GlobalEyes TV – Jugend-Film-Workshop in Haiti

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Seit 13 Tagen sind wir vom GlobalEyes-Team nun schon auf Haiti. Rami, Flo & Bette zuerst, seit vier Tagen ist auch Britta hier bei uns. Die Eindrücke sind so intensiv, dass sie nur schwer in Worte zu fassen sind. Womit beginnen? Dem Leben auf der Straße? Ein wildes Treiben in flirrender Hitze. Staub, Hupen, bunte Sammeltaxis, Tap Tap genannt, voll gestopft mit Passagieren, Hühnern, Schweiß.

Autor*in RESET , 11.03.11

Seit 13 Tagen sind wir vom GlobalEyes-Team nun schon auf Haiti. Rami, Flo & Bette zuerst, seit vier Tagen ist auch Britta hier bei uns. Die Eindrücke sind so intensiv, dass sie nur schwer in Worte zu fassen sind. Womit beginnen? Dem Leben auf der Straße? Ein wildes Treiben in flirrender Hitze. Staub, Hupen, bunte Sammeltaxis, Tap Tap genannt, voll gestopft mit Passagieren, Hühnern, Schweiß.

GlobalEyes TV Workshop auf Haiti: SzenencheckIm Müll wühlen große schwarze Schweine. Noch immer Ruinen beim Erdbeben kollabierter Häuser. Ein Nachbeben vergangene Woche, das Epizentrum in unserem Stadtteil. Angeblich haben die Wände gewackelt, doch wir wurden nicht wach. Der schwer bewaffnete Sicherheitsguard in unserem Gästehaus, den wir nicht missen möchten. Unvergesslich unser erster Ausflug zu Fuß allein zum Supermarkt – um dann doch Obst einfach auf dem kleinen Markt am Straßenrand zu kaufen. Bananen und Mango aus geflochtenen Weidenkörben. Süß und saftig.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, in all der Armut Schönheit zu entdecken. Ist das westliche Romantik? Oder einfach die Realität? Daß inmitten all des Elends Stolz liegt und Freude. Daß die Farben leuchten und das Leben auch unter schlechtesten Umständen eine große Kraft entfaltet. Ich kann mir diese Frage selbst nicht beantworten.

SINEAS heißt das Lager, in dem wir unseren Film Workshop mit den Kids machen. Entstanden nach dem Erdbeben. Gebaut als provisorische Zeltstadt. Mittlerweile leben etwa 20.000 Mensche hier. Die meisten werden bleiben. Das Lager ist jetzt ihr Zuhause. Ohne Strom, Wasser gibt es nur an einer Sammelstelle. Gekocht wird mit Holzkohle. Aber die Menschen pflanzen kleine Gärten vor ihren Zelten. Blumen, Gemüse. Normalität inmitten einer Situation, die Ausnahmezustand ist. Noch immer. Mehr als ein Jahr nach dem Erdbeben. Aber nicht ein Jahr nach der Katastrophe. Die besteht seit Jahrzehnten – im Armenhaus Amerikas. Haiti – einst reichste Kolonie Frankreichs. Und jetzt? Was ist geblieben von Haiti Cherie? Wohin, Liebling?

Fröhliches Kinderlachen – die kleinsten im Child Friendly Space von SINEAS stürmen auf uns zu. Gerade ist der Kindergarten zu Ende. Kleine Hände strecken sich uns entgegen, 3-Jährige klammern sich an unsere Beine, fallen uns in den Arm. Klebrige Finger wuscheln durch unsere Haare.

Mit unserer Haitianischen Teamverstärkung Rebel & Bob treffen wir unsere Workshop Kids. Einem Tag mit kreativem Schreiben folgen Tage, in denen unsere Kids mit den Kameras das Camp unsicher machen und nichts vor ihrer Linse sicher ist. Wir drehen über Fußball, inszenieren eine Superheldengeschichte mit ihnen und eine über Waisenkinder. Und vieles mehr. Zwischen 12-14 ist die erste Gruppe. In der zweiten Woche arbeiten Britta, Flo & Rami mit Jugendlichen zwischen 15 & 17. Ein Sack voller Flöhe, den wir Dank Rebel & Bob ganz gut hüten können. Auch wenn uns die neu gelernten kreolischen Sätze immer wieder entfallen.

Bob zeigt wie's geht beim Video Workshop

Eine Woche vergeht wie ein Wimpernschlag. Am Samstag fahren wir in die Berge. Gewundene Straßen hinauf, um Schlaglöcher herum. Immer kühler wird die Luft, immer grüner die Hänge. Auch wenn vom einstigen Regenwald nur noch wenig übrig ist. Die Schätze Haitis von Äxten für immer zerstört. Der Boden bei den vielen heftigen Regenfällen mehr und mehr erodiert. Die einst so fruchtbare Erde ausgelaugt und weg gewaschen. 1804 wurde Haiti die erste unabhängige schwarze Republik. Doch die französischen Kolonialherren ließen sich die Freiheit von ihren früheren Sklaven teuer bezahlen – unter anderem mit edlen Hölzern. Darunter leidet Haiti bis heute.

Das Erdbeben hat Haiti zerstörtVor genau einem Jahr war ich schon einmal auf Haiti. Ich wusste ungefähr, was mich erwartet. War gespannt auf Veränderungen. Vielleicht habe ich auch einfach gehofft, es hätte sich etwas verbessert für die Menschen im Land. Auch wenn viele der zerstörten Häuser, ihre Trümmer, abgetragen wurden und beseitigt – das Leben hier ist noch immer aus meiner Sicht kaum zu bewältigen. Vor dem Beben nicht. Und auch jetzt nicht: Frauen tragen schwerste Lasten auf dem Kopf, müssen sich durch Straßen kämpfen, die aussehen, wie ausgetrocknete Flussbetten eines Gebirgsbaches, mit tiefen Furchen und Löchern, steil und schräg. Der Weg ist mühsam und dauert Stunden – nur um auf dem Markt ein kleines bisschen Geld zu verdienen. Immer zu wenig, um die Familie satt zu bekommen. Die Väter sind oft abwesend, arbeitslos, frustriert. Schlagen, vergewaltigen Frauen und Mädchen. Und die Kinder können nicht lernen, weil sie entweder hungrig sind, oder der Weg zur Schule so weit ist, die Tap Taps so überfüllt, dass sie zu spät zum Unterricht kommen.

Was machen wir also hier? Flo hat es so formuliert: Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber der Tropfen kommt nicht mal auf dem Stein an. Aber dann strahlen die Kids. Hoffen, eines Tages Kamerafrau zu werden oder Regisseur. Vielleicht ist es ja das: eine Chance zu Träumen. So wie jedes andere Kind auf dieser Welt träumt. Eine Möglichkeit, Geschichten zu erzählen und das Gefühl zu haben, jemand hört zu.

Kids im Sunset beim Video WorkshopVielleicht klingt das jetzt alles niederschmetternd. Aber das ist es nicht. Es macht Spaß hier zu sein. Mit den Kindern zu arbeiten, mit ihnen rum zu albern, zu tanzen (Kommentar eines Mädels auf Ramis Sambahüftschwung: Mon Dieu…da is nix mehr zu retten). Mit unseren neuen Freunden den Sonnenuntergang in den Bergen zu sehen. Kreolisch essen zu gehen mit jeder Menge Reis & Beans und Plantain…frittierte, salzige Bananenpuffer…lecker. Beim Karneval das Treiben zu beobachten und die bunten Masken, laute Musik aus den Boxen um die Ohren gehauen zu bekommen. Spät abends auf der Dachterrasse sitzen und schwitzen. Die Mücken lieben ja vor allem Flo & Rami. Im Moment wäre ich nirgends lieber.

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