Kleine Ländereien, viel Grün und unter den Fingernägeln klebt noch die Erde von der Ernte: So stellen wir (Stadtbewohner) uns Landwirtschaft vor. Regional, frisch vom Hof, landet die Ware direkt auf dem Teller des Konsumenten. Doch die romantisierte Vorstellung vom Bauernhof wird der technologischen Revolution in der Landwirtschaft schon bald vollständig weichen müssen. Denn um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und die Umwelt zu schützen, sind neue Denkansätze in der Lebensmittelproduktion gefragt. Ob autonome Erntefahrzeuge, Roboter-Bienen oder automatisierte Arbeitsprozesse auf Feld und Hof – das Stichwort ist Digital Farming. Sogar das Bundeslandwirtschaftsministerium widmet sich den Chancen und Risiken einer digitalen Landwirtschaft. Und so wird der Bauernhof immer mehr zur Fabrik auf dem Land.
Doch die Frage ist nicht nur, wie die Landwirtschaft der Zukunft stattfindet, sondern auch wo. Denn so schön die Natur auch ist, so übel spielen manchmal ihre Launen, wodurch es beispielsweise zu Missernten kommen kann. So beschäftigen sich immer mehr Wissenschaftler und Unternehmen mit neuen Produktionsorten und Techniken für den Anbau von Nahrung – egal ob unterirdisch, an Hauswänden oder in speziellen Fabrikhallen. Auch das US-Unternehmen AeroFarms verlagert die Produktion von Blattgemüse in ein vollständig kontrolliertes Umfeld. Vor über zehn Jahren eröffnete das Unternehmen seine erste Indoor-Farm in der Finger Lakes Area um New York – und entwickelte sich seitdem zum Weltmarktführer.
Landwirtschaft ohne Erde und Sonnenlicht
In seinem Hauptquartier in Newark, New York, produziert AeroFarms auf ca. 6.000 Quadratmetern jährlich mehr als 900.000 Kilogramm Blattgrün. Dafür macht sich das Unternehmen das Prinzip der Aeroponik zu Nutze. Diese Anbautechnik ist keine Erfindung der jüngsten Gegenwart, sondern wurde bereits 1982 von K. T. Hubick entwickelt und später von NASA-Wissenschaftlern verbessert. Dabei werden die Pflanzen so fixiert, dass ihre Wurzeln in der mit Wasserdampf und Nährstoffen angereicherten Luft hängen.
AeroFarms hat diese Technik für sich optimiert und so erstreckt sich über mehrere Etagen ein kontrolliertes und vollständig in sich geschlossenes System aus LED-Licht, Blattgrün und Aeroponik, das einen positiveren Einfluss auf unsere Umwelt hat als die traditionelle Landwirtschaft. Denn nach eigenen Angaben gelingt es dem Unternehmen, den Wasserbedarf um 95 Prozent zu senken. Bei Aeroponik wird außerdem auf Pestizide verzichtet und weniger Dünger eingesetzt als bei konventionellen Anbaumethoden. Ein weiterer Vorteil des vollständig kontrollierten Systems ist, dass jeder Parameter individuell an die Bedürfnisse der Pflanzen angepasst werden kann. So wird unter anderem der genaue Nährstoffbedarf ermittelt, was zu einem doppelt so schnellen Pflanzenwachstum beiträgt. Indoor-Farming erlaubt außerdem einen ganzjährigen Anbau, auch in der Nähe von Metropolregionen. Damit rückt die Stadt mit seinen Lebensmittellieferanten zusammen, Transportwege werden verkürzt und Flächen dank des vertikalen Anbaus effizienter genutzt.
Diskrepanz zwischen Technologie und Natur
Die Fabrik-Anlagen von AeroFarms und anderen Vorreitern im Bereich des Vertical Farming haben nicht mehr viel mit dem aktuellen gesellschaftlichen Verständnis von Landwirtschaft zu tun. Dr. Eckart Kramer, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklungen Eberswalde, sieht in der Technologisierung der Landwirtschaft durchaus eine Diskrepanz zwischen den Kundenerwartungen und dem Fortschritt: „Die Kunden haben zunehmende Erwartungen an die Art der Produktion. Gerade im Ökolandbau aber auch für regionale Produkte werden oft naturnahe Produktionsweisen erwartet. Damit besteht das Risiko, dass der Landwirt mit hoch technologisierten Erzeugungssystemen nicht immer den Kundenerwartungen entspricht.“
So bleibt vor allem auch für Verfechter der Permakultur ein kleiner Beigeschmack bestehen: Auch wenn High-Tech-Landwirtschaftsbetriebe wie AeroFarms zu einer effizienten Ernährung der Weltbevölkerung beitragen können, so schaffen sie derzeit dennoch keinen dauerhaft funktionierenden nachhaltigen und naturnahen Kreislauf. Denn während die Sonne die Felder kostenlos mit Energie versorgt, werden für die Stromerzeugung für das Indoor-Farming derzeit (noch) enorme Energierressourcen für Beleuchtung, Beheizung, Wartung der Anlagen etc. benötigt. Damit das Indoor-Farming auf mehreren Etagen wirklich nachhaltig werden kann, müssen einerseits wesentlich energieeffiziente Lösungen bei Beheizung und Beleuchtung entwickelt werden. Und andererseits muss der Strom dafür natürlich aus erneuerbaren Energiequellen stammen.
Gastbeitrag von Sarah Kricke für RESET.org