Geburtstag der UN-Konvention gegen Völkermord

© Uta Mühleis

Heute vor genau 60 Jahren, am 9. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution 260 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.

Autor*in RESET , 09.12.08

Darin ächtet die Staatengemeinschaft Vergehen von Nationalstaaten gegen Minderheiten und ethnische, religiöse, rassische und nationale Gruppen im eigenen Land.

Der dadurch geschaffene neue internationale Straftatbestand des Völkermords wurde durch die Konvention zum weltweit geächteten Verbrechen erhoben und Staaten verpflichteten sich, dieses Verbrechen nicht nur zu ächten, sondern auch zu ahnden – ein Novum in der internationale Strafgerichtsbarkeit.

Der Begriff des Genozids wurde von dem polnischen Juristen Raphael Lemkin in dessen Buch „Axis Rule in occupied Europe“ (1944) geprägt. Lemkin, der seine gesamte Familie im Holocaust verlor, kam als jüdischer Emigrant in die USA und betrieb bis zu seinem Lebensende Lobbyarbeit für die Konvention gegen das „Verbrechen ohne Namen“. Er orientierte sein Genozidkonzept an den historischen Ereignissen, von denen er als europäischer Jude Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts mittelbar und unmittelbar betroffen war: Das Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die christliche, armenische Minderheit während des Ersten Weltkrieges und später, im Zweiten Weltkrieg, der von den deutschen Nationalsozialisten geführte Holocaust gegen die europäischen Juden, Sinti und Roma, aber auch politische Gegner, bspw. SozialdemokratInnen, SozialistInnen und aktive KünstlerInnen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Diskussionen um das Verhältnis von Menschenrechtsschutz und staatlicher Souveränität trat ein Komplementärkonzept zum Genozid auf den Plan: Die Frage nach der Responsibility to Protect (R2P), also die Gewissensfrage an die internationale Staatengemeinschaft wird seither immer wieder zum Streit- und Sündenfall derer, die bei staatlichen Menschenrechtsverletzungen eingreifen wollen und denen, die staatliche Souveränität achten und unter allen Umständen gewahrt sehen wollen.

Dem Genozidbegriff haftet daher ein ganz besonderes Vermächtnis an: Sobald ein offizieller Vertreter der Staatengemeinschaft eine Situation als Völkermord bezeichnet, ist die internationale Gemeinschaft qua Konvention verpflichtet, einzugreifen. Welche Mittel und Wege  dabei beschritten werden (wollen/dürfen), ist umstritten: Im ehemaligen Jugoslawien, vor den Toren Europas, ließen Bill Clinton und Richard Holebrooke 1995 „Bomben für den Frieden“ fliegen, während dem 100tägigen Massenmorden im Herzen Afrikas ein Jahr zuvor nichts entgegengesetzt wurde. Der französische Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Le-Clezio sagte in seiner Nobelpreisrede, hätte die heutige Informationstechnologie Mitte des 20. Jahrhunderts zur Verfügung gestanden, wäre Hitler und sein Plan zur Vernichtung der europäischen Juden gar nicht in Aktion getreten.

Und doch zeigt die Geschichte die Vorherrschaft von Eigeninteresse geleiteten Staaten in den internationalen Beziehungen: Über die Verbrechen der Roten Khmer gegen KambodschanerInnen und Minderheiten in Kambodscha zwischen 1975 und 1978, bestanden in den höchsten Kreisen der US-Politik vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges keine Zweifel. Auch über die Situation, die sich 1993/94 in Rwanda entwickelte, waren westeuropäische und amerikanische Politiker weitgehend informiert. Das Massaker von Srebrenica wurde, ähnlich wie die mörderischen Geschehen in Rwanda, vor den Augen von UN-Peacekeeping-Truppen vollzogen, während der Internationale Strafgerichtshof für das Ehemalige Jugoslawien schon zwei Jahre seine Zuständigkeit ausübte.

Der Völkermord gegen Armenier ist in den Beziehungen der Türkei zur Weltgemeinschaft heute noch ein Tabu.

Der Slogan Never Again, für lateinamerikanische Staaten Nunca Más, als Statement gegen Massenverbrechen und Völkermord wird vielfach von PolitikerInnen weltweit proklamiert, wenn Stellung zu Verbrechen der Vergangenheit bezogen werden soll. Die aktuellen, sich seit vielen Jahren abspielenden Ereignisse in Sudans Darfur-Region aber auch im Kongo und in anderen Regionen der Welt offenbaren allerdings die generelle Unentschlossenheit und Uneinigkeit in der internationalen Gemeinschaft, wie solchen Verbrechen zu begegnen sei.

Hinsichtlich der internationalen Bestrebungen zur Verfolgung von Verbrechen, die in der Genozidkonvention unter Strafe gestellt sind, gibt es allerdings auch Positives zu berichten: Im Verfahren gegen Jean-Paul Akayesu befand die Strafkammer des Internationalen Strafgerichtshofes für Rwanda am 2. Oktober 1998 den Angeklagten des Völkermordes schuldig — ein historischer Meilenstein, der – nach den berühmten Nürnberger Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher der NS-Zeit und der Nürnberger Nachfolgeverfahren – zum ersten mal die Straffreiheit für diese Art von Massenverbrechen durchbricht und verurteilt. Dies war der erste Fall, in dem die Völkermordkonvention und ihre Strafverpflichtung durchgesetzt wurden.

Die Tatsache, dass internationale Sondergerichtshöfe sowie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) die Konvention in ihre jeweiligen Statuten aufgenommen und in zahlreichen Fällen angewandt haben, zeigt die Notwendigkeit und traurige Aktualität der Konvention gegen den Völkermord. Im Juli diesen Jahres hat Luis Moreno-Ocampo, Chefankläger des ICC, gar Anklage gegen ein Staatsoberhaupt wegen des vermeintlichen Völkermords in Darfur erhoben. Für Anfang des Jahres 2009 wird die Ausstellung eines Haftbefehls für den sudanesischen Präsidenten und Oberbefehlshaber Omar Hassan Ahmad AL BASHIR erwartet.