GlobalEyes TV Jugend Film-Workshop: Haiti – Traum und Wirklichkeit

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Unsere erste Woche in Leogane: Arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Kameraakkus müssen geladen werden, Notebooks und Festplatten zum Schneiden brauchen Power. Doch was tun, wenn das Benzin für den Generator immer dann zu Ende ist, wenn wir mit den Kids am Nachmittag oder spät nachts an Filmen basteln, Untertitel schreiben?

Autor*in RESET , 20.03.11

Unsere erste Woche in Leogane: Arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Kameraakkus müssen geladen werden, Notebooks und Festplatten zum Schneiden brauchen Power. Doch was tun, wenn das Benzin für den Generator immer dann zu Ende ist, wenn wir mit den Kids am Nachmittag oder spät nachts an Filmen basteln, Untertitel schreiben?

Lage von Leogane in Haiti

Die Hafenstadt Léogâne liegt 25 bis 30 km westlich der Hauptstadt Port-au-Prince/Wikipedia

GlobalEyes TV Workshop, Haiti: Kreativ statt auswendig gelernt

Bildung hieß hier bisher Runterbeten – eigene Ausdruckformen zählen in der Schule nicht.

Wir bekommen in jedem Fall tiefe Einblicke in die Haitianische Realität und die Tücken des Alltags, die wohl organisiert sein wollen. Ansonsten heißt es Hakuna Matata…oder warten, bis Bob & Flo zur Tankstelle laufen und Kanister schleppen. Alles, auch Wasser Holen, organisieren wir hier in einer neuen Form des Zusammenlebens. Ein wenig ist das alles auch ein Gruppen-Experiment und eine Grenzerfahrung für uns.

Und da sind wir schon beim nächsten Punkt dieser Realität, in der wir hier leben, und meiner ganz persönlichen Forderung: Die Politiker in diesem Land sollten mal schnell in Bildung investieren. Wenn Kinder in den meisten Schulen hier nicht lernen, eigenständig Ideen zu entwickeln und Lösungen für Probleme zu finden, dafür aber ihre Schulbücher auswendig runter beten, was soll dann aus diesem Land werden? Der wahre Wandel in Haiti kann nur aus dem Land selbst heraus kommen. Die Strukturen müssen radikal aufgebrochen und umgeschrieben werden. Die Korruption bekämpft werden. Der Müll von den Straßen weg. Häuser gebaut. Die Landwirtschaft nachhaltig betrieben werden, die Berge aufgeforstet.

Heute sind Wahlen. Es stehen zur Auswahl ein hier berühmter Schlagersänger und die Frau eines Ex-Präsidenten, der jedoch nur 3 Monate im Amt war. Die Frau hat wohl mehr politische Fähigkeiten, aber der Schnulzenkönig ist populärer. Nun denn, auch Schauspieler haben es schon bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten geschafft. Keiner konnte uns Vorhersagen, was am Wahltag geschehen würde. Seit gestern (Samstag) 18:00 Uhr bis Montag Morgen 6:00 Uhr herrscht eine teilweise Ausgangssperre – Restaurants, Geschäfte und Clubs müssen geschlossen bleiben. Brittas Abschiedsparty haben wir mit Haitianischem Rum und Youtube Disko auf die Dachterrasse unseres Gästehauses in Port-au-Prince verlegt. Die Straßen waren ruhiger als sonst und die sonst an Samstag Abenden üblichen Bässe der Parties, die Gesänge waren nicht zu hören. Dafür umso deutlicher das Hundegebell und die krähenden Hähne.

Als wir Britta um kurz vor 8:00 h nach sehr sehr wenig Schlaf zum Flughafen brachten, waren die Straßen noch immer viel leerer als sonst. Gelegentliche Polizeikontrollen, MINUSTAH Patrouillen (die UN-Blauhelm-Mission für Haiti), aber ansonsten wenig Aufregung. Und das, obwohl seit Freitag Haitis 2004 ins Exil vertriebene Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide zurück ist im Land. Noch immer hat der charismatische Monsieur eine große, treue Anhängerschaft vor allem innerhalb der armen Bevölkerung und wird bisweilen als DER Heilsbringer für das Land gesehen. Der Zeitpunkt der Rückkehr zwei Tage vor der Wahl jedenfalls ist ein Statement. Ambitionen hat er bestimmt, auch wenn er und seine Lavalas Partei vom politischen Leben seit 2004 ausgeschlossen sind. Aber, so sagen unsere Freunde hier, es ist Haiti, und jederzeit kann alles geschehen. Wir haben den Freitag Morgen, als Aristide am Flughafen eintraf, am Strand verbracht und sind ins Türkisblau des Meeres abgetaucht, entschlossen, den Ereignissen, die vielleicht kommen, vielleicht auch nicht, mit Gelassenheit zu begegnen. Just als ich diese Zeilen schreibe, kommt eine spanische Psychologin, die seit einigen Monaten hier in Haiti als Trauma Expertin arbeitet und in unserem Gästehaus lebt, zu mir auf die Dachterrasse und erzählt, dass Wyclef Jean (The Fugees/gebürtiger Haitianer) gestern Nacht während einer Wahlkampfveranstaltung in einem Stadtteil ganz in unserer Nähe in seinem Auto angeschossen wurde. Die Kugel traf ihn wohl in die Hand. Wenn es an einem nicht mangelt in diesem Land, dann sind das Waffen.

Kinder/Jugendliche beim WorkshopEigentlich bin ich ganz froh, am Montag wieder nach Leogane zu fahren. Wir haben dann zwar wieder nur Brunnenwasser zum Duschen mit dem Eimer, aber es ist ruhiger auf dem Land, grüner und das Meer ist sauber und keine stinkende Kloake wie vor Port-au-Prince.
Außerdem freue ich mich auf unsere Woche mit den Kids. Leider ist es schon die letzte. ich könnte noch bleiben und bleiben. Unsere Mission: Wir drehen mit unserer Gang ein Musikvideo zu einem Song über Kinderrechte. Komponiert hat das Lied Lovers, der für unsere Partnerorganisation AGREDERP in Leogane mit Kindern arbeitet. Die Kids singen und Rappen den Song selbst. Während Britta, Flo & Bob mit einigen Jugendlichen am Freitag Filme fertig geschnitten haben, waren Rami, Rebel und ich mit den anderen in einem Zelt im Kreis auf dem Boden sitzend eifrig dabei, ein Skript für’s Video zu erarbeiten. Es wird dramatische Szenen geben, von Straßenkindern, Kindern, die als Haussklaven schuften müssen (die so genannten Restavek Kinder, die es hier in Haiti zu Abertausenden gibt), Teenager-Mamas…aber auch fröhliche Szenen spielender Kinder, Graffiti malend, tanzend, Freude in die Welt tragen. So langsam kommt richtig Drive in die Sache und wir konnten die Kids ermutigen, Ideen zu entwickeln für Bilder zu ihrem Song. Eigentlich würden wir gern 3 Monate hier sein, um noch intensiver mit allen Arbeiten zu können und das vorhandene Talent der Teilnehmer bestmöglich zu fördern. Drückt uns die Damen, dass wir das Projekt mit Hilfe der Kindernothilfe und unserer lokalen Partner-NGOs AMURT & AGREDERP fortsetzen können.

Haiti SeafoodWas sonst noch geschah in der vergangenen Woche hier als kurze Schlaglichter: Rami hat einen Song für Britta und Bette komponiert und einen für Flo. Britta hat ein Lied Rami gewidmet. Rebel hat die Gitarre ausgepackt und zusammen mit Bob eigene Songs gesungen & gerappt. Flo füttert jetzt immer die Schweine im Backyard. Und: Flo & Rebel wurden nachts aus der Dunkelheit mit Steinen beworfen, als sie Nachtaufnahmen schießen wollten – aber nach einigen Duckmanövern und Wortgefechten hat sich die Situation entspannt. Wir haben in Leogane eine nette Strandbar/Seafood Restaurant entdeckt, die sicherlich extra von einem cleveren Koch für die Expats, die in der Stadt arbeiten aufgezogen wird. Außerdem musste Bette wegen schlimmer Rückenschmerzen (zu viele Schlaglöcher, die wir im Pick-Up mitnehmen) die Klinik von Ärzte ohne Grenzen aufsuchen und schlummerte eine Nacht lang in Morphiums Schoß. Außerdem lauschten Britta & Bette eines Nachts bei Vollmond Trommeln und Chanting – vermutlich eine Voodoo Prozession, die uns magisch anzog. Aber manchen spirituellen Zusammenkünften bleibt man als Nichteingeweihter besser fern. Auch wenn wir gern den Rhythmen bis zu ihrem Ursprung nachgegangen wären. Heute ist Britta gen Berlin aufgebrochen und wir vermissen sie schon jetzt sehr. Dafür hat sie schon viele fertige Filme im Gepäck, die nächste Woche für euch & die ganze Welt zu sehen sein werden. Das freut uns riesig. Also: Dran bleiben.

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