Lässt sich deine Stadt vom Smartphone aus reparieren?

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Als Stadtbewohner*in hat man allzu oft das Gefühl, wenig Einfluss auf die Entwicklungen der eigenen Stadt zu haben. Doch neue Civic-Tech-Tools machen es einfacher, sich einzubringen.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 22.11.21

Die digitalisierte Welt bringt komplett neue Kommunikationsmöglichkeiten für die Beteiligung der Öffentlichkeit an wichtigen Entscheidungen mit sich. Insbesondere Civic-Tech- und Public-Interest-Tech-Anwendungen bieten neue digitale Werkzeuge, die es Bürger*innen ermöglichen, leichter und direkter mit ihrer Stadt und untereinander zu kommunizieren.

Städte werden seit langem als Orte angesehen, in denen technologische Revolutionen stattfinden und mit denen sich wenig nachhaltige, verschmutzte und überfüllte Gemeinden in Zukunft in umweltfreundlichere, digitale Smart Cities verwandeln könnten. Auch wenn das Konzept der intelligenten Stadt in vielerlei Hinsicht noch utopisch klingen mag – die Entwicklungen in diese Richtung sind bereits in vollem Gange. E-Mobilität, Mitfahrgelegenheiten und Navigations-Apps gehören heute zum Alltag vieler Stadtbewohner*innen und Smartphones sind ihr Tor zur städtischen Interaktion. Und schon heute werden Civic- Tech-Tools eingesetzt, mit denen Bürger*innen Einfluss auf ihre Stadt und deren Nachhaltigkeit nehmen können.

FixMyBerlin- Ein Wissenspool für bessere Radwege

In den meisten Bereichen ist es schwer – wenn nicht gar unmöglich – für Bürger*innen, mit ihren lokalen Vertreter*innen in Kontakt zu treten. Kommunen über ein Problem zu informieren erfordert vor allem viel Zeit und eine Menge Bürokratie. Digitale Anwendungen können jedoch zu hilfreichen Werkzeugen werden, um genau hier Feedback- und Interaktionsmöglichkeiten zu schaffen.

Eine dieser Anwendungen ist FixMyBerlin, eine digitale App, mit der Berliner*innen die zuständigen Behörden schnell und bequem auf Probleme in ihrer Stadt aufmerksam machen können. FixMyBerlin ist aus einer Initiative der Berliner Zivilgesellschaft heraus entstanden und wurde 2020 vom Berliner Senat beauftragt, Instrumente zu entwickeln, die das Berliner Mobilitätsgesetz unterstützen, mit dem die deutsche Hauptstadt verstärkt auf Radfahrende ausgerichtet werden soll.

Über eine interaktive Karte können Radfahrende Probleme wie gefährliche Strecken, Bauarbeiten oder fehlende Fahrradständer in der App melden, die dann an die zuständigen Behörden weitergeleitet werden. Damit erhalten die lokalen Behörden Informationen darüber, welche Routen am häufigsten genutzt werden und auf welchen Strecken Radwege benötigt bzw. verbessert werden sollten. Bleibt zu hoffen, dass mit diesem genaueren und datengesteuerten Ansatz die für das Projekt vorgesehenen 200 Millionen Euro dann auch wirklich an die richtigen Stellen fließen.

DECODE – Offene und geschützte Daten mit Data Commons

Im Rahmen des experimentellen DECODE-Projekts (DEcentralised Citizen-owned Data Ecosystems), das im Rahmen des Programms European Union’s Horizon 2020 gefördert wurde, wurde eine Technologie entwickelt, die Stadtbewohner*innen die Kontrolle über ihre persönlichen Daten und deren Weitergabe geben sollte. Aktuell haben wir kaum Einfluss darauf, was mit unseren Daten passiert. Sobald wir ein Fahrrad oder einen E-Roller leihen, werden unsere Routen und unser Verhalten getrackt. Wir selbst oder wenigstens die städtischen Verwaltungen profitieren davon selten – auch wenn diese Daten durchaus wichtige Informationen für die Stadtplanung beinhalten – sondern sie werden vor allem kommerziell von den jeweiligen Unternehmen genutzt. Die Technologie von DECODE umfasst dagegen eine Architektur für die kontrollierte und auf Wunsch anonymisierte Weitergabe von Daten und unterstützt so die Schaffung eines „Data Commons“.

DECODE hat diese Technologie zwischen 2017 und 2019 in vier Pilotprojekten in Amsterdam und Barcelona getestet. In Barcelona installierten die Bewohner*innen Umweltsensoren, die den Lärmpegel und Verschmutzungsgrad aufzeichneten. Mit der DECODE-Technologie konnten sie diese verschlüsselten Daten anonym und zu ihren eigenen Bedingungen mit ihren Gemeinschaften teilen. Das Projekt, das in Zusammenarbeit mit Ideas for Change und dem FabLab Barcelona durchgeführt wurde, entwickelte damit einen Ansatz, wie datenzentrierte, digitale Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden können, in denen Daten, die von Bürger*innen, dem Internet der Dinge (IoT) und Sensornetzwerken erzeugt und gesammelt werden, für eine breitere gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen, wobei die Privatsphäre angemessen geschützt wird. Startups, NROs, KMUs, Genossenschaften und lokale Gemeinschaften können dann diese Daten nutzen, um Apps und Dienste zu entwickeln, die ihren Bedürfnissen und denen der breiteren Gemeinschaft entsprechen.

Dem Thema Luftverschmutzung hat sich übrigens auch die sensor.community angenommen. Das Projekt ist in den letzten Jahren zu einem globalen Sensornetzwerk geworden, das Bürger*innen, die in Eigeninitiative Open-Data-Umweltdaten generieren, miteinander verbindet. Auf der Website des Projekts finden sich Bauanleitungen für Feinstaub- oder Lärmsensoren und viele der mittlerweile 57 Community Labs bieten regelmäßig den Sensorbau unter fachkundiger Anleitung an. Nach eigen Angaben sind aktuell mehr als 13.000 Sensoren aktiv, deren Messwerte eine detaillierte Feinstaub-Karte abbilden.

Bürger*innen zusammenbringen

Nicht nur beim Radverkehr, sondern auch in vielen anderen Bereichen können selbstinitiierte Projekte der Stadtbevölkerung dabei helfen, Städte nachhaltiger zu gestalten. Ein solches Projekt ist zum Beispiel „Gieß den Kiez“. Um unsere Stadtbäume auch in Zeiten des Klimawandels zu erhalten, müssen sie mittlerweile regelmäßig gegossen werden – eine Mammutaufgabe, insbesondere in baumreichen Städten wie Berlin! Die Bevölkerung der Hauptstadt wird daher im Sommer regelmäßig zur Unterstützung aufgerufen – und viele Gießkannen Wasser sind bereits zu den Bäumen getragen worden. Allerdings fand die Bewässerung weitgehend unkoordiniert statt, was dem einen Baum einen Wassersegen bescherte, bei vielen anderen dagegen kein Tropfen landete. Dazu kommt, dass die richtige Bewässerung auch eines gewissen Grundwissens bedarf, weil Bäume je nach Alter, Standort und Baumart unterschiedlich viel Wasser benötigen.

Das Berliner Projekt „Gieß den Kiez“ koordiniert Bürger*innen bei der Bewässerung städtischen Grüns und vermittelt wichtiges Wissen über eine Plattform. Auf der interaktiven Karte ist ein Großteil der Berliner Straßen- und Anlagenbäume – aktuell 625.000 Bäume! – verzeichnet als auch die Niederschlagsmenge der letzten 30 Tage bei jedem Baum, ob dieser in der Zeit gegossen wurde und die Lage von öffentlich zugänglichen Wasserpumpen. Sobald man einen Baum anklickt, erhält man zudem Infos über die Baumart, die „Trinkgewohnheiten“ und weitere interessante Fakten.

“Gieß den Kiez” ist ein Projekt des CityLAB Berlin der Technologiestiftung Berlin. Gemeinsam mit einem großen Netzwerk aus Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Start-ups arbeitet das öffentliche Innovationslabor an neuen Ideen für ein lebenswertes Berlin.

Die Beteiligung von Bürger*innen erleichtern

Auch wenn die genannten Beispiele zeigen, wie Bürger*innenbeteiligung aussehen kann: Tatsächlich in die nachhaltige Stadtentwicklung eingebunden werden Bürger*innen bislang selten. Und auch bei der Eigeninitiative gilt es viele Hürden zu überwinden, denn der logistische Aufwand, der mit der Gründung und Pflege von Gemeinschaften und digitalen Tools verbunden ist, ist enorm und schreckt viele Bürger*innen davon ab, solche Gemeinschaften überhaupt erst zu gründen oder ihnen beizutreten. Um diesen Prozess zu erleichtern wurde im BMBF-geförderten Projekt Zukunftsstadt 2019 in Dresden ein Befähigungsprozess für Bürger*innenprojekte vorgedacht und erprobt. Dazu wurden acht Bürgerprojekte in einem Reallabor umgesetzt, bei denen es um Themen wie Abfallwirtschaft, Mitfahrgelegenheiten oder Spielplätze ging.

Eine aus diesen Erfahrungen entstandene Open-Source-Software von FutureCityProjects soll ähnliche Verfahren auch in anderen Städten erleichtern, indem sie Bürger*innen befähigt, Projekte co-produktiv schrittweise bis zur Umsetzungsreife zu entwickeln. Die Online-Plattform unterstützt damit Projekte nicht nur dabei, alle relevanten Informationen für ein Projekt zu strukturieren, sondern sie ist auch eine Lern-Plattform für unerfahrene Projekt-Macher*innen, weil sie die Nutzer*innen in einem Schritt-für-Schritt-Prozess durch den gesamten Projektentwicklungsprozess leitet. Das Portal kann übrigens auch genutzt werden, um Zugang zu Finanzmitteln zu erhalten – ein oft entscheidender Faktor, ob ein Projekt umgesetzt und fortgesetzt werden kann.

Future City Projects hofft, mit dem maßgeschneiderten Open-Source-Tool einen unkomplizierten Ansatz für bürgerschaftliches Engagement entwickelt zu haben. Die Plattform richtet sich damit nicht nur an Bürger*innen, sondern auch an Stadtverwaltungen, denn auch Städte suchen zunehmend nach Wegen zur Bürgerbeteiligung und nach Smart-City-Anwendungen. Das Tool soll den Stadtverwaltungs-Abteilungen helfen, mit knappen Personalressourcen nachhaltige Beteiligungsprozesse umzusetzen und Bürgerprojekte zu unterstützen.

Mittlerweile stehen also durchaus Wissen und Tools zur Verfügung, mit denen Bürger*innen Einfluss auf ihre Stadt nehmen können. Dennoch bilden diese Projekte noch immer eine unglaublich kleine Nische im gesamten Stadtgeschehen. Die Gründe dafür mögen verschiedene sein. Dem Engagement der Bürger*innen stehen mit Sicherheit eine geringe Bekanntheit der Projekte, hohe zeitliche und finanzielle Hürden oder generell das Gefühl der Wirkungslosigkeit im Weg. Geraldine de Bastion, Mit-Gründerin und CEO der Berliner Agentur Konnektiv, nennt hier als Schlüsselwort digitale Bildung. „Ein Weg dahin wäre es, flächendeckend digitale Ethik und digitale Gestaltung als Unterrichtsfach einzuführen. Wo wir einfach einen weniger konsumorientierten Umgang mit Medien lernen und Menschen schon im Schulalter eigene digitale Projekte auf die Beine stellen können.“

Gleichzeitig ist es auf städtischer Ebene auch noch nicht überall angekommen, sich für echte Bürger*innenbeteiligung zu öffnen. Dabei kann es insbesondere angesichts der Herkulesaufgabe, die Klimakatastrophe abzuwenden und Städte an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, von unschätzbarem Wert sein, die Ideen und das Engagement der Bevölkerung in die nachhaltige Stadtentwicklung einzubeziehen. Dass das Interesse dafür da ist zeigen unter anderem auch die Ergebnisse des Bürgerrats Klima, die vor wenigen Monaten seine Empfehlungen an die Politik veröffentlicht hat.

Der Artikel ist Teil des Dosssiers „Civic Tech – Wege aus der Klimakrise mit digitalem bürgerschaftlichen Engagement“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier Civic Tech

Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen. Mehr Informationen hier.

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