Interview: Climate Change AI – Forschung an der Schnittstelle von KI und Klimawandel

Unter dem Namen „Climate Change AI“ haben sich Forschende zusammengeschlossen, die sich für den Einsatz von maschinellem Lernen zur Bewältigung der Klimakrise engagieren. Wir sprachen mit der Vorsitzenden Lynn Kaack.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 27.04.20

Übersetzung Sarah-Indra Jungblut:

Was macht Climate Change AI genau? Was sind die Potenziale und Herausforderungen von KI für den Klimaschutz und Anpassungen an den Klimawandel? Darüber sprachen wir im Interview mit Lynn Kaack. Sie ist Vorsitzende der Gruppe Climate Change AI und Postdoktorandin in der Energy Politics Group an der ETH Zürich. Sie forscht zu Energiesystemen und Klimapolitik und verwendet dazu Methoden der Policy Analysis, Statistik und des maschinellen Lernens.

Lynn, was genau ist Climate Change AI?

© Lnn Kaack Lynn Kaack ist Vorsitzende der Gruppe Climate Change AI. Sie forscht zu Energiesystemen und Klimapolitik.

Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind komplexe Herausforderungen, die mit einer Vielfalt von Handlungsansätzen angegangen werden. Um Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) gewinnbringend für den Klimaschutz anzuwenden, braucht es natürlich nicht nur Wissen im KI-Bereich, sondern auch in den Bereichen des Klimaschutzes und der Folgen des Klimawandels. In der Praxis bedeutet das allerdings, dass Experten zusammenkommen, die sonst selten interagieren. Wir sind eine Gruppe aus Wissenschaftlern, die sich genau dieser Brückenbildung angenommen haben. Unter dem Namen Climate Change AI bieten wir eine Plattform für alle diejenigen, die mit KI-Methoden am Klimaschutz arbeiten oder arbeiten möchten. Wir haben es uns außerdem zum Ziel gesetzt, zu einem reflektierten und kritischen Diskurs um KI-Ansätze im Klimabereich beizutragen.

Wie kam es zur Gründung von Climate Change AI?

Ich habe über das Thema Klimaschutz an der Carnegie Mellon University promoviert. Diese amerikanische Universität ist eines der Zentren der KI-Forschung und es wird viel Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit gelegt. Während meiner Promotion habe ich dort das Fach Machine Learning studiert und die letzten beiden Kapitel meiner Dissertation zum Thema KI und Klimaschutz geschrieben. Durch meine Forschung wurde mir bewusst, dass mehr für den fachübergreifenden Austausch auf diesem Gebiet getan werden muss. Ungefähr zur gleichen Zeit haben sich KI-Forscher auf einer der größten internationalen KI-Konferenzen (NeurIPS 2018) über das Thema Klimaschutz zusammengefunden. Ich bin ihnen über eine Kollegin vorgestellt worden und wir haben zusammen ein umfassendes wissenschaftliches Paper zum Thema geschrieben. So wurde der Grundstein für Climate Change AI gelegt.

Wie arbeitet ihr zusammen?

Obwohl die Mitglieder von Climate Change AI in Nordamerika und Europa verteilt sind, arbeiten wir sehr eng zusammen. Wir organisieren regelmäßige Vortragsreihen auf KI-Konferenzen, haben einen Newsletter und ein Online-Forum – alles zum Thema KI und Klimawandel. Für die Zukunft haben wir weitere Pläne: Wir würden als Organisation gerne Forschungsprojekte finanziell unterstützen, um mit dieser Arbeit Maßstäbe zu setzen.

KI und Klimawandel – wo siehst du die größten Potenziale?

Der Klimawandel muss auf vielen Ebenen gleichzeitig angegangen werden und die Anwendungsbereiche der KI sind entsprechend vielseitig. KI-Methoden werden unter anderem dazu benutzt, Muster in Daten zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. Das wird in der Grundlagenforschung zu Materialen erneuerbarer Energien oder Batterien angewendet, hilft im Stromnetz, die Solar- und Windstromerzeugung vorherzusagen, oder dient dazu, Klimapolitik zu informieren. Mit KI-gestützter Bildbearbeitung werden auch große Fortschritte in der Fernerkundung erzielt, die es ermöglichen, viel bessere Informationen zum Beispiel über Infrastruktur, Vegetation, oder Treibhausgasmissionen zu erhalten. KI wird darüber hinaus dazu eingesetzt, komplexe Steuerungssysteme zu verbessern, wie sie zum Beispiel im Verkehr oder in Heizungssystemen zum Einsatz kommen. Damit kann der Energieverbrauch dieser Systeme verringert werden.

Und was sind die größten Hürden für KI-Anwendungen, die dabei helfen, das Klima zu beschützen bzw. uns an den Klimawandel anzupassen?

Von ganz grundlegender Wichtigkeit sind natürlich finanzielle und regulatorische Anreize der Politik, den Klimaschutz zu unterstützen. Ohne diese Anreize sind viele Klimaschutzstrategien und natürlich auch KI-Anwendungen schwerer realisierbar.

Eine andere Herausforderung ergibt sich daraus, dass KI-Anwendungen datenbasiert sind und diese für die Forschung nicht immer leicht zugängig sind. Zum Beispiel geben Unternehmen aus Wettbewerbsgründen ungern Datensätze heraus. Auch in der Praxis muss noch viel getan werden. Die KI-Methoden müssen oft in bestehende Systeme und Abläufe eingebettet werden. Um solche Entwicklungen in Industrie und im öffentlichen Sektor voranzutreiben, müssen neue Vorgehensweisen erarbeitet werden.

Zentral ist jedoch der enge Austausch von KI-Experten, klimarelevanten Fachgebieten und der Praxis, der dabei hilft eine Problemstellung richtig anzugehen. Mit Climate Change AI haben wir uns zur Aufgabe gemacht, genau diesen Austausch zu unterstützen.

Lynn, vielen Dank für das Interview!

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Dieser Artikel ist Teil des Dosssiers „Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“. Alle Artikel des Dossiers findest du hier: Dossier KI

Das Dossier und die Publikation sind Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers über zwei Jahre zum Thema „Chancen und Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung“ erstellen.


Mehr Informationen hier.

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