Kunst aus Plastik: „Aufsehen erregen für Themen, über die die Leute nicht sprechen möchten“
Geschrieben von Jasmina Schmidt,
Der ugandische Künstler Reagan Kandole verbindet in seiner NGO Abfall mit Kunst, arbeitet dabei mit marginalisierten Menschen und hilft ihnen, neue Perspektiven zu entwickeln. Wir haben ihn in Kampala zum Interview getroffen.

Eine funktionierende, von staatlicher Seite organisierte Abfallwirtschaft ist in vielen Teilen des globalen Südens kaum vorhanden. So auch in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Nur etwa 50 Prozent des Mülls der Stadt wird abgeholt und noch viel weniger letztendlich recycelt. Das bedeutet, dass viele Gemeinden und vor allem die Slums sich selbst um ihre Abfälle kümmern müssen. Die NGO EcoAction arbeitet mit lokalen Müllsammlern zusammen und versucht, über Kunst und innovative Ideen ein Bewusstsein für dieses globales Problem zu schaffen: die Flut an Abfall und vor allem Plastik. Wir haben uns mit dem Gründer, Reagan Kandole, in Banda, einer marginalisierten Gemeinde in Kampala, getroffen und über sein Projekt und die verbundenen Probleme, aber auch über die Potenziale von Plastikmüll gesprochen.
Reagan, worum geht es bei EcoAction? Was genau macht ihr und was sind eure Ziele?
EcoAction arbeitet mit marginalisierten Menschen in der Stadt, vor allem mit Frauen, zum größten Teil in Slums in Kampala zusammen, um unterschiedliche innovative Verwendungen von Abfall zu untersuchen und sie mit Einkommensmöglichkeiten zu verknüpfen, also Einkommensmöglichkeiten durch Innovationen in der Abfallwirtschaft. Unser großes Ziel ist die Schaffung einer abfallfreien Umwelt. Wir schauen auf die uns umgebenden Ressourcen, wie die schlechte Abfallentsorgung: Wie können Menschen ihre Denkweise ändern? Wie können marginalisierte Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, die als Müll- und Plastiksammler ihren Unterhalt verdienen – wie können wir diese Synergien nutzen, damit diese ihren Lebensunterhalt verbessern können und gleichzeitig die Umwelt gesäubert wird? Wir wollen, dass die Leute über diese Situationen nachdenken, indem wir sie ihnen praktisch, innovativ und provokant vor Augen führen. Das sind zum Beispiel Kunstinstallationen aus Müll und Plastik im öffentlichen Raum, um Diskussionen anzuregen. Wir sehen uns aber auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit an, da marginalisierte Gemeinden im Land zunehmen und immer mehr junge Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Städte kommen. In all unseren Projekten steckt ein Element der Nachhaltigkeit. Und wir machen das nicht nur in Kampala. Wir haben bereits Projekte in anderen Teilen Ugandas durchgeführt, an Orten des Konflikts wie in Norduganda und auch in Gefängnissen.
Wie sieht so ein Projekt von euch aus? Welche Mittel und Instrumente nutzt ihr?
Es kommt ganz darauf an. Normalerweise verwenden wir Kunst als Medium, wie das Erstellen von Murals, also von Wandgemälden. Für diese Murals versuchen wir die Community zu integrieren. Auf der anderen Seite arbeiten wir zusammen mit Plastiksammlern. Wir wissen sehr zu schätzen was sie tun, zeigen ihnen aber auch, welche anderen Möglichkeiten sie haben, um im ganzen Prozess Wert schöpfen zu können. Dazu gehört das Sammeln des Mülls, aber auch das Sortieren, Recyceln, das Organische vom Unorganischen zu trennen. Es gibt also einen künstlerischen Teil des Projekts, aber auch einen praktischen Teil, in dem wir sortieren, recyceln und Produkte herstellen. Wir veranstalten Diskussionen und Workshops oder Straßenveranstaltungen, bei denen Jugendliche und andere Menschen aus Universitäten oder aus dem Ausland zusammenkommen und über Fragen des Klimawandels und des Umweltschutzes sprechen.
Wie sieht das Leben eines Plastiksammlers aus, kannst du mir da einen Einblick geben?
Eine der Frauen, mit der wir zusammenarbeiten, heißt Joanne, eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Die Kinder gingen nicht zur Schule, weil Joanne das Schulgeld ihrer Kinder nicht zahlen konnte. Sie stand jeden Morgen früh auf und lief etwa 30 Kilometer pro Tag durch die Gegend, um Plastik zu sammeln. Pro Tag schaffte sie es, sieben Kilogramm Plastikflaschen zu sammeln – das ist am Ende weniger als ein Dollar. Was mich an Joannes Arbeit und des Teams wirklich beeindruckt hat, war die Energie, die sie in das Sammeln all dieser Abfälle gesteckt haben. Also dachte ich: „Jemand muss Joanne eine Stimme geben. Jemand muss ihr Hoffnung geben“. Denn Joanne war eine Frau, die nicht stolz darauf ist, was sie tut; die das Gefühl hat, sich nicht unter Leute begeben zu können, die keine Müllsammler sind. Und ich bin Künstler, ich habe eine Fähigkeit, ich habe die Zeit, ich kann Joannes Leben und das Leben anderer Joannes anderswo verändern. Wir begannen mit kleinen Dingen, bei denen wir Unterstützung anbieten konnten. Wir erzählten Joanne von Urban Gardening. Joanne konnte sich und ihre Familie nicht ausreichend ernähren von dem einen Dollar pro Tag, den sie verdiente. Mit Joanne haben wir mit der Idee des Urban Gardening auf kleinem Raum angefangen, wo sie verschiedene Gemüsesorten anbaute. Nach zwei Monaten fing sie an, Sachen aus dem Garten zu ernten. Sie konnte damit ihre Familie ernähren und übrige Dinge aus dem Garten verkaufen. Zusammen mit dem Einkommen aus den Plastikflaschen konnte sie so zwei ihrer Kinder zur Schule schicken.
Mit den gesammelten Flaschen können wir zum Beispiel auch eine Dusche bauen. Oft warten die Menschen in den marginalisierten Gemeinden darauf, dass die Sonne untergeht und sie sich dann vor dem Haus waschen können. Aber man kann auch eine Dusche aus Plastikflaschen bauen. Deshalb haben wir auch angefangen, mehr über gesundheitliche Aspekte zu sprechen und die Müllsammler mit Schutzkleidung und Uniformen zu unterstützen. Diese Idee kam von ihnen. Normalerweise würden sie mit ihren schmutzigen Kleidern zum Müllsammeln gehen und Leute würden denken, dass sie Diebe oder verrückte Leute sind. Wir stellen also nun Uniformen für sie bereit, in denen jeder sie erkennt und respektiert. Sie nennen sich selbst nun „EcoAction Garbage Collectors“ – das hat sich richtig gut angefühlt. Aber auch das Mural, das wir gemacht haben, sollte sie stolzer machen. Wir haben versucht, Ideen von ihnen darin aufzunehmen.
Jetzt haben wir angefangen, Produkte aus recycelten Materialien herzustellen und sie sowohl lokal als auch international zu vermarkten und haben uns dafür einige Maschinen angeschafft. Die Frauen werden jetzt darin geschult, solche Produkte herzustellen und 75 Prozent des Verkaufspreises gehen an die Person, die das Produkt hergestellt hat.
Abfall und vor allem Plastik ist eine wichtige Thematik, weil es eine so globale Herausforderung und überall auf der Welt ein Problem ist. Was könnte deiner Meinung nach eine mögliche Lösung sein?
Zuallererst beginnt es bei jedem selbst, direkt im Haushalt – schauen wir uns die Mülldeponien oder den Müll auf den Straßen an. Das muss verinnerlicht werden, wir müssen ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen. Eines unserer Ziele war es, uns die junge Generation anzuschauen, in die Schulen zu gehen. Die junge Generation ist die Zukunft! Wenn wir also mehr junge Menschen ansprechen können, könnten wir die Idee des verantwortungsbewussten Bürgers, der sich um die Umwelt kümmert, viel mehr aufgreifen. Wir brauchen Verhaltensänderungen, das ist der Weg, den wir gehen müssen. Aber wir brauchen auch eine Regierung, die das durchsetzt. Eine Regierung muss solche Probleme ebenfalls ernst nehmen. Nach Ruanda zum Beispiel kannst du keine Plastiktüte bringen. Wenn eine Regierung so etwas beschließt und eventuell auch den Lehrplan in Schulen anpasst, dann ist das ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber eine andere Sache ist – wir haben bereits vorhandenen Abfall. Wir können nicht einfach aufwachen und sagen: keine Plastikflaschen mehr. Denn was ist mit dem, was schon da ist? Das geht raus an die Jugendlichen und Innovatoren, um wirklich über andere Optionen und Innovationen nachzudenken, wie wir den Abfall reduzieren können, den wir bereits haben, und dafür Lösungsoptionen zu schaffen.
Was bedeutet diese Verinnerlichung für dich konkret als Künstler und für EcoAction?
Für mich als Künstler sehe ich das auch aus einer anderen Perspektive. Ich muss Aufsehen erregen, für die Dinge, die die Leute nicht hören wollen. Für Themen, über die die Leute nicht sprechen möchten. Wie errege ich Aufmerksamkeit? Indem ich an öffentlichen Orten Kunstinstallationen mache, durch Murals und dem Versuch, Dinge zu schaffen, die die Leute sehen. Zum Beispiel haben wir gerade angefangen, Mülleimer aus Plastikflaschen herzustellen und sie überall in Kampala aufzustellen. Denn normalerweise sieht man keine Abfalleimer in der Stadt.
Wie geht ihr mit der Kontroverse um, dass einerseits Menschen ihr Geld mit Abfall verdienen, ihr aber auf der anderen Seite versucht, eine abfallfreie Umwelt zu schaffen?
Das ist eine wirklich interessante Beobachtung. Worauf wir hier aber wirklich schauen, ist der Abfall, der bereits hier ist. Dieser wird von den Sammlern zusammengetragen, wiederverwendet und als Einkommensquelle genutzt. Was wir aber auch tun, ist, ihnen bestimmte Fähigkeiten beizubringen, zum Beispiel Schneidern oder Urban Gardening. Wenn es keine Plastiktüten gibt, kann man immer noch Papiertüten herstellen, verkaufen und seinen Lebensunterhalt verdienen. Die ganze Idee ist also, dass wir die Sammler zuallererst ermutigen in dem, was sie tun. Wir zeigen ihnen aber auch, was wir am Ende des Tages brauchen. Dass wir uns nicht auf Kunststoffe verlassen können, sondern dass sie Alternativen für andere Menschen und sich selbst finden müssen.