzeit-Internet wäre es, dass die Eruptionen sozialer Unzufriedenheit immer schneller aber eben auch kürzer ablaufen. Aktivisten müssten sich deshalb darauf einstellen, sehr kurzfristig reagieren und ihre Inhalte in sehr kurzer Zeit vermitteln zu müssen.

Auf jeden Fall sollten sich Medienaktivisten nicht ausschließlich auf Facebook und Twitter verlassen – die Vergangeneheit habe gezeigt, dass solche Unternehmen nach einer Zeit des schnellen Wachstums auch wieder untergehen. Stattdessen forderte Lovink eine engere Kooperation von NGO-Aktivisten und der Bewegung für Free & Open Source Software und unterstrich das mit den Worten „This is vital!“.

Justin Perkins von Care2.org hielt einen doch sehr von Marketing-Sprech eingefärbten Vortrag, den ich leider nur zur Hälfte mitbekommen habe, weil ich noch ein Interview machen musste. Was ich mitbekommen habe: Er rät deutschen NGOs, von den längeren Erfahrungen im Online-Fundraising und Campaigning amerikanischer NGOs zu lernen – u.a. sei Email weiterhin wichtiger als Facebook, um Spenden zu generieren.

In einem bis auf den letzten Zentimeter gefüllten Workshop sprach Dr. Günter Metzges von Campact.de über die Verbindung von On- und Offline-Kampagnen. Campact konzentriert sich auf eine Art Grassroots-Lobbying, das heißt, sie wollen nicht nur massenhafte öffentliche Meinungsäußerung generieren, sondern sie bereits vor einer politischen Entscheidung in den politischen Prozess einspeisen und damit eine Gegenmacht zu wirtschaftlichen Lobbygruppen aufbauen. Mittlerweile kann das nach dem amerikanischen Vorbild MoveOn.org organiserte Campact-Netzwerk mehr als 200.000 politisch engagierte Bürger in Deutschland z.B. zu Aktionen gegen Atomkraft und Genmais mobilisieren und echte Erfolge vorweisen.

Metzges machte 7 Vorschläge für gute Kampagnen:

1. Konzentration auf Wahlkreise. Politiker wollen gewählt werden und schauen deshalb besonders darauf, was in ihrem Wahlkreis passiert. Campact filter Aktivisten nach ihrer PLZ und startet dann gezielte Mailings an Politiker und Aktionen vor Ort an Politiker  – die Absender sind ihre potentielle Wähler. Das wirkt anscheinend sehr gut.

2. Direkte Konfrontation mit Politikern. Auch hier zählt wieder der Wahlkreis: eine Übergabe von Unterschriften potentieller Wähler vor Ort und eine Großplakatierung im Wahlkreis sind effektivere Druckmittel als irgendwelche Mails, die im Papierkorb landen.

3. Verletzbarkeit identifizieren. Metzges rät, sich den Gegner nicht da zu suchen, wo die Gegnerschaft am größten ist, sondern da, wo die schwächste Stelle ist. Das können dann auch mal politisch eher nahestehende Parteien sein – wenn sie den besten Hebel bieten.

4. Mit Aktionsbildern politische Inhalte auf den Punkt bringen. Bei politischen Verhandlungen haben Journalisten oft nur langweilige Vorfahrten irgendwelcher Limousinen zu filmen. Hier können kreative Protestaktionen die richtigen Bilder liefern, die von Journalisten dankbar aufgenommen werden.

5. Mobilisierungs- und Selbstorganisierungspotentiale nutzen. Oft haben die eigenen Anhänger die besseren Ideen als man selbst. Campact fragt sein Netzwerk nach guten Ideen für Slogans und Kampagnenmotive und nutzt sie dann auch, die Idee zum Anti-Genfood-Slogan „Mit dem Essen spielt man nicht“ kam aus der Community.

6. Klug kooperieren. Kooperationen können gerade da am erfolgreichsten sein, wo die Partner „kulturell“ am weitesten auseinander zu sein scheinen – wenn das Thema es denn hergibt. Als Beispiel nannte Metzges die Zusammenarbeit mit bayrischen Milchbauern für Kampagnen gegen Genfood und Milchpreisdumping.

7. Online-Aktivitäten in der realen Welt sichtbar machen. Der letzte Vorschlag zielte auf etwas ab, das auch bei Justin Perkins Thema war: Den Unterstützern sollte angeboten werden, ihr Online-Engagement auch offline zeigen zu können. Campact hat z.B. online für Luftballons spenden lassen, die dann offline zu einem großen Anti-Genfood-Slogan zusammengesetzt steigen gelassen wurden.

Alles in allem war das einer der spannendsten, weil strategisch sehr durchdachten Vorträge gewesen. Ob und wie sich diese Strategie des politischen On- und Offline-Campaignings allerdings auf andere Zielgruppen übertragen lässt, blieb erstmal offen.

Der Workshop mit Ken Banks von Frontline-SMS musste leider ausfallen, weil wegen des Vulkanausbruchs in Island die Berliner Flughäfen gesperrt sind. (So einen Satz schreibt man auch nur einmal im Leben) Stattdessen wurde auf das Buch SMS Uprising verwiesen, in dem auch ein Aufsatz von Ken Banks drin ist.

Den letzten Workshop mit crisscrossed.net habe ich nicht mehr mitbekommen, weil ich noch mit den Medienhackern schnacken musste, die gerade einen Vortrag auf der parallel stattfindenden re:publica gehalten hatten. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag.

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Digitaler Aktivismus

Handys, Blogs und Social Networks: wie Aktivisten heute digitale Technologien nutzen, um für sozialen Fortschritt zu streiten, zeigen konkrete Beispiele aus der ganzen Welt - von ägyptischen Bloggern über Videoaktivisten in Syrien bis zum kenianischen Handyprojekt Ushahidi.