Besuch bei Topio: Marktstand für nachhaltige und Google-freie Handys

© RESET / Benjamin Lucks

Dein altes Smartphone hat mehr Potenzial als du denkst! Mit alternativen Betriebssystemen wird es schneller, sicherer und von Datenkraken befreit. Der Verein Topio hilft Interessierten bei der Umstellung.

Autor*in Benjamin Lucks, 26.12.24

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Eine lange Akkulaufzeit, bessere Kameras und genügend Leistung – laut Statistik sind das die drei Hauptgründe für den Kauf neuer Handys. Statt zu neuen Geräten zu greifen, kann man alte Handys aber auch von Grund auf erneuern. Das spart Ressourcen, Energie und bringt mit der richtigen Strategie Vorteile beim Datenschutz. Der Verein Topio hat hierfür einen Marktstand in Berlin eingerichtet. In der Arminius-Markthalle in Berlin-Moabit können Interessierte aufbereitete Smartphones ausprobieren. Im dazugehörigen Reparaturcafé kann man zudem alte Akkus oder kaputte Displays tauschen lassen. Und dabei sogar auf den Berliner Reparaturbonus zurückgreifen.

Den Fokus legt Topio aber auf die Installation alternativer Betriebssysteme wie Graphene, LineageOS oder /e/. Diese laufen auf älterer Hardware zumeist flüssiger und können die Lebensdauer von Handys deutlich verlängern. Gleichzeitig senden sie weitaus weniger Daten an Big-Tech-Unternehmen wie Google oder Apple.

Ich war vor Ort und habe mich mit Michael Wirths und Beatrijs Dikker, den Gründer:innen von Topio unterhalten.

Wie funktionieren alternative Betriebssysteme?

Siebzig Prozent aller Smartphones weltweit nutzen das Google-Betriebssystem Android. Ursprünglich wurde Android als freie Software entwickelt und erst 2005 von dem Software-Riesen aufgekauft. Ganz im Sinne des inzwischen überworfenen Google-Mottos „Don’t be evil“ ist Android noch immer eine freie Software. Sie kann daher von unabhängigen Entwickler:innen angepasst werden. Im Netz gibt es daher viele kostenlose Versionen von Android, auch „Custom-ROMs“ genannt.

Und was ist mit iPhones?

Apple nutzt auf seinen eigenen Smartphones das Betriebssystem iOS. Alternative Android-Betriebssysteme sind mit diesen Smartphone-Modellen nicht kompatibel.

Früher gab es die Möglichkeit, über sogenanntes „Jailbreaking“ weitere Funktionen freizuschalten. Aktuell gibt es leider keine Möglichkeit mehr, das Daten-Tracking abzuschalten.

Michael Wirths und Beatrijs Dikker äußerten im Gespräch zudem Zweifel am Sicherheits-Marketing von Apple. Ihrer Erfahrungen nach senden iPhones insbesondere durch das umfangreiche Tracking in installierten Apps viele Nutzungsdaten an unterschiedliche Hersteller, auch wenn Nutzer:innen das Tracking in den Möglichkeiten des Betriebssystems einschränken.

Aus einer nachhaltigen Betrachung fallen iPhones mit ihrem langen Software-Support positiv aus. Allerdings gibt es immer wieder Spekulationen darüber, dass Apple ältere Geräte bewusst ausbremst, um die Verkäufe neuer Modelle anzukurbeln.

Mit welchen Geräten diese Custom-ROMs kompatibel sind, lässt sich pauschal nicht sagen. Als Grundvoraussetzung müssen Handyhersteller erlauben, dass Nutzer:innen ihre Geräte „rooten“ dürfen. Beim Rooting erteilt man sich selbst die höchsten Nutzerrechte im Betriebssystem. Dadurch kann man stärker in das System eingreifen. Diese neuen Rechte erlauben es Nutzer:innen dann, den Bootloader des Handys zu entsperren. Der Bootloader ist eine Software-Komponente, die sich ein wenig mit dem Anlasser beim Auto vergleichen lässt. Er startet den eigentlichen Motor – in diesem Falle das Betriebssystem – und kann nach dem Freischalten auch einen anderen Motor starten, wenn man diesen einbaut.

© Quelle: RESET / Benjamin Lucks
Welche Geräte kompatibel sind, lässt sich am besten im persönlichen Gespräch am Stand von Topio in Berlin herausfinden.

Diesen recht technischen Prozess können Nutzer:innen selbst durchführen. Wer sich nicht traut, kann das Rooting aber auch am Marktstand von Topio durchführen lassen. Die Sicherheit des Smartphones beeinträchtige das laut Michael Wirths, Mitgründer und unser Gesprächspartner vor Ort, nicht. „Wir erleben das Gegenteil. Die Nutzung alternativer Betriebssysteme führt zu mehr Bewusstsein. 50 Prozent der Smartphones erhalten [seitens der Hersteller] ohnehin keine Sicherheitsupdates mehr“. Demnach bedeutet die Installation alternativer Betreibssysteme einen Zugewinn an Sicherheit. Ferner gebe es laut Wirths in alternativen App-Stores wie F-Droid keine Schad-Software – ganz anders also als im Google Play Store.

Die Auswahl an Apps in alternativen App-Stores ist im Vergleich zu Googles etwa 1,5 Millionen Apps umfassenden Software-Bibliothek jedoch eingeschränkt. Zudem sperren viele Bankinstitute oder Krankenkassen ihre Apps auf Geräten, bei denen sie das Rooting erkannt haben.

Custom-Roms verlängern Lebensdauer von Handys deutlich

Vor Ort bietet Topio eine Beratung sowie Installationshilfen zu den Betriebssystemen LineageOS, Graphene, CalyxOS, /e/OS und IodéOS an. Welche Software die richtige ist, hängt von den Bedürfnissen und von der Kompatibilität zu den jeweiligen Geräten ab. Michael Wirths beschreibt dabei einen Trend hin zu stärkeren Einschränkungen bei der Auswahl der Betriebssysteme. „Da Smartphones über immer mehr Funktionen verfügen, wird es auch immer komplizierter, ein Betriebssystem zu bauen. Der Hersteller Huawei hat seinen Bootloader inzwischen geschlossen – Xiaomi macht das schon teilweise.“ Ärgerlich sei das vor allem daher, da es gerade bei diesen Geräten sinnvoll wäre, auf ein alternatives Betriebssystem zu wechseln.

Der wachsende Elektroschrott-Müllberg

Die Menge an weggeworfenen Elektrogeräten steigt jedes Jahr an. Dabei sind neue Smartphones, Laptops, Kühlschraänke und Co. besonders ressourcenintensiv und aufwändig in ihrer Herstellung.

Die Lebenszeit von Elektrogeräten zu verlängern und ein konsequentes Recycling sind daher besonders wichtig.

Die Europäische Union versucht daher mit Richtlinien neue Anreize und Einschränkungen für Hersteller zu bewirken.

Mehr über die Art und Weise, wir wir mit Elektroschrott umgehen (sollten), gibt’s im verlinkten Artikel auf RESET!

Der Grund: Die Smartphones von Xiaomi oder Huawei kommen häufig mit vorinstallierten Apps, sogenannte Bloatware. Die Hersteller drücken dadurch ihre Preise über die Installation gesponserter Anwendungen, die Nutzer:innen nicht immer deinstallieren können. Gleichzeitig sind mit diesen Apps auch zusätzliche Datentracker auf den Geräten vorinstalliert. Das geht mitunter soweit, dass sich sogar Werbeeinblendungen in den Betriebssystemen vieler Handys finden.

Vorinstallierte Software, Werbeeinblendungen und Tracking-Dienste, wie sie in den meisten proprietären Android-Versionen zu finden sind, wirken sich natürlich nicht positiv auf die Leistung von Smartphones aus. Zudem steigt der Stromverbrauch mit jedem weiteren Tracker an. Dementsprechend geht mit der Installation alternativer Betriebssystems meist auch ein Zugewinn an Leistung einher. Das ist gerade bei älteren Modellen ein großer Vorteil.

© RESET / Benjamin Lucks

Die Erfahrung von Topio zeigt: Alte Smartphones funktionieren wunderbar, wenn man sie mit einer Custom-ROM ausstattet. Und da eben nicht alle Smartphones einen neuen Motor bekommen können, bietet der Verein am Standort in Berlin auch gebrauchte Geräte mit vorinstallierten freien Betriebssystemen an. Eine Modellliste gibt es im Internet.

„Big Tech ist ein Sicherheitsrisiko“

Alte Smartphones weiterzunutzen, ist aber nicht nur nachhaltiger. Beatrijs Dikker und Michael Wirths möchten mit ihrem Verein allen Menschen eine Alternative bieten, die die Nutzungsbedingungen von Big-Data-Unternehmen wie Google oder Apple nicht akzeptieren wollen

„Das Daten-Tracking kann man in diesen Betriebssystemen einfacher ausschalten“, erklärt Beatrijs Dikker und fasst das Verhältnis von Big-Data-Unternehmen und Kund:innen wie folgt zusammen. „Big Tech ist ein Sicherheitsrisiko“.

Auf ihrer Homepage verlinken Topio ein Paper von Amnesty International, das die Crux von modernene Großunternehmen wie Google, Meta und Amazon wie folgt beschreibt: Die Unternehmen „helfen der Welt dabei, sich zu vernetzen und bieten Milliarden Menschen essenzielle Dienstleistungen an. Um an der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft teilnehmen zukönnen und um ihre Grundrechte wahrnehmen zu können, benötigen Menschen einen Zugang zum Internet – und somit auch zu den Werkzeugen, die Google und Facebook bereitstellen. […] Die Geschäftsmodelle der Unternehmen, die auf Überwachung basieren, sind in ihrer Grundlage jedoch nicht vereinbar mit dem Recht auf Privatsphäre und stellen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, die Freiheit, sich auszudrücken“ und weitere Grundrechte dar.

© RESET / Benjamin Lucks
Beatrijs Dikker und Michael Wirths haben Topio im Jahr 2016 gegründet.

Wie wichtig eine digitale Selbstbestimmung und der Schutz der eigenen Daten sind, stellt Topio mit ihrem Marktstand zwischen Restaurants, Obstständen und Cafés aus. Damit rückt der Verein das Thema stärker in den Alltag von vielen Menschen, die sich privat womöglich eher weniger dafür interessieren. Mit dieser Strategie ist Topio in Deutschland einzigartig. Gleichzeitig zeigen sie vor Ort, wie alltagstauglich gebrauchte Smartphones und Alternativen zu Google, Meta und Co. sind.

Neben dem Stand in der Arminius-Markthalle besucht das Team von Topio Wochenmärkte mit einem portablen Marktstand. Mit diesem weisen sie auf Alternativen zu Apps wie Instagram, WhatsApp oder TikTok hin. Wer sich zudem vom Sofa aus informieren möchte, der findet auf der Homepage von Topio weitere Infos und lesenswerte Quellen zu allen genannten Themen.

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