Vor allem in den letzten zwei Jahren war viel Bewegung in der Sache: Die einen feiern die Blockchain und andere DLTs als ein bedeutendes Instrument, um unsere Gesellschaft offener und demokratischer zu gestalten; im Zusammenhang mit Kryptowährungen sogar als eine Möglichkeit, Banken ganz abzuschaffen. Gleichzeitig häufen sich kritische Stimmen und bewerten die Technologie als überschätzt und bemängeln u.a. den hohen Stromverbrauch der Blockchain. Die Wahrheit liegt, wie so oft, wohl in der Mitte.
Gibt die Blockchain der Sharing Economy Schubkraft?
Für den Einsatz in der Sharing-Economy war die Entwicklung der Ethereum-Blockchain von entscheidender Bedeutung. Die Smart Contracts ermöglichen es, bestimmte Regeln für Transaktionen zu definieren und so Abläufe zu automatisieren. Damit lässt sich beispielsweise festlegen, dass ein digitaler Wert nur für einen bestimmten Zweck ausgegeben werden darf oder dass eine Überweisung stattfindet, wenn eine bestimmte Leistung erbracht wurde. Die Ausführung dieser Smart Contracts erfolgt dabei auf den am Netzwerk beteiligten Rechnern und ermöglicht den Aufbau sogenannter DAOs (dezentrale autonome Organisationen). Das sind virtuelle Organisationen, die vollständig auf der Blockchain-Technologie basieren und eine globale Peer-to-Peer-Infrastruktur nutzen.
Während Airbnb, Uber und Co Unternehmen sind, die mit den erhobenen Gebühren nicht unerhebliche Einnahmen generieren, bieten die Blockchain und andere DLTs die gleiche Funktion, nämlich eine Tausch-Transaktion, aber für weniger Kosten und mit voller Transparenz. Die Regeln des Netzwerks können mit dieser Technologie nicht einfach durch die Eigentümer der Plattform überschrieben werden. Damit können DLTs in der Sharing-Economy den Verbrauchern zu größerer Autonomie und Selbstbestimmung verhelfen. Das Beispiel der Brooklyn Microgrid zeigt das deutlich.
Digitale Identitäten für eine Milliarde Menschen
Als Distributed-Ledger-Technologie ist die Blockchain nicht auf eine zentrale Einheit angewiesen, um Daten zu verarbeiten, zu speichern oder zu verifizieren. Das bedeutet, dass digitale Identitätsanwendungen, die auf dieser Technologie basieren, nicht von herkömmlichen Behörden wie Regierungen oder Banken abhängig sind. Für Menschen, die keine konventionellen Ausweisdokumente besitzen, wie sie von solchen Institutionen gefordert werden, eröffnet dies neue Möglichkeiten.
Es gibt mehrere Initiativen und Startups, die davon überzeugt sind, dass dieses benutzerzentrierte oder „selbstsouveräne“ Modell der digitalen Identität dazu beitragen könnte, das Leben der undokumentierten Menschen weltweit zu verbessern. Humaniq, Banqu und MONI sind nur einige Beispiele für Fintech-Organisationen, die mit Hilfe der Blockchain-Technologie den Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen ohne Bankkonto öffnen.
Auch das Unternehmen Aid:Tech oder das Building-Blocks-Programm von WFP verteilen digitale Identitäten an Geflüchtete und können so faire, effiziente und flexible finanzielle und soziale Hilfe an Einzelpersonen vergeben. Der dezentrale Charakter der Blockchain erschwert dabei eine Fehlverteilung der Mittel, sei es durch Misswirtschaft oder Korruption.
Auf der anderen Seite gibt es kritische Stimmen, die sagen, dass die Blockchain-Technologie einfach noch zu neu ist, als dass wir diese an schutzbedürftige Personengruppen „ausprobieren“ sollten. Es besteht außerdem die (berechtigte) Sorge, dass die Kombination digitaler Identitäten mit biometrischen Informationen in der Blockchain von Staaten und Unternehmen genutzt werden könnte, um das digitale Leben von Menschen auszuspionieren – und so sogar bestimmte Minderheiten gefährden könnte. Es gibt auch Kritiker, die die Blockchain im Bereich digitaler Identitäten als überflüssig bezeichnen und bestehende Technologien – wie z.B. zentralisierte Datenbanken – als perfekt funktionierende Lösung sehen, die zudem effizienter und besser skalierbar seien.
Darüber werden immer wichtige Fragen zu Sicherheit und Datenschutz aufgeworfen, wenn Anwendungen mit personenbezogenen Daten von Menschen agieren. Die einzelnen Anwendungen müssen sicherstellen, dass sie die sensiblen Daten ihrer Nutzer schützen – vor Diebstahl, Verlust, Missbrauch oder Zugriff durch Unbefugte. Außerdem zu beachten ist, dass der Wert einer benutzergesteuerten ID dadurch begrenzt wird, wie viele – oder eben wenige – Organisationen und Behörden zustimmen, diese zu akzeptieren. Wenn die Regierungsstellen, Unternehmen und Organisationen, von denen die Unterversorgten abhängen, nicht kooperieren, ist die Blockchain-basierte Identität nur wenig hilfreich.
Transparenz für Transaktionen und Lieferketten
Blockchains und DLTs könnten Bürokratien verschlanken, den Verwaltungsaufwand reduzieren und Prozesse effizienter gestalten. Zudem können sie dort Vertrauen schaffen, wo sonst eine Mittler-Institution zwischengeschaltet war: durch das Verifizieren von Identität, das Nachverfolgen von Objekten bzw. Assets und das Zertifizieren von Transaktionen. Für Hilfsorganisationen kann der Einsatz von Blockchain-basierten Lösungen ein Vorteil sein, da Spendengelder und Hilfsleistungen so transparent nachvollziehbar sind und Manipulationen verhindert werden.
Durch die Eliminierung von Manipulationsmöglichkeiten hat die Technologie auch in anderen Bereichen ein großes Potenzial, Korruption zu verhindern, beispielweise auch bei der Registrierung von Besitz bzw. der Vergabe von Land. Außerdem kann die Blockchain Transparenz in Lieferketten und Märkte bringen. Das zeigen u.a. die Lösungen von Provenance, Bext360 oder MineSpider.
Für all diese Bereiche braucht es jedoch Regulierungen und vor allem starke Akteure bzw. Institutionen, die bestimmte Regeln einhalten, damit die angestrebte Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Daten auch zustande kommt. Voraussetzung für den Erfolg von Blockchain-basierten Lösungen ist somit, dass bestehende Systeme bereits eine entsprechende Legitimität und Stärke besitzen – ein bloßes „Überstülpen“ der neuen Technologie dort, wo es keine Strukturen gibt oder Korruption herrscht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt.
Und die Ökobilanz der Blockchain?
Wenn es um Kritik an der Blockchain-Technologie geht, ist oft von dem massiven Strombedarf die Rede. Der Bitcoin-Blockchain wird ein Stromverbrauch angerechnet, der es mit dem von ganzen Staaten aufnehmen kann. Mehr als 73,1 Terawattstunden Strom werden beim Bitcoin-Handel im Jahr 2018 benötigt schätzt Digiconomist (Stand November 2018). Zum Vergleich: Dänemarks jährlicher Stromverbrauch beträgt etwa 33 Terawattstunden.
Der hohe Stromverbrauch kommt dadurch zustande, dass Computer, die am Bitcoin-Netz angeschlossen sind, eine identische Kopie der vollständigen Blockchain (Größe im November 2018: > 191 GB) speichern und in hohem Tempo sämtliche Transaktionen mittels eines Bitcoin-spezifischen, hochkomplexen mathematischen Rätsels (sog. „Proof of Work“ oder „Konsens“) validieren.
Doch eventuell finden sich Lösungen im Vorgang selbst: Die Community der Ethereum-Plattform hat z.B. einen neuen Mechanismus für die Validierung eingeführen, das sogenannte „Proof of Stake“. Im Gegensatz zum „Proof of Work“, bei dem alle Teilnehmer im Netzwerk die Blockchain unter Einsatz großer Rechenleistung absichern, werden beim „Proof of Stake“ Teilnehmer nach einem bestimmten Verfahren ausgewählt, die dann die Transaktionen validierten. In Zukunft werden im Bereich der Konsens-Mechanismen sicherlich noch weitere Entwicklungen zu erwarten sein, um Sicherheit und Nachhaltigkeit der Blockchain besser vereinbaren zu können.
Vielleicht können DLTs sogar im Bereich Klimaschutz eine Wirkung entfalten – ein gerade veröffentlichter Report von Climate KIC hat die Technologie diesbezüglich unter die Lupe genommen und wägt die Vor- und Nachteile ab.
Was können wir von der Blockchain in Zukunft erwarten?
Mit dem Aufkommen der Blockchain hieß es von vielen Seiten, die Technologie habe das Potenzial, die Welt grundlegend zu verändern und zu verbessern. Der Hype um Blockchains und DLTs ebbt bereits wieder etwas ab. Aber das ist durchaus positiv, denn nun können wir mit kühlem Kopf auf die Lösungsansätze schauen, die tatsächlich sinnvoll sind und ihnen die Zeit geben, die sie benötigen, um Wirkung zu entfalten.
Und wir sollten nicht vergessen, dass wir es mit einer noch sehr jungen Technologie zu tun haben: Dies sagt auch eine Studie der Technologiestiftung Berlin (pdf): „Obwohl Blockchain-Technologien längst der Grundlagenforschung entwachsen sind, gibt es dennoch in der angewandten Forschung erheblichen Forschungsbedarf, der sowohl durch Unternehmen als auch durch angewandte Forschung im öffentlichen Sektor bearbeitbar ist.“
Es ist gut möglich, dass DLTs in einem ganz anderen Bereich als den Kryptowährungen wesentlich größere Auswirkungen haben werden: Gerade in den Bereichen, die sich um Smart Contracts und dezentralisierte Organisation drehen, sehen wir ein enormes Potenzial. Denn hier geht es nicht darum, Daten zu verstecken oder zu horten, um die Wettbewerbschancen zu erhöhen, sondern um eine gemeinschaftliche Wirtschaftspraxis, in der Daten innerhalb eines Netzwerks mit gemeinsamen Zielen und Interessen für einen übergreifenden finanziellen und sozialen Nutzen geteilt werden.
Damit besitzen Blockchains und andere DLTs ein großes Potenzial, um Zugänge zu demokratisieren, die Sharing-Economy weiter voranzubringen, Verwaltung effizienter zu gestalten und Konsumenten zu empowern. Aber lassen wir der Technologie doch etwas Zeit. Dann wird sich zeigen, ob sie ausreichend skalierbar ist und die Vorteile überwiegen, um damit tatsächlich eine positive Wirkung erzielen zu können. Letztlich gilt für jede Technologie: Sie kann die Welt oder ihre Gesellschaft nicht per se besser machen – aber sie kann ein wirksamer Hebel sein, der uns hilft, die Rahmenbedingungen anders zu gestalten.
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Mitarbeit an diesem Beitrag: Marisa Pettit und Lydia Skrabania