Der Atmosphäre CO2 entziehen – das globale Potenzial von Technologien für negative Emissionen

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Foto: Jonas Weckschmied/ Unsplash

Niederländische Forscher haben berechnet, wie viel CO2 durch die Negativemissionstechnologie BECCS weltweit gebunden werden könnte  - und sind dabei auf erstaunliche Zahlen gekommen.

Autor*in Lena Strauß, 10.09.20

Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur gegenüber vorindustrieller Werte auf unter 2 Grad zu begrenzen. Im besseren Fall, sprich um die Auswirkungen des Klimawandels möglichst gering zu halten, sind es sogar nur 1,5 Grad.

Da die globale Erwärmung vor allem auf die menschenverursachte, kontinuierliche Anreicherung der Erdatmosphäre mit dem Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2) zurückgeht, gibt es generell zwei Möglichkeiten zur Eindämmung dieses Trends: Entweder wir reduzieren den CO2-Ausstoß aus den entsprechenden Emissionsquellen drastisch oder wir entfernen das klimaschädliche Gas aktiv aus der Atmosphäre. Dies gelingt mittels sogenannter Negativemissionstechnologien, die der Atmosphäre CO2 entziehen und in irgendeiner Form speichern. Nach Ansicht vieler Expert*innen sind sie mittlerweile unverzichtbar, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

BECCS als bedeutende Negativemissionstechnologie

Eine Vielzahl an Negativemissionstechnologien und -methoden sind bekannt, darunter biologische – zum Beispiel Aufforstung oder Bodenmanagement inklusive Pflanzenkohle zur Anwendung auf dem Boden -, aber auch geochemische Verfahren, wie die beschleunigte Verwitterung von Gestein oder Ozeandüngung. Zu den technischen Ansätzen zählen Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) sowie Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS), dem der Weltklimarat IPCC eine besondere Rolle zuspricht. Die beiden Methoden unterscheiden sich in der Art der CO2-Abscheidung. Während bei DACCS viel Energieaufwand nötig ist, um das Klimagas direkt aus der Atmosphäre zu binden, wird bei BECCS ( “Bioenergie mit CO2-Abscheidung und –Speicherung) Energie produziert. Hierfür wird Pflanzenbiomasse angebaut, die natürlicherweise CO2 anreichert, und anschließend in Anlagen verbrannt – der übliche Vorgang bei der Bioenergieerzeugung. Gleichzeitig wird das dabei entstehende CO2 allerdings geologisch gespeichert, was dem Speicherprinzip bei DACCS entspricht.

Forscher aus den Niederlanden haben nun erstmals in einer Studie berechnet, in welcher Größenordnung sich das globale Potenzial von BECCS bewegen könnte. Sie kamen zu dem Schluss, dass in einer Betrachtung bis zum Jahr 2100, neben einer Energiegewinnung von bis zu 220 Exajoule, eine Entnahme von bis zu 40 Gigatonnen CO2 pro Jahr theoretisch möglich wäre. Das ist eine beachtliche Menge! Zum Vergleich: 2019 wurden weltweit rund 580 Exajoule an Energie verbraucht und rund 33 Gigatonnen an CO2 ausgestoßen.

Wie kann das gelingen?

Die Studie, die kürzlich im Wissenschaftsjournal Nature Climate Change erschien, berechnet den Einfluss von Anpflanzungen von ertragreicher Lignocellulose-Biomasse. Speziell handelt es sich hier um schnellwüchsige Gräser (Chinaschilf und Rutenhirse) und Bäume (Weiden, Pappeln und Eukalyptus) sowie Zuckerrohr. Als Standorte wurden bestehende landwirtschaftliche Flächen, die für die Ernährungssicherheit von Bedeutung sind, nicht mit eingerechnet, sondern vielmehr natürliche Wälder und Wiesen. Auf degradiertem und ungenutztem Land würden die Energie- und Emissionswerte wiederum deutlich ungünstiger ausfallen. Grundsätzlich sind die besten Voraussetzungen in den subtropischen und warmen Klimazonen gegeben, da hier hohe Biomasseerträge zu erwarten sind und ohnehin keine großen Kohlenstoffbestände vorhanden sind, wie es etwa bei borealen und tropischen Wäldern der Fall ist.

Neben den Bedingungen des Anbauorts spielt nämlich auch die Ursprungsvegetation eine Rolle. Denn Emissionsraten im Rahmen von BECCS müssen nicht immer negativ sein. Anfangs muss der CO2-Ausstoß durch die entstandene Landnutzungsänderung sowie der Verlust durch die ausbleibende CO2-Speicherung der natürlichen Vegetation in der nachfolgenden Zeit überwunden werden. Über die Jahre geht man allerdings auch von einer steigenden Produktivität der Anbauflächen aus. Somit hängt das Ergebnis entscheidend von der Länge des betrachteten Zeitraums ab, in diesem Fall 80 Jahre. Ein weiterer Faktor ist der zu produzierende Energieträger – hier wurden Biostrom und flüssiger Biokraftstoff unter die Lupe genommen, wobei Letzterer aus emissionstechnischer Sicht weniger geeignet war.

Hoher Flächenverbrauch und wenig Biodiversität

Insgesamt scheint BECCS eine vielversprechende Technologie zu sein, die sich schnell umsetzen lässt und aufgrund jährlicher Erträge für eine stetige CO2-Abscheidung sorgt. Nichtsdestotrotz gibt es auch viele Nachteile. In dem niederländischen Artikel wird eine enorm große Verfügbarkeit von Flächen vorausgesetzt – mehr als Russland, China, Brasilien und die USA zusammen. Realistisch ist das wohl kaum. Wenn man sich lediglich die Energieproduktion anschaut, fällt diese pro Fläche zudem geringer aus als beispielsweise bei Solarzellen. Neben dem hohen Flächenverbrauch sind ein veränderter Wasser- und Nährstoffverbrauch durch den Biomasseanbau zu bedenken.

Ein großer Schwachpunkt ist außerdem, dass viele natürliche Habitate verloren gehen, wenn die natürliche Vegetation durch schnellwüchsige Gräser ersetzt wird. Angesichts des sowieso schon massiven Artensterbens ist das äußerst problematisch. Dazu kommt, dass in der Studie ausschließlich Monokulturen einbezogen werden, die bekanntermaßen arm an Biodiversität sind. Weiterhin muss ein Ort gefunden werden, an dem das klimaschädliche Gas gespeichert werden kann, was die häufig diskutierten Fragen der Implementierung und Kosten in der Vordergrund rückt. Damit birgt BECCS insgesamt immer noch viele Unsicherheiten, was die finanzielle Machbarkeit und Risiken betrifft.

Eines ist klar: Viel Zeit bleibt uns nicht. Je länger wir warten, desto unwahrscheinlicher wird es, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird. In vielen 1,5- oder 2-Grad-Ziel-Szenarien ist BECCS heute schon fester Bestandteil. Bisher gibt es allerdings weitestgehend nur Pilotprojekte. Eine frühe Umsetzung der Technologie ist aber sehr wichtig, da sie sich erst ab einem gewissen Zeitraum rechnet, wie die Studie zeigt. BECCS dort anzuwenden, wo ohnehin Bioenergie gewonnen wird, wäre sicherlich sinnvoll. Ein unbedachter Einsatz kann jedoch schwerwiegende Folgen haben. Letztlich wird die Realisierung von BECCS damit auch von den sozio-politischen Gegebenheiten abhängen. Hinreichende Untersuchungen sind daher nötig – und diese müssen zeitnah erfolgen.

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