Kunst aus Plastik: „Aufsehen erregen für Themen, über die die Leute nicht sprechen möchten“

© Jasmina Schmidt
Kunst-Installation in Banda, Kampala

Der ugandische Künstler Reagan Kandole verbindet in seiner NGO Abfall mit Kunst, arbeitet dabei mit marginalisierten Menschen und hilft ihnen, neue Perspektiven zu entwickeln. Wir haben ihn in Kampala zum Interview getroffen.

Autor*in Jasmina Schmidt, 15.05.19

Übersetzung Jasmina Schmidt:

Eine funktionierende, von staatlicher Seite organisierte Abfallwirtschaft ist in vielen Teilen des globalen Südens kaum vorhanden. So auch in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Nur etwa 50 Prozent des Mülls der Stadt wird abgeholt und noch viel weniger letztendlich recycelt. Das bedeutet, dass viele Gemeinden und vor allem die Slums sich selbst um ihre Abfälle kümmern müssen. Die NGO EcoAction arbeitet mit lokalen Müllsammlern zusammen und versucht, über Kunst und innovative Ideen ein Bewusstsein für dieses globales Problem zu schaffen: die Flut an Abfall und vor allem Plastik. Wir haben uns mit dem Gründer, Reagan Kandole, in Banda, einer marginalisierten Gemeinde in Kampala, getroffen und über sein Projekt und die verbundenen Probleme, aber auch über die Potenziale von Plastikmüll gesprochen.

Reagan, worum geht es bei EcoAction? Was genau macht ihr und was sind eure Ziele?

EcoAction arbeitet mit marginalisierten Menschen in der Stadt, vor allem mit Frauen, zum größten Teil in Slums in Kampala zusammen, um unterschiedliche innovative Verwendungen von Abfall zu untersuchen und sie mit Einkommensmöglichkeiten zu verknüpfen, also Einkommensmöglichkeiten durch Innovationen in der Abfallwirtschaft. Unser großes Ziel ist die Schaffung einer abfallfreien Umwelt. Wir schauen auf die uns umgebenden Ressourcen, wie die schlechte Abfallentsorgung: Wie können Menschen ihre Denkweise ändern? Wie können marginalisierte Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, die als Müll- und Plastiksammler ihren Unterhalt verdienen – wie können wir diese Synergien nutzen, damit diese ihren Lebensunterhalt verbessern können und gleichzeitig die Umwelt gesäubert wird? Wir wollen, dass die Leute über diese Situationen nachdenken, indem wir sie ihnen praktisch, innovativ und provokant vor Augen führen.  Das sind zum Beispiel Kunstinstallationen aus Müll und Plastik im öffentlichen Raum, um Diskussionen anzuregen. Wir sehen uns aber auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit an, da marginalisierte Gemeinden im Land zunehmen und immer mehr junge Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Städte kommen. In all unseren Projekten steckt ein Element der Nachhaltigkeit. Und wir machen das nicht nur in Kampala. Wir haben bereits Projekte in anderen Teilen Ugandas durchgeführt, an Orten des Konflikts wie in Norduganda und auch in Gefängnissen.

Wie sieht so ein Projekt von euch aus? Welche Mittel und Instrumente nutzt ihr?

Es kommt ganz darauf an. Normalerweise verwenden wir Kunst als Medium, wie das Erstellen von Murals, also von Wandgemälden. Für diese Murals versuchen wir die Community zu integrieren. Auf der anderen Seite arbeiten wir zusammen mit Plastiksammlern. Wir wissen sehr zu schätzen was sie tun, zeigen ihnen aber auch, welche anderen Möglichkeiten sie haben, um im ganzen Prozess Wert schöpfen zu können. Dazu gehört das Sammeln des Mülls, aber auch das Sortieren, Recyceln, das Organische vom Unorganischen zu trennen. Es gibt also einen künstlerischen Teil des Projekts, aber auch einen praktischen Teil, in dem wir sortieren, recyceln und Produkte herstellen. Wir veranstalten Diskussionen und Workshops oder Straßenveranstaltungen, bei denen Jugendliche und andere Menschen aus Universitäten oder aus dem Ausland zusammenkommen und über Fragen des Klimawandels und des Umweltschutzes sprechen.

Wie sieht das Leben eines Plastiksammlers aus, kannst du mir da einen Einblick geben?

Eine der Frauen, mit der wir zusammenarbeiten, heißt Joanne, eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Die Kinder gingen nicht zur Schule, weil Joanne das Schulgeld ihrer Kinder nicht zahlen konnte. Sie stand jeden Morgen früh auf und lief etwa 30 Kilometer pro Tag durch die Gegend, um Plastik zu sammeln. Pro Tag schaffte sie es, sieben Kilogramm Plastikflaschen zu sammeln – das ist am Ende weniger als ein Dollar. Was mich an Joannes Arbeit und des Teams wirklich beeindruckt hat, war die Energie, die sie in das Sammeln all dieser Abfälle gesteckt haben. Also dachte ich: „Jemand muss Joanne eine Stimme geben. Jemand muss ihr Hoffnung geben“. Denn Joanne war eine Frau, die nicht stolz darauf ist, was sie tut; die das Gefühl hat, sich nicht unter Leute begeben zu können, die keine Müllsammler sind. Und ich bin Künstler, ich habe eine Fähigkeit, ich habe die Zeit, ich kann Joannes Leben und das Leben anderer Joannes anderswo verändern. Wir begannen mit kleinen Dingen, bei denen wir Unterstützung anbieten konnten. Wir erzählten Joanne von Urban Gardening. Joanne konnte sich und ihre Familie nicht ausreichend ernähren von dem einen Dollar pro Tag, den sie verdiente. Mit Joanne haben wir mit der Idee des Urban Gardening auf kleinem Raum angefangen, wo sie verschiedene Gemüsesorten anbaute. Nach zwei Monaten fing sie an, Sachen aus dem Garten zu ernten. Sie konnte damit ihre Familie ernähren und übrige Dinge aus dem Garten verkaufen. Zusammen mit dem Einkommen aus den Plastikflaschen konnte sie so zwei ihrer Kinder zur Schule schicken.

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