Festival ÜBER LEBENSKUNST in Berlin: Samen der Hoffnung

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Dr. Vandana Shiva über Lebenskunst & Artenvielfalt

Inspirierend, motivierend, aktivierend - das Programm des ÜBER LEBENSKUNST-Festival ist zwar seit Sonntagabend offiziell beendet, aber die Inhalte werden noch lange nachwirken und laden ein, sich zu engagieren für eine Erd-Demokratie, Biodiversität und Überlebenskunst.

Autor*in RESET , 22.08.11

 „Jede Spezies hat ein Recht auf Wohlbefinden und keine Spezies hat das Recht es wegzunehmen“ proklamierte die Physikerin, Umweltaktivistin, und Frauenrechtlerin Dr. Vandana Shiva, die bereits 1993 mit dem alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award ausgezeichnet wurde, auf dem Podium des Haus der Kulturen der Welt.

Biodiversität geht uns alle an – und wir sind alle gefordert, zur Erhaltung der Viefalt beizutragen, in einer Zeit, wo eine handvoll multinationale Konzerne versuchen, unsere Mutter Erde zu privatisieren, auszubeuten und für Wachstumsinteressen mit Hybrid-Kulturen zu verunreinigen.

Vandana Shiva erzählt den Teilnehmern der ÜBER LEBENSKUNST.SCHULE von Zeiten, als es noch über 200.000 Sorten Reis gab. In dem Film „Von Saatgut zu Saatgutmultis“, der im Rahmen ihres Workshops „Jenseits von Wachstum: Wahren Wohlstand und Wohlbefinden schaffen“ gezeigt wurde, präsentiert sie eine Reissorte, mit der man Babies, alte und kranke Menschen heilen kann. Heute sind nur noch wenige Sorten auf dem Markt erhältlich, meist polierter weißer Reis, dessen Nährwert sich auf Kohlehydrate und Proteine reduziert.

Die multinationalen Konzerne konzentrieren sich hauptsächlich auf den monokulturellen Anbau von fünf genmanipulierten Hybrid-Sorten: Weizen, Soya, Mais, Reis und Raps.

Der Anbau dieser Pflanzen dienen nicht der Welternährung, sondern dem Wachstum der Wirtschaft in den Industrieländern: In den USA wurden 30% zu Kraftstoff für Fahrzeuge und 70% zu künstlichen Futtermitteln für die Massentierzucht verarbeitet. Diese Form der monokulturellen Landwirtschaft nutzt lediglich einer sehr kleinen fleischfressenden und motorisierten „Elite“ und führt dazu, daß unser Wasser und unsere Luft zunehmend verunreinigt wird und unsere Böden auslaugt werden.

In Indien existieren seit dem Einzug von Monsanto-BT-Bauwolle innerhalb einer Dekade nur noch 5% der ehemals 1500 Sorten Baumwolle. Dr. Vandana Shiva ist einer der größten Aktivisten gegen Welteroberungsbestreben von Monsanto, die allein in Indien 250.000 Bauern zum Selbstmord trieb.

Ihren Krieg gegen Monsanto & Co führt sie mit friedlichen Mitteln: den Samen der Hoffnung. Mit dem Projekt Navdanya (bedeutet auf Hindi „neun Samen“, als Symbol für biologische und kulturelle Vielfalt) konnte sie bereits 54 Gemeinschafts-Samenbanken in ganz Indien aufbauen und über einer halben Million Bauern zu Saatgut-Souveränität helfen. Im Doon-Tal hat sie eigens die Samen-Schule Bija Vidyapeeth, auch genannt Earth University, gegründet.

Für Dr. Vandana Shiva ist Saatgut Allgemeingut – und jeder Samen hat das Bedürfnis sich zu verbreiten.

Auch Alexandra Becker, Britta Pichler und Gunilla Lissek-Wolf setzen sich ein für die Verbreitung von Saatgut. Sie haben die Initiative Social Seeds gegründet für eine Kulturpflanzenvielfalt in Berliner Gemeinschaftsgärten. Sie wollen die Bevölkerung aufmerksam machen auf die Vielfalt alter, seltener und regionaler Kulturpfanzen – und laden ein, in Workshops zu lernen, wo man Saatgut von in Vergessenheit geratenen Sorten bezieht, wie man Beete anlegt und schließlich wie man Saatgut vermehrt, um es untereinander auszutauschen.

Im Rahmen des ÜBER LEBENSKUNST-Aktionstag hat Social Seeds Interessierte in den Garten auf dem Tempelhofer Feld eingeladen. Dort konnten die Gäste zunächst einmal die geernteten alten und seltenen Tomaten- und Möhrensorten probieren und anschließend lernen, ihre Lieblingssorten zu reinigen.

Langfristig wünschen sich die Macherinnen, einen Beitrag zur biologischen und kulturellen Vielfalt in der Berliner Stadtnatur zu leisten und hoffen, dass viele multikulturelle Gemeinschaftsgärten wie Pilze aus dem Boden schießen – und ein reger innerstädtischer Saatgutaustausch stattfindet.

In Brandenburg setzt sich der VERN e.V. (Verein zur Erhaltung regionaler Nutzpflanzen) seit 1996 ein für die Erhaltung und Rekultivierung von alten, seltenen und regionalen Nutzpflanzen. Neben Wissensvermittlung ermöglichen sie der Allgemeinheit Zugang zu ihrem Schatz, der mittlerweile mehr als 2000 Sorten enthält.

Die Petition von SOS – Save Our Seeds wird allein in der EU von 300.000 Privatpersonen und 300 Organisationen mit über 25 Millionen Mitgliedern unterstützt. Die Organisation SOS wurde von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gegründet mit der Forderung einer Nulltoleranz für die Verunreinigung von Saatgut mit GVO in Europa. Es geht um eine Sortenreichtum, Ernährungssouveränität und nachhaltige Landwirtschaft – für eine internationale Perspektive.

Jeder kann etwas zur Artenvielfalt beitragen: Petitionen unterzeichnen, regionale Sorten konsumieren, gentechnische Produkte boykottieren, alte Sorten auf dem Balkon oder im Gemeinschaftsgarten anpflanzen und wertvolles Saatgut sammeln und tauschen.

Dr. Vandana Shiva empfiehlt: „Schafft Gärten der Hoffnung und zelebriert das Leben!“

 

MARKIERT MIT
Bedrohte Arten

Jährlich bringt die Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) eine aktuelle Rote Liste von bedrohten Arten heraus, in der die bekannten Vertreter aus dem Tier- und Pflanzenreich auf ihren Bedrohtheitsgrad überprüft werden. 2011 konnten fast alle Säugetiere und Vögel untersucht werden und die Ergebnisse waren gravierend: 25% aller Säugetiere sowie 13% aller Vögel sind als vom Aussterben bedroht eingestuft.