Der Brandenburger Scharmützelsee liegt nur etwa 50 Minuten außerhalb von Berlin und ist ein beliebtes Erholungsziel – vor allem im Sommer. Seit einigen Wochen teilen sich Besucher:innen den See mit einem gelb leuchtenden Dauergast: Am 22. Juli 2025 wurde eine 200 Kilogramm schwere Messboje im See installiert. Diese überwacht mithilfe von Satellitendaten im Rahmen des Projektes „Algenmonitor“ Wasserqualität und Algenwachstum. Die Boje bestimmt tagesaktuell möglichst präzise die Algenkonzentration im See, damit bei Auffälligkeiten frühzeitig gegengesteuert werden kann.
Bedeutung und Potenzial von Algen
Algen sind ein natürlicher Bestandteil von Gewässern und übernehmen wichtige ökologische Funktionen. Sie senken den Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre, indem sie große Mengen davon aufnehmen und weiterverarbeiten. Sie produzieren Sauerstoff und stellen Nahrung für andere Organismen bereit. Die Omega-3-Fettsäuren, die wir über Fischkonsum zu uns nehmen, stammen ursprünglich aus Algen. Daneben liefern Algen Proteine, Ballaststoffe, Eisen und Vitamine.Täglich konsumieren wir – oft unbewusst – Algenprodukte: Verarbeitete Algen sorgen in Form von „Alginat“, „Agar-Agar“ und „Carrageen“ zum Beispiel in Süßigkeiten und Zahnpasta für Festigkeit und Stabilität.
Damit ist das Potential von Algen aber längst noch nicht ausgeschöpft. Die EU Kommission sieht Algen als ein „nachhaltiges Mittel zur Herstellung einer nahezu unendlichen Vielzahl wertvoller Produkte“ – darunter Lebensmittel, Pharmazeutika, Kunststoffe, Düngemittel und Biokraftstoffe. Das Bremer Unternehmen Phytolutions setzt beispielsweise auf Algen als Kerosin-Alternative und ist überzeugt, dass Flugzeuge in der Zukunft mit „Algen-Sprit“ betrieben werden könnten. Auch RESET hat bereits über die vielfältigen Einsatz- und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten von Algen berichtet – neben der Biospritproduktion zum Beispiel über ihre Verwendung in Kleidung, im 3D-Druck, in Rechenzentren, in Verpackungsmaterial und in der Baubranche.
Funktionen von Algen im Überblick
- Sauerstoffquelle: Rund 50 % des weltweiten Sauerstoffs stammen aus der Photosynthese von Algen.
- Kohlenstoffsenke: Algen binden enorme Mengen an CO2 und wirken so als „Treibhausgas-Bremse“.
- Basis der Nahrungskette: Sie sind die wichtigste Nahrungsquelle für viele Meerestiere.
- Vielfältige Nutzung: In Lebensmitteln, Kosmetik und Pharmazeutika dienen Algen als Verdickungs- und Stabilisierungsstoffe.
- Nachhaltige Ressource: Algen wachsen schnell und brauchen keine Ackerflächen. Viele Algenarten wachsen im Meer und brauchen dadurch auch kein Süßwasser. Süßwasseralgen benötigen zwar Wasser, verbrauchen aber deutlich weniger als Landpflanzen.
Wann Algen zum Risiko werden
Unter bestimmten Bedingungen können Algen sich jedoch zu stark vermehren und zum Gesundheitsrisiko für Menschen und Tiere werden. „Eine stärkere Sonneneinstrahlung, höhere Temperaturen und heftigere Niederschläge ermöglichen es dieser Spezies, sich auf eine Art auszubreiten, die nicht sehr vorteilhaft ist. Der Klimawandel trägt heute dazu bei, dass sich die Algen rasch vermehren und auch dort wachsen, wo es sie früher nicht gab“, sagt Fabrice Pernet, Forscher am Institut für Meeresbiologie, Ifremer.
Hauptgrund für die rasante Vermehrung der Algen ist neben steigenden Wassertemperaturen häufig eine erhöhte Schadstoffbelastung der Gewässer, zum Beispiel durch Nitrat und Phosphate aus Abwässern oder Düngemitteln. Normalerweise kommen diese Stoffe in geringen Mengen natürlich im Wasser vor und sind wichtig für das Wachstum von Algen und Wasserpflanzen. Wenn die Konzentration aber zu hoch wird, spricht man von einer Überdüngung oder Eutrophierung. Sie bringt das Gleichgewicht der Gewässer durcheinander. Als Folge wachsen Algen unkontrolliert und können Giftstoffe freisetzen.
Im August 2022 hat dies zu einem Massensterben von Fischen in der Oder geführt. Ursächlich war damals ein hoher Salzgehalt im Wasser, der das massive Wachstum der Brackwasseralge „Prymnesium parvum“ nach Aussage des Bundesumweltministeriums begünstigt hat. Diese Alge setzt giftige Substanzen frei, die für Fische und andere Wasserorganismen tödlich sind. Nach Schätzungen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) sind bei dieser Umweltkatastrophe ca. 1.000 Tonnen Fisch verendet.
Ein aktuelles Beispiel für die Folgen der „Algenpest“ ist die Bretagne. Hier vermehren sich derzeit massiv Grünalgen und bedrohen die Austernzucht. Und in Niedersachen breitet sich momentan die Blaualge aus, weshalb an vielen Seen Badeverbote und Warnungen ausgesprochen wurden.
Ganzheitliches Monitoring durch Satellitendaten, Messbojen und KI
Seit der Katastrophe in der Oder wird bundesweit eine bessere Überwachung des Algenwachstums in Gewässern und Flüssen gefordert. Da die Wachstumsprozesse von Algen oft schnell und großflächig ablaufen, reichen klassische Monitoringstrategien vielerorts nicht aus. Daher setzt man zunehmend auf digital gestützte Gewässerfernerkundung unter Nutzung von Echtzeitdaten.
Die technische Basis für die Überwachung des Algenwachstums in Gewässern und Flüssen bietet das EU-Programm „Copernicus“. Dieses von der Europäischen Kommission koordinierte Programm sammelt durch satellitengestützte Erdbeobachtung riesige Datenmengen. Die Gewässerfernerkundung wiederum stützt sich auf diese Daten, um Gebiete mit hoher Algenkonzentration zu identifizieren.
Algenblüten heben sich durch die Konzentration der Blattfarbstoffs Chlorophyll in Satellitenaufnahmen deutlich hervor. Basierend auf den von Satelliten bereitgestellten Farbindikationen errechnen Institutionen wie die Europäische Raumfahrtbehörde mithilfe von Algorithmen und KI Algenindikatoren, um den Chlorophyllgehalt im Wasser zu messen und die Algenkonzentration zu ermitteln.
An einigen Orten, darunter neben dem Scharmützelsee auch der Arendsee in Sachsen-Anhalt und das Steinhuder Meer in Niedersachen, werden diese Satellitendaten durch den Einsatz lokaler Messbojen ergänzt, wie auch beim „Algenmonitor“. Initiiert wird das Projekt von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und dem Umweltbundesamt. Die Messboje im Scharmützelsee misst neben Wassertemperatur, Leitfähigkeit, pH-Wert, Sauerstoff und Algenmenge auch meteorologische Daten wie Wind, Lufttemperatur und Sonneneinstrahlung. Alle 15 Minuten werden Sauerstoff- und Chlorophyll-Konzentration im Wasser ermittelt. Durch die Kombination aus tagesaktuellen Satelliten- und Messdaten lassen sich Wasserqualität und Algenwachstum kontinuierlich und umfassend überwachen. Der Scharmützelsee wurde als einer der Standorte für eine Messboje ausgewählt, weil eine dort angesiedelte Forschungsstation der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) bereits seit 30 Jahren Daten über den See sammelt. Diese fließen zusammen mit aktuellen Daten in das Projekt „Algenmonitor“ ein.
Gewässerschutz braucht ganzheitlichen Klimaschutz
Die Messboje im Scharmützelsee, deren Konstruktion vier Jahre gedauert hat, soll bis 2027 eingesetzt werden. Ziel des Teams um Karsten Rinke vom UFZ ist es, aus der kontinuierlichen Datenerhebung und -analyse zu lernen, welche Chlorophyll-Werte zu welchen Satellitenbildern passen. Die eingesetzten Systeme sollen so trainiert werden, dass dieses Wissen auf andere Gewässer übertragbar ist und bei deren Schutz unterstützen kann. Rinke ist zuversichtlich, dass die Kombination aus Satelliten und lokalen Messungen als effektives Frühwarnsystem im Fluss- und Gewässerschutz wirkt. Gleichzeitig warnt Rinke aber vor den erheblichen Auswirkungen des Klimawandels. „Wir haben in der Landwirtschaft Dinge verändert und wir haben unsere Abwasserreinigung verbessert. Doch viele von den positiven Effekten, die wir dadurch erreicht haben, werden im Moment wieder zunichte gemacht. Durch den Klimawandel stehen wir im Grunde wieder am Anfang. Es wird darauf hinauslaufen, dass wir mit der Nährstoffbelastung noch deutlich weiter nach unten gehen müssen, als wir das immer geglaubt haben.“
Das Projekt am Scharmützelsee verdeutlicht das Potenzial von smartem, datenbasierten Monitoring ökologischer Veränderungen. Die Kombination aus Satellitenbildern, lokalen Messungen und KI-gestützter Datenanalyse eröffnet neue Möglichkeiten, Entwicklungen in Ökosystemen frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. Gleichzeitig muss sich der Gewässerschutz laufend an die Herausforderungen des fortschreitenden Klimawandels anpassen, wie auch Rinke betont. Umso wichtiger bleibt es, dessen Ursachen ganzheitlich einzudämmen, um unsere Flüsse und Gewässer langfristig zu bewahren.


