Bei dem Stichwort „Entwaldung“ drängen sich uns meist Bilder von großflächiger Abholzung, Waldbränden oder der Rodung von Land für Plantagen auf. Die Abholzung ist jedoch nicht nur ein Problem auf dem Land. Auch Seetang- und Seegraswälder sind durch den Klimawandel und menschliche Aktivitäten bedroht.
Die in Portugal ansässige NGO SeaForester will mehr Aufmerksamkeit auf die „vergessenen Wälder“ lenken und entwickelt innovative Methoden, um verschwundene Unterwasservegetationen wieder wachsen zu lassen.
Natürlich ist die Aussaat neuer „Wälder“ unter Wasser mit größeren Herausforderungen verbunden als die Wiederansiedlung von Pflanzen und Bäumen an Land. Für SeaForester ist es wichtig, dass ihre Methoden kostengünstig, skalierbar und weltweit leicht reproduzierbar sind. Aus diesem Grund hat SeaForester den Ansatz „Blue Front Yard“ entwickelt, der darauf abzielt, unsere Küstengebiete zu überdenken und sie ähnlich zu betrachten wie Parks, Wäldern und Grünflächen an Land.
Die Kernlösung von SeaForester besteht aus kleinen Steinen, die mit Algensporen getränkt wurden. Diese Steine werden in speziell angelegten Aufzuchtstationen gepflegt, bevor sie von Booten aus in Küstengebieten ausgestreut werden. Sobald sich die Algen auf dem Meeresboden angesiedelt haben, sollten sie Wurzeln schlagen und wieder Unterwasserwälder wachsen.
Ein großer Vorteil dieses Konzepts ist die Leichtigkeit, mit der die Aufforstung durchgeführt werden kann. Weder Spezialausrüstung noch Taucher*innen oder Unterwasserinfrastruktur sind erforderlich. Stattdessen können die Steine einfach von Booten abgeworfen werden. Die Rohstoffe für diesen Ansatz sind außerdem günstig und leicht verfügbar.
Meereswälder als CO2-Senken
Meereswälder spielen nicht nur für die Gesundheit der Ökosysteme unter Wasser, sondern auch im Hinblick auf den Klimawandel eine wichtige Rolle. Meeresalgen können bis zu fünfmal mehr Kohlenstoff binden als tropische Regenwälder und dank ihrer schnellen Photosynthese wachsen sie wesentlich schneller. Außerdem können sie die Versauerung der Meere verringern, unerwünschte Nährstoffe aus dem Wasser filtern und Sauerstoff liefern. Und indem sie Nahrung, Verstecke und Kinderstuben bieten, sind die Seegras- und Seetangwälder wichtige Lebensräume für Fische und andere Meeresbewohner.
Die Unterwasser-Wälder sind jedoch stark bedroht; weltweit ist in den letzten fünfzig Jahren fast die Hälfte verschwunden. Einige Gebiete sind davon besonders betroffen. In Nordkalifornien und Tasmanien sind die Bestände um 95 Prozent zurückgegangen, in Norwegen um 80 Prozent. Die Erwärmung der Ozeane ist zum großen Teil dafür verantwortlich, da sie die Ausbreitung von Krankheiten ermöglicht, aber auch die Zahl der Raubtiere verringert, die die Weidetiere auf einem überschaubaren Niveau halten. An der kalifornischen Küste beispielsweise hat der Rückgang des Sonnenblumenseesterns zu einer explosionsartigen Vermehrung der violetten Seeigelpopulation geführt, was eine Überweidung zur Folge hat.
Es gibt aber auch Orte, wie zum Beispiel vor der Küste von Vancouver, an denen die Seetangwälder sogar zugenommen haben. Dies ist auf die Aktivitäten der Seeigel fressenden Seeotter zurückzuführen, die sich von der zunehmenden Seeigelpopulation ernähren.
Die Bedeutung von Seetang als Konsumgut – er wird in allen Bereichen von der Lebensmittelproduktion über Kosmetika bis hin zu Biokraftstoffen und Düngemitteln verwendet – hat zu einer Zunahme künstlicher Seetangfarmen geführt, von denen einige speziell zur Bekämpfung des Klimawandels konzipiert wurden. Einem kürzlich erschienenen Bericht zufolge könnten Algenfarmen entscheidend dazu beitragen, Nährstoffe und landwirtschaftliche Abwässer herauszufiltern, die zu riesigen Algenblüten führen und den Gebieten den Sauerstoff entziehen.
Derzeit führt SeaForester eine Reihe von Forschungs- und Aufforstungsprojekten entlang der portugiesischen Küste, aber auch in Norwegen und Australien durch. Das Projekt wurde kürzlich als Finalist für den Earthshot Prize 2022 ausgewählt, einen führenden Umweltpreis, der 2020 vom britischen Prinz William ins Leben gerufen wurde.