Der Verkehrssektor ist für fast 30 Prozent der CO2-Emissionen in der EU verantwortlich. 72 Prozent davon entfallen auf den Straßenverkehr. Um die Erderwärmung zu stoppen und die Pariser Klimaziele einzuhalten, müssen diese Emissionen jedoch deutlich reduziert werden. Besonders in ländlichen Regionen oder bei größeren Transporten ist das Auto jedoch immer noch praktischer und günstiger als der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. Wie kann man das Autofahren also dort, wo es kaum Alternativen gibt, klimaschonender gestalten?
Das bayrische Startup „Gemeinsam ans Ziel“ hat eine App namens „Tramling“ entwickelt, mit der Autofahrer*innen ihre Fahrten zukünftig neutralisieren können. Der Unternehmer Jörg Überla hat die App Ende 2019 ins Leben gerufen: „Der Auslöser war ganz einfach: Ich möchte etwas gegen den Klimanotstand tun und die Politik handelt mir zu langsam.“ Denn auch wenn es schon Vorschläge gibt, wie man den CO2-Ausstoß im Straßenverkehr mittels eines CO2-Preises unattraktiver macht, scheint die Umsetzung solcher Pläne noch in weiter Ferne zu sein. Mit der Tramling-App sollte ursprünglich eine Alternative zu Anbietern wie blablacar geschaffen werden, doch dann kam die Corona-Pandemie und an gemeinsame Autofahrten mit verschiedenen Menschen war erstmal nicht mehr zu denken – und das Team hinter dem Startup schwenkte um auf die Neutralisierung von Autofahrten.
Emissionshandel der EU

Bei Tramling einzusteigen ist schnell erledigt: Einfach die App herunterladen und sobald diese installiert ist, wird die Anzahl der gefahrenen Kilometer per GPS dokumentiert. Je nach Autotyp berechnet die App dann den jeweiligen CO2-Ausstoß. Pro 1000 gefahrenen Kilometern rechnet die App etwa 10 Euro ab. Elektroautos, die mit Ökostrom fahren, kommen natürlich deutlich besser weg; die App berechnet den Stromschluckern nur ein Zwanzigstel der Beträge von Verbrennungsmotor.
Von den 10 Euro wird ein Grundbetrag (1,20 Euro plus Umsatzsteuer) für die Weiterentwicklung der App genutzt, ein weiterer Teil des Geldes fließt in lokale Klimaschutzprojekte in Deutschland. Für den größten Teil des Betrags werden jedoch EU-Emissionsrechte gekauft.
Der Handel mit Emissionsrechten ist seit 2005 eines der zentralen Instrument der Europäischen Union, mit dem die Emissionen reduziert und so das Klima geschützt werden soll. Dazu wird jedes Jahr eine bestimmte Anzahl an Emissionsrechten auf den Markt gebracht, die frei gehandelt werden können. Aktuell liegt der Preis für eine Tonne CO2 bei etwa 45 Euro. Europaweit sind etwa 11.000 Anlagen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie, die zusammen etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen verursachen, dazu verpflichtet, eine von der EU festgelegte, Obergrenze („CAP“) an ausgestoßenem Treibhausgas einzuhalten – und für jede in die Atmosphäre gepustete Tonne CO2 muss ein Emissionsrecht gekauft werden.
Um Anreize zu schaffen, damit Unternehmen auf eine klimaschonendere Produktion umstellen, wird die Anzahl der Berechtigungen jedes Jahr um 38 Millionen reduziert. Nach dem Angebots-Nachfrage-Prinzip steigen somit auch die Preise der Berechtigungen. In der dritten Handelsperiode des Emissionshandels (2013 bis 2020) wurde eine europaweite Emissionsobergrenze von insgesamt 15,6 Milliarden Emissionsberechtigungen festgelegt.
Berechtigungen aufkaufen und damit stilllegen
Mit der Tramling-App sollen Autofahrer*innen dazu beitragen können, dass die auf dem Markt verfügbaren Emissionsrechte weniger werden, die Berechtigungen werden aus dem Verkehr gezogen. Je nachdem, wie viele Menschen die App nutzen und wie viele Kilometer gefahren werden, desto mehr EU-Emissionsrechte kauft das Startup. „Dadurch kann diese Tonne an CO2 nicht von jemand anders ausgestoßen werden“, so Überla. Bis Mitte April diesen Jahrs wurden insgesamt 12 Zertifikate (für je eine Tonne CO2) gekauft. Davon wurde der Großteil jedoch nicht gefahren, sondern von Unterstützer*innen finanziert und so ermöglicht, dass die Nutzer*innen der App die ersten 10 Fahrten, bzw. maximal 500 Kilometer kostenlos fahren.
Im Verhältnis zu der Gesamtanzahl der verfügbaren Berechtigungen sind 12 Tonnen stillgelegtes CO2 natürlich erstmal sehr wenig. Nach dem Prinzip „Besser etwas Kleines als gar nichts tun“ ist Überla jedoch optimistisch: „Egal, ob wir jetzt 0,01 oder 1 Prozent von diesen Rechten kaufen – jede Tonne, die wir mit dieser Methode kaufen, wird woanders nicht ausgestoßen.“ Langfristig hofft er, dass das Startup eine große Menge an „kritischen Fahrern“, wie er sie nennt, gewinnt und damit einen größeren Einfluss auf die Anzahl der verfügbaren Emissionsrecht hat. „Langfristig gesehen wollen wir dazu kommen, dass in bestimmten Regionen hoffentlich 10 bis 20 Prozent der autofahrenden Leute unsere App laufen haben.“
Die App Tramling ist nicht der der einzige Ansatz dieser Art. Auch ForTomorrow kauft CO2-Zertifikate auf, damit sie der Industrie nicht mehr zu Verfügung stehen. Finanziert wird der Kauf der Zertifikate von den ForTomorrow-Nutzer*innen. Damit gleicht ForTomorrow nicht nur die Emissionen seiner Nutzer*innen aus, sondern investiert auch in das Pflanzen von Bäumen.