Alt wird neu: Wie Concular zirkuläres Bauen digitalisieren will

Ein Gebäuderessourcenpass, ein neuer DIN-Standard und ein Onlineshop für gebrauchte Baumaterialien - das Unternehmen Concular versucht, zirkuläres Bauen mit digitalen Lösungen zu modernisieren. Denn das ist nicht nur günstiger, sondern auch deutlich nachhaltiger.

Autor*in Benjamin Lucks, 18.10.23

Übersetzung Christian Nathler:

Gebrauchte Türen, Waschbecken und ganze Wände – Gebäude, die kurz vor dem Abriss stehen, beherbergen etliche Ressourcen, die sich in Neubauten wiederverwenden lassen. Allerdings entscheiden sich Bauunternehmen und Privatpersonen beim Bauen in der Regel für neue Materialien. Das Potenzial der gebrauchten Ressourcen geht dabei verloren und sie landen auf der Müllhalde.

Das Ergebnis ist ein besonders ressourcenintensiver Bausektor, der deutschlandweit für etwa die Hälfte des nationalen Abfallaufkommens verantwortlich ist. Zu einer erfolgreichen Gebäudewende gehört jedoch nicht nur die Planung moderner, klimaneutraler Gebäude, sondern auch eine effiziente Kreislaufwirtschaft in der Baubranche.

Sogenanntes Urban Mining, also die Wiederverwendung genutzter Baumaterialien, ist eine Möglichkeit, neue Gebäude nachhaltiger zu bauen. Das Ziel ist dabei, bereits genutzte Ressourcen nicht einfach abzureißen, sondern zurückzubauen und in neuen Gebäuden, Brücken oder Straßen wiederzuverwenden. In Deutschland gelten zudem seit dem 1. August 2023 erstmals bundesweite Vorgaben der Ersatzbaustoffverordnung für die Verwertung mineralische Abfälle.

Das Bauteilnetz Deutschland führt eine Datenbank zu regionalen Bauteilbörsen. Und das Berliner Unternehmen Concular startete bereits vor einigen Jahren unter dem Namen „Restado“ einen Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe. Inzwischen arbeitet Concular aber vermehrt an digitalen Lösungen, um das zirkuläre Bauen in Deutschland voranzubringen.

Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe

Den Onlineshop für wiederverwendbare Materialien führt Concular aber noch immer. Im Materialshop sehen Kund*Innen alle aktuellen zirkulären Projekte, darunter Bürogebäude, Ämter, aber auch Schwimmbäder und Einzelposten. Für jedes dieser Objekte führt Concular ein Inventar an Materialien, die für neue Gebäude verwendbar sind.

Der Einkauf funktioniert im Grunde wie in jedem herkömmlichen Onlineshop. Die inserierten Baumaterialien werden bebildert angeboten, inklusive Maßen und Angaben zur Montageart. Obwohl es sich dabei jeweils um gebrauchte Produkte handelt, bietet Concular „wie alle anderen Händler*innen eine einjährige Gewährleistung auf die Bauteile“. Darüber hinaus „kooperiere man mit Herstellern und Aufbereitern, die die Materialien prüfen und gegebenenfalls ausbessern“.

Ein deutlicher Unterschied zu herkömmlichen Onlineshops ist die Verfügbarkeit der Artikel. Anstelle von Lieferzeiten oder einer sofortigen Verfügbarkeit werden im Materialshop meist nur Zeiträume zur Abholung angezeigt, welche sich am Rückbauplan der Altbestände orientieren.

© Concular

Dabei sehen wir die erste große Hürde des zirkulären Rückbaus, welche es in Zukunft zu überwinden gilt: Die Verfügbarkeit der wiederverwendbaren Materialien ist deutlich unflexibler als die von neuen Materialien. Bei der Planung von Projekten muss das mitgedacht werden und Bauunternehmen müssen ihre Pläne daraufhin anpassen. Und das kann sich mitunter stark auf die Effizienz und somit auch auf die Kosten beim Bau neuer Gebäude auswirken.

Concular versucht dieses Problem einerseits durch Zwischenlager auszugleichen, etwa dem Urban Mining Hub in Berlin. Hier werden wiederverwendbare Materialien gelagert, wodurch sie jederzeit zur Abholung bereitstehen. Zum Standort in Berlin sollen zukünftig weitere Lager in anderen Großstädten dazukommen. Gleichzeitig versucht Concular, die Umverteilung zirkulärer Materialien mithilfe digitaler Lösungen zu vereinfachen.

Digitaler Ressourcenpass für neue und alte Gebäude

Eine dieser Lösungen ist der digitale Gebäuderessourcenpass, der sich „sowohl für Neubauten als auch für Bestandsbauten gleichermaßen empfiehlt“. Gebäude erhalten dabei ein Profil, in welchem „die verbauten Bauteile und deren CO2 Bilanz“ festgehalten werden. Bei einem späteren Rückbau ist es dann deutlich einfacher, verwendbare Materialien zu inventarisieren. Gleichzeitig schafft der Ressourcenpass Anreize dazu, beim Neubau verstärkt auf zirkuläre Bauteile zu setzen.

Wiederverwendbare Ressourcen in bestehenden Gebäuden überprüft Concular zudem in Form von Circularity-Checks. Bei diesen begehen Mitarbeiter*innen Altbestände und tragen Bauteile, die potenziell weiterverwendbar sind, in ein Computersystem ein. Per Smartphone werden direkt Bilder für die spätere Inventarisierung gesammelt und Schwachstellen festgehalten. Zusammen mit Expert*innen gewährleistet Concular hierbei bereits die Qualität der Baumaterialien. Denn: „Es gelangen nur Materialien in den Verkauf, die schadstofffrei sind, zerstörungsfrei ausbaubar und marktgängig.“

© Concular

Was Concular aktuell bereits mit einem eigenen Team macht, möchte das Unternehmen zukünftig größer skalieren. Denn im Materialshop von Concular finden sich aktuell lediglich 10 Projekte und zwei Zwischenlager. Um die Erstellung digitaler Ressourcenpässe und Circularity-Checks voranzutreiben, hat Concular daher die Entwicklung eines Standards für die Bestandserfassungen geleitet.

Neuer Standard in Zusammenarbeit mit Unis und Verbänden

Der DIN SPEC 91484 ist seit September 2023 öffentlich und wurde in Zusammenarbeit mit 30 führenden Universitäten, Verbänden und Unternehmen aus der Immobilien- und Baubranche entwickelt. Der Standard beschreibt ein Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotenzials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten. Gleichzeitig stellt der Standard einen Leitfaden zur Erstellung von sogenannten Pre-Demolition-Audits zur Verfügung.

Gebäude sind ein CO2-Schwergewicht: Das Bauen, Wärmen, Kühlen und Entsorgen unserer Häuser hat einen Anteil von rund 40 Prozent an den CO2-Emissionen Deutschlands. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn diese Emissionen massiv gesenkt werden.

Wie aber gelingt die nachhaltige Transformation der Gebäude und welche Rolle spielen digitale Lösungen dabei? Das RESET-Greenbook gibt Antworten: Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren

Unternehmen aus der Immobilienbranche können Bestände, die vor dem Abriss stehen, also eigenständig auf ihr Potenzial für einen zirkularen Rückbau überprüfen. Gleichzeitig haben mehr Unternehmen die Möglichkeit, sich auf derartige Überprüfungen zu spezialisieren. Das Arbeitsfeld des zirkulären Rückbaus gewinnt durch diese Standardisierung eine wichtige Voraussetzung dazu, um weiter wachsen zu können.

Da der DIN SPEC 91484 auch einheitliche Datenformate anstrebt, sind die gewonnenen Informationen zudem mit anderen Formaten und Systemen kompatibel. Orientieren sich also immer mehr Unternehmen an den neuen Standards, ließe sich zukünftig eine gemeinsame Datenbank erstellen.

Denn: Um eine erfolgreiche Gebäudewende zu realisieren, ist die Zusammenführung aller relevanten Informationen zu Materialien und Baukonstruktion besonders wichtig. Darauf wies auch Rita Streblow von der TU Berlin im Interview mit RESET hin. Dass wiederverwendete Materialien nachhaltiger und kosteneffizienter sind, ist schon jetzt klar. Allerdings ist deren Beschaffung aktuell noch zu aufwendig und damit für viele Bauprojekte noch nicht wirklich attraktiv.

Damit Standards wie der DIN SPEC 91484 und digitale Systeme zur Beschaffung wiederverwendbarer Ressourcen wirklich funktionieren, müssen neue Gebäude zudem von Anfang an mit dem zirkulären Rückbau im Hinterkopf entworfen werden. Um genau das voranzutreiben, führte die Stadt Berlin im Jahr 2022 bereits eine Vorschrift ein, die einen späteren zirkulären Rückbau bei öffentlichen Gebäuden verpflichtend macht. Zukünftig soll ein ähnlicher Ansatz auch für private Bauvorhaben folgen.

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Dieser Artikel gehört zum Dossier „Gebäudewende – Häuser und Quartiere intelligent transformieren“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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