Wir können es eigentlich nicht oft genug wiederholen: Egal ob als Rennrad, Hollandrad oder Lastenrad – Fahrräder sind die perfekten Fortbewegungsmittel in der Stadt; null CO2-Emissionen, kein Lärm und sowohl während der Fahrt als auch geparkt extrem platzsparend. Angesichts dessen können Städte, die in eine fahrradfreundliche Infrastruktur investieren, eigentlich nur profitieren – mindestens, wenn es darum geht, die Klimaziele zu erreichen. Doch bis auf wenige Ausnahmen ist das in den Köpfen derer, die städtische Infrastrukturen planen, noch nicht angekommen. Wie auch der vor wenigen Wochen erschienene Mobilitäts-Atlas der Böll-Stiftung belegt, ist der Großteil aller Städte immer noch „vom Auto her“ gedacht. In Berlin zum Beispiel werden aktuell 13 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Doch insgesamt stehen dem Radverkehr hier gerade einmal drei Prozent der Verkehrsflächen zur Verfügung. Autos hingegen dürfen über 39 Prozent der Verkehrsflächen rollen – bei einem Anteil von 30 Prozent aller Wege. Obendrauf kommen nochmals 19 Prozent Flächen in Form von Parkplätzen.
Städte wie Kopenhagen oder Wien, in den Fahrräder mittlerweile den Verkehr bestimmen, zeigen jedoch einen klaren Zusammenhang zwischen besseren und vor allem sichereren Radwegen und der Zahl der Radfahrenden – diese steigt nämlich, wenn das Angebot gut ist. Der erste Schritt von der Auto-dominierten zur fahrradfreundlichen und damit auch zukunftsfähigen Stadt ist ein Umdenken. Bei der Umsetzung bringen dann genauere Informationen Licht ins Dunkel; Daten über die Fortbewegungsmuster der Radfahrenden sind zum Beispiel hilfreich, um Radwege an den richtigen Stellen zu verbessern.
Diese Daten gibt es eigentlich schon, denn die meisten Bike-Sharing-Anbieter erheben Daten. Doch diese landen in den seltensten Fällen bei den Städten und Kommunen zur Verbesserung der Radwege, sondern werden zu Werbezwecken gehandelt.
Bike Citizens: Die Schnittstelle zwischen Radfahrenden und Städten
Bike Citizens bietet nicht nur eine Fahrrad-App, mit der du dein „360 Grad-Cabrio“ entspannt und sicher von A nach B navigieren kannst, sondern arbeitet auch zusammen mit Städten, Unternehmen und Organisationen an Softwarelösungen sowie Kommunikations- und Marketingkonzepten zur Förderung des Radverkehrs. Gegründet wurde Bike Citizens 2011 von den Fahrradkurieren Daniel Kofler und Andreas Stückl, mittlerweile gibt es zwei Standorte in Graz und Berlin und über 35 Mitarbeitende. Die App ist in mehr als 450 Städten in über 30 Ländern verfügbar.
Wir sprachen mit Elisabeth Felberbauer aus dem Bereich Digital Portfolio B2Gov und Produktmanagement bei Bike Citizens.
Auf eurer Webseite sagt ihr, dass Bike Citizens aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, Menschen die schönen Seiten des Radfahrens zu vermitteln. Welche sind das für euch? Und wie vermittelt ihr diese?
Für uns ist das Fahrrad das schönste und schnellste Fortbewegungsmittel in der Stadt. Es ist ein 360-Grad-Cabrio, dass einen die Umgebung hautnah miterleben lässt. Man kann direkt mit seinen Mitmenschen kommunizieren. Egal ob Sommer oder Winter, die Sonne kitzelt auf der Nase und wenn man im Büro ankommt, fühlt man sich frisch und munter.
Um dieses Erlebnis für alle zugänglich zu machen, haben wir eine fahrradfreundliche Navigation für die Stadt entwickelt. Die Bike-Citizens-App bringt Radfahrende – je nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen – entspannt und sicher über Radwege und verkehrsberuhigte Seitenstraßen ans Ziel. Vor allem Umsteigern und Neueinsteigern sowie Familien mit Kindern bietet die Navigation Orientierung und Sicherheit. Aber auch die erfahrensten Radfahrende sind immer wieder überrascht, welche neuen Wege sie durch die App kennenlernen.
Doch euch geht es ja auch noch um etwas anderes, nämlich darum, die Radinfrastruktur in Städten kontinuierlich zu verbessern. Wie wollt ihr das erreichen?
Im Laufe der Jahre hat sich um das Fahrrad-Navi ein ganzes Portfolio an digitalen Produkten und Kampagnen entwickelt. Diese unterstützen Städte dabei, den Radverkehr zu fördern und attraktiver zu gestalten. So können die von unseren Usern freiwillig aufgezeichneten und zur Verfügung gestellten Daten dabei helfen, den Radverkehr besser zu verstehen und auf Basis der Daten zu optimieren. Zur Analyse der GPS-Daten haben wir ein eigenes Analyse-Tool entwickelt, dass es so noch nicht auf dem Markt gab.
Wer Radverkehr attraktiver gestalten möchte, muss verstehen, was Radfahrende auf ihren täglichen Wegen behindert – das können plötzlich endende Radwege sein, Konflikte während der Fahrt, zu schmale Radwege, lange Wartezeiten, fehlende Infrastruktur oder Sichtblockaden, die die Sicherheit gefährden. Oft sind es auch diese Störfaktoren, die andere davon abhalten, überhaupt auf das Fahrrad zu steigen. Mit der PING if you care!-Kampagne ermöglichen wir Radfahrenden, gezielt Feedback an Städte zu geben. Dies erfolgt über einen Bluetooth-Button gekoppelt an die App. Die Ergebnisse können wiederum direkt im Analyse-Tool ausgewertet und der Stadt ein Maßnahmenkatalog vorgeschlagen werden.
Mit eurem Angebot richtet ihr euch ja auch an Kommunen, richtig? Welche Maßnahmen empfehlt ihr Städten, die wirklich fahrradfreundlich werden wollen? Was sind die wichtigsten Hebel für eine fahrradfreundliche Stadt und wie helft ihr dabei?
Politischer Wille und Mut zu Taten. Oft können bereits kleine Taten große Wirkung haben – einfach mal Farbe und Pinsel in die Hand nehmen und die Radwege farblich markieren. Damit wird der Raum klar gekennzeichnet und zudem wird sichtbar, wo Anschlüsse fehlen oder die Infrastruktur abrupt endet. Die Angst vor möglichen (negativen) Konsequenzen bei Pro-Fahrrad-Taten ist unbegründet – ein Blick nach Dänemark oder Holland reicht, um das zu verstehen.
Eine fahrradfreundliche Stadt bedeutet für uns, dass sich Familien mit Kindern genauso gut und sicher durch die Stadt bewegen können, wie etwa Fahrradboten. Klar ist auch, dass sich eine lückenlose Infrastruktur nicht von heute auf morgen baut. Hier hilft unsere Fahrrad-App die bereits bestehende, fahrradfreundliche Infrastruktur hervorzuheben und nutzbar zu machen. Die Informationen, die aus den aufgezeichneten Daten gewonnen werden, können wiederum einen wertvollen Beitrag für zielgerichtete Infrastrukturprojekte bieten. Aktuell arbeiten wir mit dem Land Steiermark an einer Radnetzstudie im Ballungsraum Graz (Steiermark/Österreich). Hierbei sollen mittels unserer Fahrraddaten die großen Fahrradkorridore für 2030 definiert werden. Das ist Radinfrastrukturplanung auf Basis von zukünftigen Bedürfnissen und Erwartungen. Es wird geschaut, wie das Netz aussehen muss, um eine Verdoppelung des Radverkehranteils (von 20 auf 40 Prozent) bis 2030 erfassen zu können. Ein sehr fortschrittlicher Ansatz.
Das Kartenmaterial der Bike Citizens Fahrrad-App basiert auf der OpenStreetMap, einer frei nutzbaren Geodatenbank. Warum habt ihr diese gewählt?
Hinter der OpenStreetMap steht eine Community, die gemeinsam an einer guten Kartenbasis arbeitet – und auch wir können mit unseren Informationen beitragen und diese wieder zurück an die Community geben. Unsere Entwickler legen großen Wert darauf, mit OpenSource zu arbeiten und Google und Co. so gut es geht zu vermeiden. Auch mit den Daten unserer User gehen wir sehr sensibel um, das Vertrauen der User ist uns sehr wichtig.
Ihr seid nicht nur im deutschsprachigen Raum aktiv, oder? Auf euer Webseite habe ich von einer Kampagne in Ungarn gelesen…?
Genau, wir sind zwar schwerpunktmäßig im DACH-Raum unterwegs, realisieren aber auch Projekte in ganz Europa. Gemeinsam mit unserem belgischen Projektpartner, Mobiel 21, haben wir die vorhin erwähnte PING if you care!-Kampagne beispielsweise in Brüssel, München und Amsterdam umgesetzt. In der Fahrradhauptstadt Europas eine Fahrradkampagne zu realisieren, erfüllt uns schon mit Stolz.
In Ungarn haben wir zum zweiten Mal in Folge die Bike2Work-Kampagne mit der Radlobby organisiert. Im Vergleich zu anderen Kampagnen zählen bei uns nur mit der App aufzeichnete Fahrten – Papierlisten und Sammelkilometer gibt es nicht. Die Radlobby hat vor Ort super die Werbetrommel gerührt – allein die Steigerung innerhalb der beiden Jahre war enorm – insbesondere in Budapest.