Seitdem die EU ein Verbot von Einweg-Kunststoffen verkündet hat, ist die Beliebtheit von Wegwerfartikeln aus Plastik wie Strohhalmen, Tassen und Tellern rasant gesunken und die Suche nach plastikfreien und biologisch abbaubaren Alternativen hat an Fahrt aufgenommen. Aber während alle Augen auf die Hersteller von Verpackungen gerichtet sind, ist eine Branche bisher noch nicht ins Blickfeld gerückt – der Druck. Derzeit ist der Großteil an Printmedien mit einer dünnen Schicht Plastikfolie überzogen, um Zeitschriften, Flyer und Kataloge zum Glänzen zu bringen. Doch ihnen steht das gleiche Schicksal wie anderen Wegwerfartikeln bevor: nach wenigen Wochen, Tagen oder manchmal nur einigen Minuten landen sie im Müll. Warum also ein so kurzlebiges Produkt mit etwas bedecken, das buchstäblich Hunderte von Jahren hält?
Das Trio hinter dem bulgarischen Startup LAM’ON hat sich eine biologisch abbaubare und kompostierbare Alternative ausgedacht. Sie sieht aus wie herkömmliche Kunststoff-Laminierfolie und fühlt sich auch so an. Und sie kann sogar mit den gleichen Maschinen wie ihr fossiles Vorbild hergestellt werden – zu den gleichen Kosten. Das Startup wurde 2017 von den bulgarischen Unternehmerinnen Gergana Stancheva (Illustratorin) und Angela Ivanova (Fotografin) im Rahmen des EU-Programms Climate-KIC Accelerator gegründet. Hier erhielten die Gründerinnen eine erste Finanzierung zur Entwicklung ihrer Idee. Seitdem sie vom Biopolymerspezialisten Philip Ublekov unterstützt werden, haben sie ihr Produkt noch weiter entwickelt und haben es immerhin unter die 20 Finalisten im „Chivas The Venture“-Wettbewerb geschafft.
RESET sprach mit Mitgründerin Gergana, um mehr über die Druckindustrie und ihre Innovation zu erfahren.
Was ist das Problem, das LAM’ON angeht? Und wie?
LAM’ON hat eine zu 100 Prozent biologisch abbaubare Laminierfolie für die Druckindustrie entwickelt – als Ersatz für den gesamten derzeit verwendeten Kunststoff. Laminierfolie ist im Grunde genommen eine dünne Kunststoffschicht, die auf das Papier aufgetragen wird, um es zu versiegeln und zu schützen als auch flexibler und langlebiger zu machen. Es wird für alle Arten von Produkten verwendet – Zeitschriftenumschläge, Menüs, Broschüren, Kataloge, Visitenkarten… – und große Mengen auch in der Verpackungsindustrie. Derzeit wird fast immer ein erdölbasierter Kunststoff verwendet. Das Ergebnis ist ein Mischmaterial – Papier und Kunststoff werden verklebt –, das nur schwer und sehr teuer trennbar ist. Während sich unbeschichtetes Papier leicht recyceln lässt, gelangt laminiertes Papier direkt in die Verbrennung oder Deponie. Die Folge sind Umweltverschmutzung, Mikrokunststoffe und zwei verschiedene Ressourcen, die gleichzeitig verschwendet werden. Unsere LAM’ON-Folienalternative ist sogar für die Kompostierung geeignet.
Mit LAM’ON laminiertes Papier kann also einfach in den Kompostbehälter geworfen werden?
Wenn die Folie auf giftfreies, kompostierbares Papier aufgetragen wird, dann ja. Wenn sie Standardpapier zum Glänzen bringt, dann gehört das Ganze in den Papierkorb. Wir haben einen wasserlöslichen Klebstoff entwickelt, mit dem die biologisch abbaubare Folie auf das Papier geklebt wird. Das macht es einfacher und kostengünstiger, das Papier von der Folie zu trennen. Das Papier kann dann recycelt und die Folie kompostiert werden. Aber letztendlich ist das laminierte LAM’ON-Papier überall dort, wo es ankommt, weniger schädlich für die Umwelt, da es keine Giftstoffe enthält.
Wann wurde euch klar, dass die Druckindustrie dieses giftige Kunststoffproblem hat?
Als Angie und ich in der Druckbranche arbeiteten. Derzeit nimmt man zum Laminieren von Papier quasi eine Rolle Plastik, fügt Chemikalien hinzu, erwärmt das Ganze und klebt es dann auf das Papier. Daraus werden bei der Anwendung so genannte „VOCs“ (volatile organic compounds, das sind flüchtige organische Verbindungen) freigesetzt. Und weil die Belüftung in Druckereien meist schlecht ist, atmet man das alles ein. Ursprünglich wollten wir eine grüne, kunststofffreie Alternative entwickeln – die nicht nach Tod riecht! Erst nach weiteren Recherchen wurde uns klar, dass es auch ein großes Recyclingproblem gibt.
Woraus besteht eure Alternative?
Im Grunde aus Mais. Genauer handelt es sich um ein Biopolymer aus Polymilchsäure, das aus Maisstärke synthetisiert wird. Polymilchsäure wird seit langem als Biopolymer in der Medizin eingesetzt und es gibt auch Verpackungsfolien daraus. Für uns war das eine naheliegende Entscheidung. Aber dann standen wir vor dem Problem, dass wir keinen Klebstoff finden konnten, mit dem sich unsere Folie wie Kunststoff auf Papier aufkleben ließ. Daraufhin haben wir uns auf den Weg gemacht, die dritte Person in unserem Team zu finden, Philip, der über einen Doktortitel in Kunststofftechnik und jahrelange Erfahrung verfügt. Er hat uns bei der Entwicklung eines Klebstoffs geholfen, der den Industriestandards entspricht, ungiftig ist und aus erneuerbaren Ressourcen hergestellt wird. Diese Klebeschicht ist die größte Innovation von LAM’ON und die Art und Weise, wie wir die Folie mit dem Klebstoff kombinieren, ist ebenfalls neu. Es ist also eine zweiteilige Innovation, die jetzt im Prozess der Patentierung ist.
Könnte LAM’ON auch in anderen Bereichen als der Druckindustrie eingesetzt werden? Was ist mit anderen Verpackungsarten, die beschichtetes Papier und Karton verwenden – wie Kaffeetassen oder Papptellern?
Theoretisch, ja. Wir planen, später in die Verpackung einzusteigen, aber wir wollten mit einer Branche beginnen, die wir zuerst besser kennen – und von der man nicht so viel spricht. Jeder versucht, Verpackungslösungen zu finden, aber niemand spricht von der Druckindustrie, und sie ist riesig!
Hast du Zahlen, wie viel Kunststoffabfall die Druckindustrie verursacht?
Statistiken darüber zu finden, war tatsächlich eine große Herausforderung. Die Druckindustrie ist die fünftgrößte Produktionsindustrie der Welt, mit einem Wert von acht Milliarden Euro allein in Europa, aber auch die am stärksten fragmentierte. Es gibt keine zentrale Datenbank. Alle Informationen, die wir haben, stammen also von einzelnen Druckereien. Wir haben rund 200 Experten aus der Branche befragt und ihre Informationen gesammelt. Eine große Druckerei erzählte uns, dass sie pro Monat rund zehn Tonnen Laminatfolie verwenden. Und in Europa gibt es 120.000 Unternehmen, die mit Druck arbeiten – es muss hier also um große Mengen Kunststoff gehen!
Wo liegen die Schwerpunkte eurer Forschung?
Wir haben Deutschland als unseren ersten Markt gewählt, aufgrund dessen, wie Menschen dort bereits mit Abfällen udn Recycling umgehen. Hier kümmern sich viele Endkunde bereits um die Zertifizierung und darum, was eingekauft wird. Wir hatten auch Interessensbekundungen aus Großbritannien und Österreich. Und natürlich auch aus Bulgarien, denn wir kommen von dort und dort ist unser Sitz. Wir beginnen mit diesen vier Ländern und wachsen von dort aus.
Alle sagen immer, dass der Druck tot ist, die Industrie schrumpft. Ist das wahr?
Nicht wirklich. Das hört man immer wieder – die Druckindustrie stirbt aus und die Technologie übernimmt. Vor einigen Jahren gab es einen ziemlichen Einbruch, aber in jüngster Zeit war der Markt an Printerzeugnissen stabil und ist sogar gewachsen – vor allem in der Außenwerbung, bei Katalogen und Papierverpackungen. Heutzutage, mit der Verbreitung von nicht verifizierten Nachrichten in Social Media und im Internet im Allgemeinen, hat sich gezeigt, dass viele Menschen besser auf Werbung und Informationen über Printmedien reagieren. Einige Leute sagen sogar voraus, dass die Printmedien bald wieder ein Comeback haben werden. Es ist immer noch eine Milliarden-Dollar-Industrie!
Eure Lösung benötigt keine Spezialmaschinen, ist zum gleichen Preis erhältlich und ist besser für die Umwelt und die menschliche Gesundheit als die Standardoptionen. Warum glaubst du, hat es erst euch gebraucht, um so etwas zu entwickeln?
Erstens: ein Mangel an Verbraucherdruck. Es ist ein unsichtbares Problem, also gab es keinen Druck von der Öffentlichkeit. Aber jetzt sind die Menschen immer mehr damit beschäftigt, was sie kaufen, und die Kunden treiben diese Art von Veränderung voran. Und Verlage haben ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele – Ziele, die sie bis 2020 oder 2030 erreichen wollen – und deshalb sind sie jetzt wirklich an solchen Dingen interessiert.
Zweitens: Es gab bereits einige Alternativen, andere Laminierfolien, die als biologisch abbaubar zertifiziert wurden. Aber sie bestanden aus Standard-Kunststoff, gemischt mit Stärke und anderen Dingen. Das Material wird abgebaut, ist aber nicht biologisch abbaubar. Diese „Filme“ stellten letztendlich ein noch größeres Problem dar und sie waren auch teurer als herkömmliche. Also gab es die „Öko“-Optionen da draußen, aber sie wurden nicht benutzt und das war genug „Beweis“, dass niemand sie wollte! Nun, das hat sich geändert und es gibt definitiv eine neue Nachfrage.
Klingt, als wäre es der perfekte Zeitpunkt für LAM’ON, um das feld zu erobern! Aber auch ihr musstet sicher einige Herausforderungen bewältigen. Was waren die wichtigsten Stationen bisher?
Die erste große Herausforderung war die Entwicklung unserer Idee hin zu einem realisierbaren Produkt. Ursprünglich hatten wir nur die Idee, wussten aber nicht, wie wir sie in die Realität umsetzen und die Technologie entwickeln sollten. Für uns als zwei junge Frauen, die nur mit dieser Idee ausgerüstet waren, war es wirklich schwer, damit rauszugehen und die Leute davon zu überzeugen, Zeit und Mühe (unbezahlt!) zu investieren, um den Planeten zu retten und vielleicht später etwas Geld zu verdienen. Und dann fanden wir Philip, unser drittes Mitglied. Wir sind wirklich dankbar, jemanden mit der gleichen Einstellung gefunden zu haben, der die Dinge so sieht, wie wir es tun.
Die zweite große Herausforderung bestand darin, einen Platz zum Testen auf den großen Maschinen zu finden. Wir mussten eine Firma finden, die ihre Maschinen abschaltet, damit wir versuchen konnten, etwas zu schaffen – etwas, von dem sie absolut sicher waren, dass es nicht funktionieren würde!
Wie habt ihr es geschafft, sie zu überzeugen?
Indem wir sie wirklich genervt haben! Und dadurch, dass wir uns selbst wirklich sicher waren und ihnen sagten, dass Biopolymere die Zukunft sind und sie lernen müssen, wie man sie nutzt. Am Ende waren sie sich einig, dass es in ihrem Interesse liegt, dass wir die Tests dort durchführen und ihre Mitarbeiter bei uns lernen lassen.
Und natürlich war auch die Finanzierung eine Herausforderung. Als wir nur einen im Labor getesteten Prototyp hatten, als wir am Programm von Climate KIC teilnahmen. Mit den 15.000 Euro aus diesem Funding haben wir die Rohstoffe bezahlt, den Prototyp fertiggestellt und gezeigt, dass es funktioniert. Als nächstes kommt die Pilot-Phase.
Wie sieht diese Pilotphase aus?
Wir werden eine eigene Laminiermaschine anschaffen, damir wir den Produktionszyklus im eigenen Haus schließen können. Dann können wir an der Verbesserung des Produkts arbeiten, unterschiedliche Oberflächen herstellen, mit verschiedenen Druckereien in Bulgarien zusammenarbeiten, Feedback und Tests erhalten. Bis zum Herbst können wir hoffentlich die ersten Chargen verkaufen. Wir haben bereits Kunden, die darauf warten.
Wie ist eigentlich euer Name entstanden – was ist die Bedeutung dahinter?
Zu Beginn dieses Prozesses haben wir versucht, das Problem der Kunststoffkaschierung zu lösen, indem wir nach Dingen suchten, die wir stattdessen verwenden könnten – und so das Laminieren vollständig zu vermeiden. Aber am Ende haben wir den Laminierprozess selbst aus einer neuen Perspektive betrachtet. Also, was wir sagen, ist, weiter laminieren… LAM’ON!
Dieser Artikel ist eine Übersetzung von Sarah-Indra Jungblut. Das Original erschien auf unserer englischsprachigen Webseite.