Die Uhr neu gestellt? Zur Jahreskonferenz des Nachhaltigkeitsrats

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Foto: R. Lutter, A. Linß-Stelte, LIBOMEDIA © RNE

„Die Uhr neu stellen” war das Motto der zehnten Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltigkeit, der der Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeitspolitik zur Seite steht. Also hab ich mir den Wecker gestellt und bin ins Berliner Congress-Center gefahren, um mir einen Vortrag von Carlo C. Jaeger zur Green Economy und die Rede der Bundeskanzlerin zur Nachhaltigkeitspolitik anzuhören.

Autor*in Helge Peters, 27.09.10

Unter dem weit ausholenden Thema „Wirtschaft. Wissenschaft. Nachhaltigkeit“ stand die diesjährige Carl-von-Carlowitz-Vorlesung, benannt nach dem Forstwirtschaftler und Erfinder des deutschen Nachhaltigkeitsbegriffs. Prof. Carlo C. Jaeger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung holte denn auch weit aus. Die Green Economy sei kein Zustand, sondern eine Entdeckungsreise, auf der wir den ersten Schritt noch vor uns haben, begann er seinen Vortrag. Wir befänden uns in einem ähnlichen historischen Prozess wie bei der Entstehung der Demokratie: Der hat bekanntlich lange gedauert und sein Ausgang war oft genug völlig unklar.

Prof. Jaeger mahnte an, dass neue Formen des Zusammenspiels von Wirtschaft und Demokratie gefunden werden müssten, ansonsten stehe „großer Ärger“ ins Haus. Den großen Ärger illustrierte er etwas klischeehaft mit einem ölverschmierten Vogel, merkte aber an, dass es schon ein Fortschritt sei, das BP-CEO Tony Hayward nach der Golfkatastrophe gehen musste: Der Wille zur Nachhaltigkeit sei in der Bevölkerung immerhin vorhanden.

Altes und neues Wirtschaften

Um die Ausgangssituation verständlich zu machen, von der aus wir uns auf den Weg in die Green Economy machen, griff Jaeger weit in die Geschichte aus. Ganz Wirtschaftswissenschaftler, zeigte er zunächst zwei Diagramme. Auf dem ersten war das kontinuierliche Wachstum der Wirtschaft Europas und der USA in den letzten hundert Jahren zu sehen, das bis auf einen europäischen Knick zwischen 1914 und 1950 nahezu parellel zu den USA verlief. Der Knick, das waren die zwei Weltkriege.

Die nächste Grafik zeigte die Investitionen der jüngeren Zeit im Vergleich Europa, USA und China; letzteres hatte ein beeindruckend höheres Investitionsvolumen. Die These: China habe einen Weg gefunden, nicht einfach nur seine wirtschaftliche Entwicklung nachzuholen, sondern weise ein historisch einmaliges Wirtschaftswachstum auf. Hier zog Jaeger eine düstere Parallele zur ersten Globalisierungswelle von 1870 bis kurz vor dem ersten Weltkrieg. Die soziale Ungleichheit nehme erneut zu, wieder gäbe es keine internationale Koordination und China befinde sich in einer ähnlichen Lage wie das kaiserliche Deutschland vor dem Krieg. Die Aufgabe laute, jetzt einen offenen Dialog mit China über die gemeinsame Entwicklung einer Green Economy zu beginnen. Dabei könne die wirtschaftliche Integration sinnvoller sein als politische Belehrungen.

Zukunftsszenarien

Für das Europa im Jahr 2020 entwarf er zwei Szenarien: Zum einen ein Emissionsrückgang um 20 Prozent, der mit wenig Investitionen zu erreichen sei, jedoch auf hohe Arbeitslosigkeit verweise. Zum anderen ein Emissionsrückgang um 30 Prozent, der hohe Investitionen erfordere – was auch positiv für die Beschäftigung sei. Sein Plädoyer: Wir brauchen eine Investitionswende. Den derzeitigen Rückgang von Investitionen interpretierte Jaeger als Ausdruck einer gesellschaftlichen Resignation, der mit dem Beweis begegnet werden solle, dass nachhaltige Investments möglich und profitabel sind. Als Beispiele nannte er den energieeffizienten Umbau unserer Städte und den Ausbau der Stromnetze. Er sei der festen Überzeigung, dass nachhaltige Entwicklung und Wirtschaftswachstum gemeinsam möglich wären. Aber: In seiner Vision für das Jahr 2100 mahnte Prof. Jaeger an, dass Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck sei. Alle großen Nationalökonomen hätten das Wirtschaftswachstum als nötig zur Überwindung der Armut betrachtet. Wenn das geschafft sei, reiche es auch damit. Die Wachstumsfixierung zu überwinden, benötige aber auch einen kulturellen Wandel.

Am Schluss brachte Jaeger seinen Begriff der Green Economy auf die Formel: Investitionswende und intensives Nachdenken über neues Wirtschaften. Gefragt, ob er angesichts der geschilderten Risiken und Probleme nicht pessimistisch sei, seine Visionen umgesetzt zu sehen, antwortete Jaeger, er sei aus Prinzip Optimist. Was ihm erwartbare Kritik aus dem Publikum einbrachte.

Bevor Bundeskanzlerin Merkel ihre selbstverständlich berufsoptimistische Rede halten konnte, musste sie sich von ihrem Vorredner Hans-Peter Repnik noch Kritik gefallen lassen. Der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrats sah die Rolle seiner Institution ausdrücklich darin, die Regierung auch dann zu beraten, wenn sie nicht um Rat frage – und vor allem dann zu unterstützen, wenn sie gegen Lobbyinteressen nachhaltig handle. Eine Spitze gegen das neue Energiekonzept der Bundesregierung, das mit reichlich Nachhhilfe der Atom- und Energielobby zustande gekommen ist und für die Repnik minutenlangen Applaus aus dem Auditorium bekam.

Die Rede Angela Merkels

Die Bundeskanzlerin gab den Vorwurf der Beeinflussung durch Lobbys dann zurück: Schließlich seien auch die im Saal versammelten Initiativen Lobbyisten für ihre Sache der Nachhaltigkeit; sie höre sich grundätzlich alle Vorschläge aus der Gesellschaft an. Dass zwischen Wirtschaftslobbyisten und Öko-Pressure-Groups ein kleiner inhaltlicher und ein großer budgetärer Unterschied besteht, hätte man gerne dazwischen gerufen, doch die Bodyguards schauten zu streng.

Es habe sich durchaus etwas verändert, lobte Merkel, der Nachhaltigkeitsanspruch durchziehe mittlerweile alle Politikbereiche. Dennoch seien die Herausforderungen weiterhin groß, wofür sie vor allem die Bereiche Ernährung und Energie nannte. Über 900 Millionen Menschen hungern weiterhin auf der Welt – das sein ein trauriger Fakt, der die Dringlichkeit der Erreichung der Millenniums-Entwicklunsgziele anmahne. Das sei jedoch nicht mit Geld allein zu erreichen, sondern müsse vor allem mit Hilfe zur Selbsthilfe geschaffen werden. Insofern wiederholte die Bundeskanzlerin die Position Deutschlands auf dem New Yorker UN-Gipfel von vergangener Woche.

Das neue Energiekonzept der Bundesregierung, in dem Atom und Kohle nach wie vor eine zentrale Rolle einnehmen, bezeichnete Merkel als „rational”. Erneuerbare Energien seien zwar ein wesentlicher Baustein für die Energieversorgung der Zukunft; es dauere jedoch noch geraume Zeit, bis sie konventionelle Energieträger ablösen könnten. Mit dieser Rede von der „Brückenfunktion” der Atomenergie gab Merkel die zentrale Argumentation der Atomlobby wieder, merkte jedoch auch an, dass hohe Investitionen in die Stromnetze und Infrastruktur geleistet werden müssten, um komplett auf saubere Energie umsteigen zu können.

Auf internationaler Ebene mahnte Merkel eine Neuordnung der Umweltinstitutionen an. Das Debakel von Kopenhagen habe gezeigt, dass Schwellenländer wie China und Indien noch nicht bereit seien, verbindliche internationale Verpflichtungen für den Klimaschutz einzugehen. Eine Reform der internationalen Institutionen wie etwa die Schaffung einer zentralen UN-Umweltbehörde sei nun angezeigt.

Schließlich war die Bundeskanzlerin aber auch gekommen, um den Startschuss für den Online-Nachhaltigkeitsdialog 2010/2011 zu geben. Sie rief die Bürger dazu auf, sich an der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie zu beteiligen. Dazu können ab sofort bis zum 14. November online Stellungnahmen zu den zwei Themenschwerpunkten Nachhaltiges Wirtschaften und Wasser abgegeben werden. Die Bürgerbeiträge fließen dann in den Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie ein.

Wenn es immer so partizipativ zuginge, dann hätten wir vermutlich längst schon keine Atomkraftwerke mehr.

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