Agrarwende: Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der nachhaltigen Landwirtschaft von morgen?

Torge Peters

Klimawandel und Artenverlust stellen die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Hier geben wir einen Überblick - und fragen nach der Bedeutung der Digitalisierung auf Feldern und Höfen.

Autor*in Sarah-Indra Jungblut, 14.02.24

Übersetzung Lana O'Sullivan:

Wem kommen nicht zuerst idyllische, von Feldern umgebene Bauernhöfe in den Sinn, wenn es um das Thema Landwirtschaft geht. Auf den Weiden grasen Kühe und Pferde, Hühner laufen über den Hof und im Garten wächst eine Vielfalt an Gemüse. Mit der Realität hat dieses Bild allerdings nur noch sehr wenig zu tun.

Landwirtschaft in der Klimakrise – Leidtragende, Verursachende und Lösung zugleich

Kleine Höfe sind vom Aussterben bedroht. Längst bedeutet Landwirtschaft vor allem Felder bis zum Horizont, auf denen Monokulturen wachsen und große Betriebe, bei denen Tiere dicht gedrängt in Ställen leben.

Zudem wächst der Druck auf die Landwirt*innen. Einerseits ist die Landwirtschaft stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Immer häufiger auftretende extreme Wetterereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen und veränderte Temperaturen lassen Landwirt*innen mit Ertragseinbußen kämpfen. Und da die Landwirtschaft auf gesunde Böden und eine Vielfalt an Bestäubern angewiesen ist, wird der rapide Verlust von Arten und Ökosystemen zu einer zunehmenden Bedrohung. So ist beispielsweise die Biomasse von Bestäuberinsekten in Deutschland seit 1980 um bis zu 75 Prozent zurückgegangen.

Andererseits ist die Landwirtschaft selbst Treiber des Klimawandels, des Artensterbens und Biodiversitätsverlust. Der Landwirtschaftssektor war im Jahr 2022 nach Angaben des Umweltbundesamts für einen Anteil von geschätzten 7,4 Prozent an den deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Das entspricht einem absoluten Ausstoß von etwa 55,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Rund ein Viertel davon ist auf den Methanausstoß durch Tierhaltung, insbesondere von Rindern, zurückzuführen. Laut der European Environment Agency sind in den EU-Ländern landwirtschaftliche Praktiken für fast 50 Prozent aller Umweltbelastungen von Luft, Wasser und Böden verantwortlich.

Allerdings sinken seit 2017 die CO2-Emissionen des Sektors – und unterschreiten bereits knapp die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Emissionsmengen von 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Mit konsequentem Klimaschutz hat der Trend jedoch nichts zu tun. Dafür verantwortlich ist vor allem die anhaltend schwierige wirtschaftliche Lage vieler landwirtschaftlicher Betriebe durch stark gestiegene Energie-, Düngemittel- und Futterkosten und damit höhere Produktionskosten. „Echte“ Klimaschutzmaßnahmen bleiben daher weiter bedeutsam.

Die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft bestehen vor allem aus Methan und Lachgas. Diese werden bei der Bewirtschaftung der Böden freigesetzt und entstehen bei der Verdauung in der Tierhaltung und der Lagerung von Mist und Gülle. Das Problem: Diese Gase sind deutlich klimawirksamer als Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger anfällt. Um eine Vergleichbarkeit mit anderen Sektoren herzustellen, wird die Höhe der Emissionen in Tonnen von CO2-Äquivalenten umgerechnet.

Dazu kommt, dass weltweit rund 75 Prozent der Böden bereits von Degradation und Desertifikation betroffen sind. Das heißt, die Böden sind in ihren lebensnotwendigen Funktionen stark eingeschränkt und trocknen aus. Die Ursache? An erster Stelle ist dies auf die intensive landwirtschaftliche Nutzung und Klimaveränderungen zurückzuführen. Deutschland ist davon nicht ausgenommen. Durch monokulturelle Bewirtschaftung, intensive Tierhaltung und Überdüngung nimmt die Bodenqualität stetig ab.

Dabei sind gesunde Böden nicht nur eine wichtige Grundlage unserer Landwirtschaft und damit all dessen, was bei uns auf den Teller kommt. Auch für den Klimaschutz und die Klimaanpassung sind Böden essenziell. Werden sie nicht nachhaltig bewirtschaftet, setzen sie große Mengen klimaschädlicher Treibhausgase frei. Intakte Böden können dagegen CO2 binden und mehr Wasser speichern, was den Pflanzen über Dürreperioden hinweg hilft. Zudem beherbergen sie eine Vielzahl an Lebewesen und tragen so dazu bei, die biologische Vielfalt zu erhalten.

Mehr Moor!

Besonders problematisch ist die Trockenlegung von Mooren: 2021 wurden laut dem Bodenatlas der Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland mehr Treibhausgase aus der Nutzung entwässerter Moore freigesetzt als durch die deutsche Industrie.

Landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland und weltweit stehen damit vor großen Herausforderungen: Um ihre eigenen Grundlagen zu erhalten, müssen sie Arten, Böden und Klima schützen. Gleichzeitig gilt es, diese Aufgaben mit wirtschaftlicher Rentabilität, Ertragsstabilität und der Erzeugung qualitativ hochwertiger Nahrung in Einklang zu bringen.

Wie geht nachhaltige Landwirtschaft?

Es geht also um nicht weniger als eine sozial-ökologische Transformation der Landwirtschaft und des Ernährungssystems. Weitgehend wissenschaftlicher Konsens besteht darin, dass dies durch folgende, miteinander verknüpfte Maßnahmen gelingen kann:

Die Beschränkung des Düngemittel- und Pestizideinsatz und konsequente Maßnahmen für den Schutz der Biodiversität sind wesentlich für gesunde Böden und den Erhalt der Artenvielfalt. Außerdem gilt es, den Ökolandbau zu stärken und eine vielfältige, kleinteilige Landwirtschaft zu fördern. Die regionale Vermarktung der Produkte sollte dabei eine große Rolle spielen.
Der Rück- und Umbau der Tierindustrie, die stärker auf das Tierwohl achtet und auf geschlossene Nährstoffkreisläufe setzt, begleitet von der Reduzierung des Konsums tierischer Produkte, sorgen dafür, dass Methan- und CO2-Emissionen rapide sinken. Zentral hierbei ist auch die Wiedervernässung von Mooren. Gleichzeitig sollten Verbraucher*innen motiviert werden, mehr pflanzliche, biologisch und regional erzeugte Nahrungsmittel zu konsumieren.

Erreicht werden können die verschiedenen Maßnahmen durch u. a. weniger klimaschädliche Subventionen und eine umfangreiche Vergütung von Maßnahmen, die Biodiversität und Klima schützen. Idealerweise geschieht dies innerhalb einer gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Zusätzlich sollten nationale Fördermittel für den Umbau der Landwirtschaft und die regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung bereitgestellt werden. Mehr Informationen für eine nachhaltige Ernährung und die umwelt- und klimaorientierte Kennzeichnung von Lebensmitteln könnten außerdem dafür sorgen, dass Verbraucher*innen mitgenommen werden.

Digitale Technologien und Anwendungen schon auf Höfen und Feldern angekommen

In der digitalen Landwirtschaft werden viele Prozesse automastisiert, wie zum Beispiel die Bewässerung der Felder.

In Praxis und Wissenschaft wird der Digitalisierung eine Schlüsselrolle zur Bewältigung vieler dieser Herausforderungen des Agrarsektors beigemessen.

Schon heute kommen laut einer Umfrage in acht von zehn landwirtschaftlichen Betrieben über 30 Hektar digitale Technologien und Anwendungen zum Einsatz. Am weitesten verbreitet sind dabei Fütterungsautomaten, GPS-gesteuerte Landmaschinen, Agrar-Apps und Farm- und Herdenmanagementsysteme. Rund 30 Prozent der Betriebe setzen zusätzlich Methoden und Technologien ein, mit denen Dünger und Pflanzenschutzmittel nur bedarfsweise aufgebracht werden, sowie Sensortechnik im Pflanzenbau und in der Tierhaltung. Robotik, Drohnen und künstliche Intelligenz sind dagegen noch nicht derart umfangreich verbreitet. Grundsätzlich zeigt sich, dass digitale Technologien mit zunehmender Betriebsgröße vermehrt eingesetzt werden.

Dabei wird die Digitalisierung als eine Chance gesehen, die Produkteffizienz zu erhöhen, von körperlicher Arbeit zu entlasten und umweltschonender produzieren zu können. Das spiegelt sich auch auf politischer Ebene wieder. Unter anderem im Kontext des europäischen Grünen Deals, der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie und der EU-Biodiversitätsstrategie wird die Digitalisierung des Sektors als zentral angesehen, um die klima- und umweltpolitischen Zielen zu erreichen.

Allerdings weist der aktuell vorrangige Einsatz digitaler Technologien in eine andere Richtung: Mit ihnen wird vor allem darauf fokussiert, die Landwirtschaft effizienter zu machen und damit weiter zu intensivieren.

Digitalisierung sozial-ökologisch einsetzen

Die Chancen eines digital unterstützten Agrarsektors stehen derzeit im Vordergrund – insbesondere für den Umwelt- und Klimaschutz. Die Risiken werden aktuell dabei noch zu wenig betrachtet, wie auch eine Studie des IÖW festhält. Vor allem die hohen Investitionskosten und zunehmend komplexer werdende Strukturen bringen neue Herausforderungen mit sich. Dazu kommen Bedenken hinsichtlich der ökologischen und sozialen Auswirkungen der digitalen Technologien selbst, wie zum Beispiel der weitere Ausbau von Monokulturen, eine steigende Abhängigkeit von IT-Unternehmen und ein wachsender Energieverbrauch.

In unserem neusten, von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Greenbook „Agrarwende – Die nachhaltige Landwirtschaft von morgen“ machen wir daher innovative digitale Lösungen ausfindig, die tatsächlich auf den Umwelt- und Klimaschutz im Agrarsektor abzielen und die sozial-ökologische Transformation vorantreiben können. Und wir befragen Expert*innen nach den Chancen, Risiken und Hintergründen. Dadurch soll ein Bild davon entstehen, wie die nachhaltig-digitale Landwirtschaft der Zukunft aussieht, bei der der Erhalt der Biodiversität und gesunde Ökosysteme im Mittelpunkt stehen.

dbu-logo

Dieser Artikel gehört zum Dossier „Agrarwende – Die nachhaltige Landwirtschaft von morgen“. Das Dossier ist Teil der Projekt-Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), in deren Rahmen wir vier Dossiers zum Thema „Mission Klimaneutralität – Mit digitalen Lösungen die Transformation vorantreiben“ erstellen.

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