Vor rund zwei Jahren wurde in Bali beschlossen, dass hier in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll beschlossen werden soll. Die Aufmerksamkeit sämtlicher internationaler Medien richtet sich auf dieses Event. Es geht, schlicht und ergreifend, um das Überleben von Milliarden von Menschen. Zunächst in den ärmeren und weniger entwickelten Teilen dieser Erde, auf mittlere Sicht aber überall, uns eingeschlossen. Schon in vierzig Jahren, so las ich erst neulich wieder im Spiegel, könnte Hamburg überflutet sein, wenn wir in Kopenhagen und 2010 keine massiven Fortschritte machen. Denn das aktuelle Ergebnis der Modellrechnung für die zukünftige Erwärmung zeigt: Stand heute werden wir schon bis 2050 eine Erderwärmung von 3-5° Celsius Erreichen. Laut Konsens aller relevanten Klimaforscher dieser Erde müssen wir die Erderwärmung auf unter 2° Celsius begrenzen, um die verheerendsten Folgen zu vermeiden.
Dazu ist natürlich mehr nötig als Lippenbekenntnisse – und obwohl wir binnen der vergangenen zwei Jahre nicht annähernd das erreicht haben, was wir brauchen, gehen mehrere Tausend Aktivisten mit einer Art Zweckoptimismus an den Start – hier in Kopenhagen. 193 Länder beteiligen sich an dieser „Conference of Parties“ (COP), der 15ten ihrer Art. Schon 1992 wurde in Rio de Janeiro anerkannt, was heute erneut auf den Tisch kommt, als wäre es eine Neuheit: Die Erderwämung ist nicht nur von Menschen gemacht, sie lässt sich auch genauso von uns aufhalten.
Seit diesen ersten Gehversuchen der internationalen Klimadiplomatie haben wir nicht nur viel dazu gelernt, es sind auch fast 20 Jahre verstrichen. Ein Erfolg in Kopenhagen ist somit gerade deshalb so wichtig, weil die Zeit keine Geduld mit uns hat. Die weltweiten Temperaturen interessiert es nicht, ob Frau Merkel in 2009 eine Finanzkrise bewältigen musste oder Mr. Obama sein marodes Gesundheitssystem inden Griff kriegen wollte.
Bis spätestens 2020 müssen die weltweiten Emissionen von CO2 ihre Spitze erreichen, um danach kontinulierlich zu fallen und bis 2050 auf gut 80% unter dem Niveau von 1990 reduziert zu werden. Wie aber soll das alles geschafft werden. Woher nehmen wir Aktivisten unseren Optimismus angesichts der trägen Fortschritte in den letzten Jahren?
Ich persönlich bin erst seit Mitte Juni dabei und will mir nicht anmaßen, ein Urteil über die gesamte Dynamik dieses komplexen Verhandlungsprozesses zu führen. Aber ich vermute: Wenn man ohne Ausweg in der Sackgasse steht, muss man wohl selbst daraus das Beste machen. Oder mit dem Kopf durch die Wand dieser Sackgasse rennen und altbekannte Grenzen sprengen.
Bis zu 100.000 Demonstranten haben sich laut diverser Medien bereits auf den 12.12.2009 als den weltweit größten Klima-Aktionstag eingeschworen. In Kopenhagen allein, wohlgemerkt. Auch daheim in Deutschland werden mehrere hundert Menschen vor dem Brandenburger Tor und andernorts erwartet, mehr als 70 Aktionen in Deutschland verzeichnet schon jetzt der Zähler von Avaaz.org. Wir sollten nicht aufgeben. Wir können es uns nicht leisten. Und doch: Wir haben unsere „Volksvertreter“ nicht zuletzt deshalb gewählt, weil wir als normalsterbliche Bürger daheim wohl kaum beurteilen können, was für einen effektiven und internationalen Klimaschutz zu tun ist. Wir können zu Ökostrom wechseln. Aber wir können nicht gesamte Industrien im Alleingang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft zwingen. Das ist allein mit dem politischen Willen und der Tatkraft von jenen Verhandlern machbar, die hier vor Ort verhandeln.
Heute war ein träger Tag. Ein eigenartiger Tag. Die Auftaktreden waren ein wenig emotionaler, ein bißchen staatsmännischer. Von den recycleten Hockern im Konferenzzentrum „Bella Center“ haben sie mich dennoch nicht gerissen. Einmal abgesehen davon, dass leider nur ein Bruchteil der akkreditierten NGO-Vertreter auch Zugang zu den Verhandlungssessions hatte. Immerhin: Drei Interviews durfte ich heute geben: Eine Zeitung, ein Radiosender und das Fernsehen waren dabei. Immer und immer wieder kamen ähnliche Fragen auf mich zu. Im Zentrum die Frage nach meinem Einfluss: „Was, Ole, glaubst du, mit deinem Bloggen erreichen zu können?“. Ich will ehrlich sein: Ich glaube, ich kann höchstens etwas Sand in’s Getriebe der langsam mahlenden Mühlen schütten. Und darauf hoffen, dass die richtigen Zahnräder blockiert werden und andere sich dadurch schneller drehen. Es ist zu früh, um hier ein Urteil darüber abzugeben, was uns in den nächsten zwei Wochen erwartet. Alles ist möglich. Alles zwischen einem totalen Scheitern, einem Erfolg ohne rechtlich bindendem Text und einer Vereinbarung, die zwar bindend ist, uns aber als größte Heuchelei aller Zeiten zum Scheitern verurteilt.
Wir „Tracker“ werden unseren Beitrag leisten, damit das nicht passiert. Morgen, 14.30 Uhr treffe ich mich mit unserer Chef-Delegierten Nicole Wilke – vielleicht das letzte Mal in diesem Jahr. Vielleicht ist es ein entscheidendes Treffen, zumindest für meinen kleinen Mikrokosmos an Klimaaktivismus. Morgen weiß ich mehr. Jetzt lausche ich der Live-Musik auf unserem Hausboot, auf dem fast 1000 Jugendliche aus aller Welt hausen. „Don’t you worry about a thing, everythings gonna be alright“, spielt der Musiker. Ein bißchen Hoffnung macht sich breit. Immerhin.
In Kopenhagen beraten die Vereinten Nationen derzeit über ein globales Klimaschutzabkommen. Im Rahmen der Aktion Adopt a negotiator bloggt Ole Seidenberg live von den Verhandlungen. Alle Beiträge von Ole kannst du hier lesen. Du willst dich für ein faires Klimaschutzabkommen stark machen? Bei TckTckTck.org findest du viele Möglichkeiten, wie du dich jetzt engagieren kannst. RESET ist offizieller Partner von TckTckTck.